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"Wir wollen Weltbürger ausbilden"

Die neue Rektorin der TU Dresden hat viel vor. Sie denkt global, will die Exzellenz in Forschung und Lehre stärken und die Uni stärker für Ältere öffnen.

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Professorin Ursula M. Staudinger ist die neue Rektorin der Technischen Universität Dresden. Sie will auch Akzente in der Stadtgesellschaft setzen.
Professorin Ursula M. Staudinger ist die neue Rektorin der Technischen Universität Dresden. Sie will auch Akzente in der Stadtgesellschaft setzen. © Foto: Thorsten Eckert

Von Manhattan ins Dresdner Stadtzentrum. Aus einem 1906 erbauten 13-Geschosser nahe der renommierten Columbia University in eine moderne Stadtwohnung mit Blick auf den Dresdner Zwinger. Statt morgendlicher Spaziergänge im Riverside Park nun ausgiebige Radtouren entlang der Elbe. Für Prof. Ursula M. Staudinger funktioniert das sehr gut, sagt sie. „Dresden hat meinen Mann und mich gefangen genommen – durch die hohe Lebensqualität, die reiche Architektur und die Kunst- und Kulturangebote“, macht die neue Rektorin der Technischen Universität Dresden klar. „Wir sind vor einigen Wochen bei strömendem Regen ins Kraftwerk Mitte gegangen – und waren begeistert von dieser Vielseitigkeit an kulturellen Möglichkeiten in diesem alten Industriebau mit seiner kreativen Atmosphäre!“ Staatsoperette, Theater Junge Generation, Programmkino und spannende Kneipen – „das ist anders, aber muss sich vorm Broadway keinesfalls verstecken“, sagt Ursula M. Staudinger mit einem überzeugten und vor allem überzeugenden Lächeln. „Wir Deutschen haben ja mitunter die Eigenschaft, unser Licht ein wenig unter den Scheffel zu stellen. Dafür gibt es in Dresden keinen Grund – ganz im Gegenteil!“ Das gilt gleichermaßen für die hiesige Technische Universität, schiebt sie nach. „Was da im Zusammenspiel mit den zahlreichen, im Umfeld der TUD angesiedelten Forschungsinstituten der Max-Planck- und der Fraunhofer-Gesellschaft, der Helmholtz- und der Leibniz-Gemeinschaft entstand, ist wirklich beispiellos!“ Dieser Satz hat Gewicht.

Start ausgerechnet in der Pandemie

Für Ursula M. Staudinger ist der Start in Dresden dabei eine Rückkehr. Eine Rückkehr nach Deutschland; sie wurde in Nürnberg geboren. Aber auch eine Rückkehr nach Dresden. Schon um die Jahrtausendwende hatte sie knapp fünf Jahre lang als Professorin an der TU Dresden gearbeitet. Zuletzt als Professorin für Entwicklungspsychologie der Lebensspanne. Dass die Rückkehr ausgerechnet in den Beginn der weltweiten Corona-Pandemie fiel, hat sie nicht entmutigt. „Es musste vieles halt virtuell gehen“, sagt sie gelassen und lächelt zufrieden. Denn es hat funktioniert. Auch, weil Deutschland in Sachen Corona erfolgreich reagiert und vor allem agiert hat, „worum uns die Amerikaner durchaus beneiden“, macht Ursula M. Staudinger deutlich.

Die neue Rektorin im Interview

Frau Professorin Staudinger, am 17. März sind Sie zur neuen Rektorin gewählt worden – einen Tag später verhängte Sachsen massive Einschränkungen wegen Corona. Ein Neustart ist ja immer mit Schwierigkeiten verbunden – aber mit einer weltweiten Pandemie zu starten, dürfte wahrlich eine Herausforderung gewesen sein?!

Wir waren zum Glück digital sehr gut ausgestattet, sodass vieles übers Internet funktionierte. Videokonferenzen lassen sich ja zum Beispiel via Zoom in annehmbarer Bild- und Tonqualität absolvieren. Dennoch ist es eine sehr anstrengende Sache – unser Gehirn muss sozusagen ein 2D-Video in ein 3D-Gespräch umwandeln, das merkt man am Abend schon. Trotz dieser ungewöhnlichen Situation ist es mir beispielsweise gelungen, das neue Rektorat zusammenzustellen, das ich Ende Juli dem Senat vorstellen konnte.

Kann man ketzerisch sagen, dass Ihnen die Corona-Krise hier und da die Arbeit erleichtert hat, weil Prozesse, die sie erst noch anschieben wollten, durch Corona von heute auf morgen umgesetzt werden mussten? Nicht zuletzt beim Thema Digitalisierung der Lehre?

Natürlich sind wir alle ins kalte Wasser geworfen worden und mussten schwimmen! Sicher ist da vieles schneller gegangen, weil es keine Alternative gab. Und natürlich sind Dinge, wie Seminar- oder Vorlesungsinhalte via Videoaufzeichnung oder im Livestream zu vermitteln, plötzlich umgesetzt worden – ohne dass, wie sonst wahrscheinlich notwendig, langwierige Debatten geführt wurden. Aber interessanterweise ist auch deutlich geworden, wie wichtig das soziale Miteinander ist, gerade auch bei der Erarbeitung von Lerninhalten. Das ist eine Erfahrung, die wir sonst wohl nicht gemacht hätten. Wir werden also Wege für digitales Lernen weiterentwickeln müssen – und dürfen die soziale Komponente dabei nicht vergessen. Da stehen uns noch einige Herausforderungen bevor. Und hier meine ich nicht nur die Universität, sondern auch die Schulen.

Das heißt: Wir – die Gesellschaft, die Wirtschaft, die Politik – haben in dieser extremen Situation viel gelernt. Natürlich auch die Universität. Dass studieren auch von zu Hause aus ganz gut funktionieren kann zum Beispiel. Verbunden mit der von Ihnen erwähnten Erkenntnis, die sozialen Kontakte dabei nicht zu vernachlässigen. Wie kann es gelingen, nicht einfach wieder in alte Muster zu fallen?

Ich sehe da im Wesentlichen zwei Wege: Erstens kontinuierliche Kommunikation. Mit allen Beteiligten wirkliche Gespräche suchen, in denen man sich tatsächlich austauschen und auch mal Ärger Luft machen kann. Und zweitens: Wir müssen für die Universität in Zeiten von Corona Wege finden, auch soziale Angebote virtuell anzubieten. Wir dürfen nicht müde werden, Dinge zu erklären. Zum Beispiel auch, warum wir an den strengen Hygieneregeln festhalten müssen. Menschen nehmen zuvorderst die Dinge wahr, die ihnen direkt ins Auge fallen. Eine unsichtbare Problemlage – wie ein Virus – rutscht da schnell aus dem Blick und Vorsichtsmaßnahmen scheinen überflüssig.

Ist es aus Ihrer Sicht von Vorteil,dass gerade in einer Umbruchphase – die auch mit Ängsten verbunden ist – eine Psychologin an der Spitze der TU steht?

Zunächst einmal: Die TU Dresden wird natürlich nicht nur von einer Person allein geleitet. Aber generell ist es wohl so, dass es nicht ohne Grund einen hohen Anteil an Psychologen und Verhaltensforschern in Rektoraten von Hochschulen und Universitäten gibt. Wir bringen als Psychologinnen und Psychologen ein großes Verständnis und Wissen dafür mit, wie Menschen fühlen und sich in Organisationen verhalten.

In diesem Zusammenhang noch ein Wort zur besonderen Situation in Dresden: Was reizt Sie als Psychologin, mitten in einem Gemisch aus Pegida und internationalem Wissenschaftsstandort sowie dem Zusammenleben gebrochener Ost-Biografien und zugezogener „Westler“ eine so wichtige Institution wie eine Universität zu lenken?

Ich bin überzeugt, dass eine Universität mit ihren Möglichkeiten und Kompetenzen in einer solchen Konstellation eine wichtige Einflussgröße ist. Wir wollen durch Ehrenamtstage für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine Reihe von Freiwilligenprojekten identifizieren, in denen sie sich engagieren können. Wir wollen zeigen: Als TU Dresden sind wir Teil der Stadtgesellschaft. Es ist ja oft so, dass Menschen das Gefühl haben, mit ihren Fragen und Ängsten alleingelassen zu werden. Wir müssen deshalb versuchen, Brücken zu bauen, Andock-Stationen zu schaffen. Für dieses Thema und noch einige andere haben wir das neue Prorektorat Universitätskultur begründet, was nach außen und innen wirken soll. Klar ist aber, dass es kein Allheilmittel gibt. Es ist ein steiniger Weg.

Passend dazu haben Sie als Ihr Ziel ausgegeben, eine globale Universität für das 21. Jahrhundert anschieben zu wollen. Was ist darunter zu verstehen?

Ich will versuchen, die Welt stärker auf den Campus zu holen. Dazu gehört zum Beispiel als erster Schritt, bei Gesprächen öfter mal ins Englische zu wechseln. Ausgehend von einer starken lokalen Verankerung in Dresden und Sachsen wollen wir in unserer Lehre und unserer Forschung die Welt stärker einbeziehen. Wir wollen global denkende und handelnde Menschen ausbilden: Dresdner Weltbürger!

Hat die TU Dresden nicht genug Internationalität?

Es gibt einen Unterschied zwischen global und international: Es geht nicht nur darum, mehr Menschen aus anderen Ländern zu uns auf den Campus zu holen, sondern um eine globale Bezogenheit in all unseren Aktivitäten – bei Lehrinhalten, in der Forschung und in dem, wie wir unsere Organisation weiterentwickeln. Das heißt konkret, die TUD strebt nach Nachhaltigkeit in allen Belangen. Sie setzt sich für den Erhalt der Demokratie ein und gegen Fake News; sie steht demnächst für lebensbegleitendes Studieren. Die globale Bezogenheit betrifft auch unsere Grundlagenforschung, indem wir fragen, wie wirken sich unsere Ergebnisse weltweit aus?

Sie haben eine Menge vor in und vor allem mit der TU Dresden. So wollen Sie die Universität auch „älteren Semestern“ öffnen. 40- oder 50-Jährige, die sich noch neu orientieren wollen oder einen Abschluss anstreben. Lebenslanges Lernen ist ja eines der Hauptthemen Ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Warum ist das aus Ihrer Sicht so wichtig?

Wir haben in den letzten 100 Jahren 30 Jahre an durchschnittlicher Lebenserwartung dazu gewonnen. Ein längeres Leben und der Zuwachs an Wissen in unseren Zeiten machen es unwahrscheinlich, dass ein Berufsabschluss fürs gesamte Arbeitsleben reicht. Nun müssen wir die Bildungsinstitutionen darauf einstellen. Bisher sind die Universitäten noch keine relevante Größe auf dem Weiterbildungsmarkt. Lebensbegleitendes Studieren wird hier in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Dieses Weiterlernen und Umlernen hat die positive Konsequenz, dass wir dadurch gesünder älter werden, wie die Forschung zeigt.

In der politischen Wende in der DDR ist durch Schließung von Betrieben enormes Potenzial an Wissen und Können lahmgelegt worden. Begehen wir heute ähnliche Fehler und setzen zu wenig auf die „Alten“?

Das sehe ich schon so: Für 50- bis 55-Jährige ist es nach wie vor schwierig, auf dem Arbeitsmarkt neue Wege zu gehen. Es bedarf einer nationalen Strategie für das lebensbegleitende Lernen, die auch ein Finanzierungsmodell einschließt. Weder Firmen noch Einzelne können diese Aufgabe allein stemmen. Lebensbegleitendes Studieren an der Universität ist ein wichtiges Qualitätselement bei diesem Umbau. Dass es möglich ist, habe ich in den USA gesehen. Dort sitzen in den Studiengängen Studierende von 17 bis 57. Viele davon satteln um oder letztlich noch einen Masterabschluss auf.

Sie übersetzen Ihre wissenschaftliche Fachrichtung Gerontologie nicht mit Altersforschung, sondern mit Alternsforschung: Es geht Ihnen also um den Prozess und nicht um das Ergebnis?

Wir leben länger und sind länger gesund als die Generationen vor uns. Wir müssen diese Errungenschaft als Einzelne und als Gesellschaft noch besser nutzen. Wir sollten an der TU Dresden eine Vorreiterrolle spielen.

Gespräch: Jens Fritzsche

Hier gelangen Sie zur Wissenschaftswelt der Technischen Universität Dresden.