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Demokratie-Bildung ohne alte Hüte

Eine Forschungsstelle der TU Dresden sammelt frische Ideen für die politische Bildung – und gibt sie weiter.

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Neue Impulse mitnehmen: Die Denkhüte gefielen auch Workshop-Teilnehmerin Katharina Tampe vom Verein Netzwerk für Demokratie und Courage Sachsen (M.)
Neue Impulse mitnehmen: Die Denkhüte gefielen auch Workshop-Teilnehmerin Katharina Tampe vom Verein Netzwerk für Demokratie und Courage Sachsen (M.)

Manchmal fällt es schwer, sich in einen Gesprächspartner hineinzuversetzen. Manchmal kauen wir ewig auf einem Problem herum. Manchmal fehlt uns der Blick für Alternativen. In solchen Fällen empfehlen Elisa Moser, Tina Hölzel und Peter Birkenhauer das Tragen von bunten Hüten. Denkhüte nennen sie diese. Sie ermöglichen neue Perspektiven. Den strukturierten Blick aufs Geschehen, einen kreativen oder auch emotionalen. Während sie das erklären, tragen sie selbst drei der insgesamt sechs aufwendig gestalteten Hüte. „Die Denkhüte sind eine Methode, die verschiedene Blickwinkel auf ein Thema ermöglicht“, erklärt Elisa Moser. Ein wichtiger Punkt in der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung, gerade im außerschulischen Bereich. In Situationen, in denen sich Menschen aufeinander einlassen müssen, um gemeinsam zu diskutieren und Lösungen zu finden. Es sind neue Ansätze für die politische Bildungsarbeit, die die Wissenschaftler in ihren Workshops vermitteln wollen.

Die drei gehören zur John-Dewey-Forschungsstelle für die Didaktik der Demokratie der TU Dresden. Seit 2020 gibt es JoDDiD, so die Kurzform, nun bereits. „Ein erster Ansatz war damals, die Ergebnisse politischer Forschung besser in die Bildungsarbeit einzubringen“, erklärt Tina Hölzel. Es geht um innovative Ideen, wie politische Bildung für junge und ältere Menschen funktionieren kann. Wie man Leute erreicht, die sich allzu oft von politischen Prozessen abgehängt fühlen. Das hätte wohl auch der Namensgeber der Forschungsstelle unterstützt. Der US-amerikanische Philosoph und Pädagoge John Dewey hatte bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts betont, dass politische und auch demokratische Bildung vor allem im Alltag der Menschen stattfinden. Sie müsse demnach also dort stattfinden, wo Politik erlebt und erfahren wird, Konflikte ausgehandelt und Krisen durchgestanden werden.

Karten für brisante Fragen

Dafür geht JoDDiD neue Wege. In den vergangenen Jahren entwickelte das Team um Direktorin Anja Besand, Inhaberin der Professur für Didaktik der politischen Bildung, beispielsweise neuartige Materialien für die Arbeit außerschulischer Bildungsangebote. Im Rahmen eines Workshops im Kloster St. Marienthal in Ostritz konnten Teilnehmende nun einige davon ausprobieren. Tina Hölzel ließ sie dafür mit Karten spielen. Insgesamt vier Kartensets, die zu Gesprächen anregen sollen, hat JoDDiD in den zurückliegenden Jahren bereits entwickelt. Die Kartensammlung „Kann man Politik tanzen?“ regt zu Gesprächen über Politik an. „Kann man Mündigkeit messen“ hilft dabei, den politischen Bildungsprozess zu reflektieren. „Es gibt so viele Begrifflichkeiten in der politischen Bildung, bei denen wir denken, dass sie klar sind“, sagte die Wissenschaftlerin. Das sei aber bei Weitem nicht so. Set drei heißt „Wer hat Angst vor Rassismus(-Kritik)?“. Das haben die Forscher zusammen mit dem Rat für Migration entworfen. Für das neuestes Set namens „Zettel kreuz und quer“ arbeiteten sie mit einem Theaterkollektiv zusammen. Auf den Karten stehen verschiedene Fragen zu Eigenschaften, Meinungen oder Abneigungen von Personen, die die Menschen miteinander in den Austausch bringen. Tim Hexaner vom Verein RAA Sachsen zeigte sich von den Kartensets beeindruckt. „Ich glaube schon, dass sich damit auch Hürden überwinden lassen, die gerade bei der Arbeit mit Gruppen erst einmal blockieren können.“

Im nächsten Raum wartete Elisa Moser mit besonderen Teppichen auf die Beteiligten. „Auf keinen Fall“, „Pro“, „Contra“ oder auch „Absolut“ war darauf zu lesen. Im Rahmen von Übungen oder auch Pro-und-Contra-Debatten können die Teppiche in Abstreicher-Größe eingesetzt werden, damit ganz praktisch und aktiv Position bezogen werden kann – mit einem Schritt auf den Teppich. Die JoDDiD-Verantwortlichen hatten für Unentschlossene auch einen „Hä?“-Teppich im Angebot. „Das ist wichtig für Teilnehmer im politischen Bildungsprozess“, machte Elisa Moser deutlich. „Wenn jemand noch Zeit braucht, um einen Sachverhalt zu verstehen, dann kann er damit genau das ausdrücken.“

Forschung mit Online-Shop

In den Pausen schauten sich viele Workshop-Teilnehmende die vorgestellten Materialien noch genauer an. Ein Problem, das verrieten viele, seien die knappen Budgets, die für viele ihrer Bildungsprojekte zur Verfügung stünden. Mit ihren Angeboten geht JoDDiD genau darauf ein. Seit einiger Zeit hat die Forschungsstelle einen eigenen Online-Shop. Dort geht es jedoch nicht darum, Geld zu verdienen. Vielmehr ist der Shop ein Schaufenster, in dem die entwickelten Bildungsmaterialien vorgestellt werden. Vieles, wie etwa die Teppiche oder Hüte, können Bildungsträger auf diesem Weg ganz unkompliziert ausleihen. Große Plakate, die etwa Veranstaltungen strukturieren helfen, stehen direkt als Download zur Verfügung. Die Konversationskarten können politische Bildnerinnen und Bildner auch kostenfrei bestellen. Für andere Materialien stehen Bastelanleitungen auf der JoDDiD-Webseite bereit.

Den Spieltrieb kitzelte das Forscherteam an einer dritten Station des Workshops. Holzbürgerinnen standen da auf kleinen, hölzernen Podesten: eine Frau mit unzähligen Klopapierrollen auf dem Arm, eine Person in einem geöffneten Pappkarton, eine Ärztin, ein Kind, ein Mensch mit Papiertüte über dem Kopf. Sie alle stehen symbolisch für Teile der Gesellschaft. „Sucht hier Menschen aus, für die ihr gern Bildungsarbeit machen wollt“, animierte Peter Birkenhauer die Anwesenden. Da fiel die Auswahl schwer. Wohl auch, weil die von Holzbildhauerin Tilla Messermann gestalteten Figuren mit viel Detailreichtum gefertigt wurden. Schon die anschließende Diskussion zeigte, wie unterschiedlich Menschen auf die Puppenabbilder schauen. Ist die Frau mit Gießkanne nun eine, die sich ins Häusliche zurückzieht und politisch kein Engagement zeigt? Oder gerade eine, die sich kümmert? „Diese Übung hilft sehr dabei, sich über die Zielgruppe der eigenen Arbeit bewusst zu werden“, erklärte Birkenhauer.

Hamster-Käuferin oder Kümmerin für andere? Die Holzbürgerinnen sollen helfen, Zielgruppen zu erkennen.
Hamster-Käuferin oder Kümmerin für andere? Die Holzbürgerinnen sollen helfen, Zielgruppen zu erkennen.

Nach drei Stunden Workshop war am Ende Zeit für Feedback. „Ich nehme viele neue Anregungen aus dem heutigen Tag mit“, schätzte unter anderem Katharina Tampe vom Verein Netzwerk für Demokratie und Courage Sachsen ein. Gern hätte die Veranstaltung in ihren Augen auch etwas länger gehen können: „Das war alles andere als langweilig.“ Dieser Einschätzung schlossen sich auch viele andere Teilnehmende an. Die Forschungsstelle will die in der politischen Bildung Tätigen deshalb auch weiterhin unterstützen. Dafür veröffentlichten sie Anfang 2023 auch das „Logbuch politische Bildung“. Es soll helfen, neue Ideen zu entwickeln, die eigene Arbeit zu reflektieren und Gewohntes neu zu betrachten. „Denn Demokratie kann nicht nach Schema F gefördert werden. Demokratie muss vielmehr jeden Tag neu und anders aussehen und mit ihr Bildungsprozesse, die auf sie gerichtet sind“, sagt JoDDiD-Direktorin Anja Besand.

Website: www.joddid.de
Instagram: https://www.instagram.com/joddidforschungsstelle/
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