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Wahrzeichen und grüne Archen

Beeindruckend schön und biologisch extrem wertvoll: TUD-Professor Andreas Roloff forscht zu uralten Bäumen, und macht aus ihnen nationales Naturerbe.

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Die Collmer Linde ist eine mindestens 800 Jahre alte Sommerlinde (Tilia platyphyllos), die in der Gemeinde Wermsdorf im Landkreis Nordsachsen steht. Foto: Andreas Roloff.
Die Collmer Linde ist eine mindestens 800 Jahre alte Sommerlinde (Tilia platyphyllos), die in der Gemeinde Wermsdorf im Landkreis Nordsachsen steht. Foto: Andreas Roloff.

Baum und Mensch haben eine besondere Beziehung. In der Nähe von Bäumen fühlen wir uns bemerkenswert wohl: Waldspaziergänge wirken stressreduzierend, stärken das Immunsystem und senken den Blutdruck. Bäume spielen in Religionen und Mythen wichtige Rollen und sind seit Jahrtausenden fest in unserem kulturellen Gedächtnis, nun ja, verwurzelt. Dazu kommt, dass Bäume einfach schön sind, und dazu ökologisch wie ökonomisch sehr nützlich. Besonders faszinierend für uns sind die wirklich alten Exemplare der Gehölze, die wissenschaftlich gesehen „verholzende Samenpflanzen mit dominierender Sprossachse“ sind. Diese Charakterbäume beeindrucken uns mit Stämmen von mehreren Metern Durchmesser und Kronen, in denen ein Haus verschwinden könnte. Mancher Uraltbaum mag bereits arg gezeichnet sein, von Sturm und Blitzschlag lädiert und inzwischen mit Balken gestützt und mit Stahlseiten stabilisiert. Trotzdem trägt er immer wieder neue Blätter – und erinnert uns so daran, dass unsere eigene kurze Lebensspanne ein Davor hatte und ein Danach haben wird.

Andreas Roloff, Professor an der Technischen Universität Dresden
Andreas Roloff, Professor an der Technischen Universität Dresden

In TUD-Professor Andreas Roloff haben die Methusalem-Bäume einen besonderen Freund und Fürsprecher gefunden. Zwar hatte sich der gebürtige Bremer, der von 1994 bis August 2022 die Professur für Forstbotanik an der Fachrichtung Forstwissenschaften in Tharandt innehatte und nun als Seniorprofessor forscht, naturgemäß schon vorher intensiv mit Bäumen befasst. Aber Altbäume als eigenes Forschungsgebiet beschäftigen den 68-Jährigen erst seit ungefähr zehn Jahren. Bei Aufenthalten in England war ihm aufgefallen, dass es dort über 100 Bäume gibt, die älter als 1.000 Jahre sind. „In Deutschland haben wir zehn Baumarten, die über 1.000 Jahre alt werden können. Warum gibt es bei uns, bei vergleichbaren Böden und klimatischen Bedingungen, kein einziges so hochbetagtes Exemplar?“ Die Erklärung ist Andreas Roloff zufolge beim Menschen zu suchen. „In Großbritannien herrscht ein anderes Einfühlungsvermögen in den Wert von Natur, wie es ja auch die reiche Gartenbaukultur auf der Insel zeigt. Bei uns wird ein alter Baum leider zu oft als Problem gesehen“.

"Der ökologische Reichtum der Lebensgemeinschaften in alten Bäumen kann nicht hoch genug beziffert werden."

Baumeigentümer haben Angst, dass herabfallende Äste ihr Naturdenkmal zu einem Versicherungsfall machen, Kommunen schneiden Baumriesen zu stark zurück, weil Verkehrssicherheit vor der Bewahrung botanischen Erbes kommt. „Aber wir reden hier von Natur“, so Roloff, „und die können wir nie rundum sicher machen“.

Um für mehr Respekt für Methusalem-Bäume zu werben, hat der Professor im Jahr 2019 mit Unterstützung der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft und der Eva-Mayr-Stihl-Stiftung das Projekt Nationalerbe-Bäume auf den Weg gebracht. Dessen Ziel ist, zunächst möglichst viele deutsche Uraltbäume zu identifizieren und zu erfassen. Das Label „Nationalerbe-Baum“ soll Öffentlichkeit und ein Bewusstsein für den Wert der Gehölze schaffen. Langfristig sollen die grünen Urväter dann mithilfe sensibler Pflege in Würde altern dürfen. „Inzwischen sind bei uns an die 300 Meldungen eingegangen, von Naturfreunden, Ämtern, Forstfachleuten und Eigentümern“, sagt Andreas Roloff. „So konnten wir bis dato 26 Nationalerbe-Bäume ausrufen“. Darunter sind auch zwei aus Sachsen: die Collmer Linde bei Oschatz und ein Gingko im Schlosspark Jahnishausen nahe Riesa. 24 weitere Bäume werden vom Kuratorium Nationalerbe-Bäume als Kandidaten ausgewählt, bis Ende 2025 sollen insgesamt 50 Exemplare den Ehrentitel tragen.

Wirklich entscheidend für den Wert, den ein alter Baum hat, ist aber nicht, dass er ästhetisch beeindruckend und touristisch zweckdienlich ist. Der wahre Schatz, den Methusalem-Bäume bergen, offenbart sich erst dem Blick der Forschenden. „Der ökologische Reichtum der Lebensgemeinschaften in alten Bäumen kann nicht hoch genug beziffert werden“, so Andreas Roloff, „Ein Beispiel: In einer 250 Jahre alten Esskastanie hier in Tharandt wurden allein 103 Käferarten gezählt. Darunter einige, die als ausgestorben oder verschollen galten“. Jeden Baum muss man sich als Mini-Ökosystem vorstellen, das mit zunehmendem Alter immer wertvoller für die Biodiversität wird.

Und die grünen Archen vollbringen noch mehr Unglaubliches für ihre und damit unsere Umwelt. Ein Team von Tharandter Forstwissenschaftlern hat herausgefunden, dass ein Altbaum mit einem Kronendurchmesser von 20 Metern in Bezug auf Luftfilterung, Kohlendioxidspeicherung, Beschattung und Kühlung so viel leistet wie 400 Jungbäume. Das demonstriert deutlich, welchen Stellenwert Pflege und Erhaltung sehr alter Gehölze im Gesamtprojekt Umweltschutz haben müssen. Denn dem deutschen Wald geht es derzeit vielerorts nicht gut – aber wer die alten Bäume versteht, wird deren jüngeren Nachkommen auch besser helfen können.

Mehr zum Thema auf der speziellen Internetseite - dort kann man auch kostenlos ein Buch zu den ersten 16 Bäumen herunterladen. Voraussichtlich im Oktober 2023 erscheint eine aktualisierte Ausgabe zu dann insgesamt 30 Bäumen. Wer einen Methusalem-Baum melden möchte, kann über die Website Kontakt mit dem Kuratorium Nationalerbe-Bäume aufnehmen:


www.nationalerbe-baueme.de