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Auf Sensation gebürstete Islamkritik

Die Autorin Ayaan Hirsi Ali, einst selbst illegal nach Europa eingereist, warnt jetzt in ihrem Buch vor illegaler Einwanderung.

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Sieht durch Einwanderer Frauenrechte bedroht: Ayaan Hirsi Ali wurde in Somalia geboren und lebt inzwischen in den USA.
Sieht durch Einwanderer Frauenrechte bedroht: Ayaan Hirsi Ali wurde in Somalia geboren und lebt inzwischen in den USA. © imago

Von Michael Bittner

Die öffentliche Diskussion um den Islam ist in doppelter Weise vergiftet. Da sind zum einen die Rassisten. Sie erklären jeden Menschen muslimischen Glaubens und auch Leute, die nur so aussehen, als könnten sie Muslime sein, zum bloßen Abbild dieser Religion. Jedes Verbrechen von Einzelnen fälschen sie zum Beleg dafür, dass alle Muslime Barbaren und Invasoren wären. Sie unterscheiden weder zwischen verschiedenen Varianten des islamischen Glaubens noch zwischen den Gläubigen und den fanatischen, militanten Islamisten.

Auf der anderen Seite gibt es im linksliberalen Milieu Gruppen, die Kritik an den rückständigen Elementen der islamischen Religion und Warnungen vor dem aggressiven Islamismus als „Islamophobie“ denunzieren. Auch sie erschweren eine dringend notwendige Debatte.

Machos und unterdrückte Frauen

Von besonderer Bedeutung im Gespräch über den Islam sind Menschen, die selbst muslimischer Herkunft sind, sich aber für eine Modernisierung ihrer Religion einsetzen oder sich ganz von ihr verabschiedet haben. Zu ihnen zählt die Autorin Ayaan Hirsi Ali. Sie wuchs in Somalia, Saudi-Arabien und Kenia auf und lernte den Islam dabei in seiner reaktionärsten Form kennen. Als junge Frau nutzte sie eine Reise, um in den Niederlanden Asyl zu beantragen. Dort wurde Ali zur Atheistin und Islamkritikerin, erlangte die Staatsbürgerschaft und saß sogar im Parlament.

Sie war an dem Film „Submission“ beteiligt, der die islamische Frauenunterdrückung kritisierte, und dessen Regisseur Theo van Gogh von einem islamistischen Attentäter ermordet wurde. Ali ging in die USA, wo sie mit ihrer Islamkritik auf Zuspruch vor allem im konservativen und rechtslibertären Lager stieß. Das ändert nichts daran, dass sie in mancher Hinsicht recht hat.

Auf amerikanische Leser zugeschnitten

In ihrem neuen Buch „Beute“ wiederholt sie ihre Thesen unter dem Eindruck der europäischen „Flüchtlingskrise“ in den Jahren seit 2015. Der oft sensationalistische Text ist erkennbar auf amerikanische Leser zugeschnitten. Es fehlt leider nicht der Marketingtrick, das eigene Buch als Bruch eines „Tabus“ auszugeben. So, als würde nicht seit langer Zeit fast ununterbrochen öffentlich über den Islam diskutiert und als wären Verbrechen von Ausländern nicht beständig ein Hauptthema der Massenmedien.

"Kleine, aber gewalttätige Minderheit"

Ali schildert ausführlich und ausschließlich Sexualverbrechen, die von Migranten begangen wurden, bis der Eindruck entsteht, in Europa könnten sich Frauen kaum mehr auf die Straße wagen. Unter Rückgriff auf Kriminalstatistiken belegt sie, dass muslimische Asylbewerber häufiger zu Straftätern werden als Einheimische. Nur nebenbei erwähnt sie allerdings, dass dies nur „einer kleinen, aber gewalttätigen Minderheit unter den Neuankömmlingen zuzuschreiben“ ist.

Damit aber wird ihre weitere These fragwürdig, die Verbrechen seien nur der härteste Ausdruck des im Islam allgemein verbreiteten Patriarchats. Soll man die bestialischen Frauenmorde von mexikanischen Drogenbanden zum Ausdruck katholischer Kultur erklären? Oder deutsche Familienväter, die ihre eigenen Kinder vergewaltigen und Videos ihrer Taten ins Netz stellen, zu Repräsentanten der deutschen? Gewiss gibt es hier Zusammenhänge, aber Ali neigt zu Kurzschlüssen.

Hassobjekt von Fanatikern

Lesenswert und aufschlussreich sind jene Kapitel, in denen Ali die Machokultur, das sexuelle Elend und die Frauenunterdrückung für den zivilisatorischen Rückstand der islamischen Staaten und das individuelle Lebensversagen vieler muslimischer Männer verantwortlich macht. Sie hat völlig recht mit ihrer Forderung, dass die westlichen Gesellschaften jeden Versuch von Islamisten, die Säkularisierung und die Gleichberechtigung der Frau rückgängig zu machen, entschieden zurückweisen müssen. Ihren Mut, sich selbst zum Hassobjekt der Fanatiker zu machen, kann man nur bewundern.

Der schwächste Teil des Buches ist nicht zufällig derjenige, der „Lösungen“ anbieten will. Hat Ali doch zuvor das Bild einer beinahe ausweglosen Katastrophe gezeichnet und Integrationsarbeit ziemlich platt als weitgehend nutzlos verächtlich gemacht. In logisch kaum nachvollziehbarer Weise plädiert Ali dafür, „Migration“ zuzulassen und nur Integrationsunwillige abzuschieben, aber auch dafür, den „Grenzschutz“ zu verstärken. Sie ruft sogar nach mehr militärischen Interventionen des Westens in arabischen Staaten, als wären nicht gerade diese Abenteuer Hauptursache für Chaos, Bürgerkrieg und Massenflucht.

Migration als Schauergeschichte

Ali behauptet: „Es geht in diesem Buch nicht darum, männliche Migranten aus der muslimischen Welt zu dämonisieren.“ Effekt des Buches ist aber eben dies. Denn Migration wird in ihm fast ausschließlich als Schauergeschichte präsentiert. Dass Millionen von Menschen durch die Aufnahme in Europa Krieg, Diktatur und religiösem Zwang entkommen sind, nun in Sicherheit leben und wieder eine Existenzperspektive haben – all dies kommt in Alis Buch kaum zur Sprache. „Ich wäre eine monströse Heuchlerin, wenn ich die Befürworter von Abschiebungen und Zuwanderungsgrenzen unterstützen würde.“

Aber Alis Buch liefert vor allem Futter für eben diese Leute. Man kann gut verstehen, dass Ali nicht im Westen von den Verhältnissen eingeholt werden möchte, die sie durch ihre eigene Flucht hinter sich gelassen hatte. Aber eine Einwanderin, die einst selbst nur aufgrund unwahrer Behauptungen in Europa Asyl erhielt und nun ihr Geld damit verdient, vor „illegaler Einwanderung“ zu warnen – das ist doch ziemlich abgeschmackt.

Das Buch: Ayaan Hirsi Ali: Beute. Warum muslimische Einwanderung westliche Frauenrechte bedroht. Bertelsmann, 430 Seiten, 22 Euro