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Arbeitslos wegen Tätowierung und Piercing?

Anja Krogulec ist ein Fan von Körperschmuck. Dieser beschert ihr nun berufliche Erfahrungen, die sie nie machen wollte.

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Von Jenny Thümmler

Anja Krogulec ist eine Überraschung. Rote Haare, Piercings in Ohren und Gesicht, dazu Tätowierungen: ein Schmetterling mit Totenschädel am Hals und die Aufschrift „Rock and Roll“ auf den Fingern. So eine muss doch provozierend sein. Dreist. Aufmüpfig. Oder? Anja Krogulec ist fast schüchtern bei der Begrüßung, freundlich, lächelt offen. Nichts Provokantes ist in ihrer Art zu finden. Nichts Freches. Einfach eine sympathische junge Frau.

Aber es ist für die 36-Jährige nicht immer leicht, das zu zeigen. Seit Monaten sucht die gelernte Kinderpflegerin einen Arbeitsplatz, hat schon einige Bewerbungsgespräche gehabt. Doch sie wurde immer abgelehnt – mit dem Gefühl, wegen ihres Äußeren nicht eingestellt zu werden. „Man sieht ja, wie die Leute einen anschauen“, sagt sie. „Ich weiß, dass ich mit meinem Aussehen anecke. Aber ich dachte immer, dass ich das mit meinem Charakter wieder wettmache.“

Nach ihrer Ausbildung zur staatlich geprüften Kinderpflegerin hat Anja Krogulec das Fachabitur für Soziales gemacht. Ein Studienplatz für Sozialpädagogik war ihr bereits sicher, als sie sich anders entschied. „Das war wahrscheinlich der größte Fehler meines Lebens“, sagt sie heute. Sie bekam einen Job in einem Bekleidungsgeschäft für junge Mode – und ließ den Studienplatz sausen.

Acht Jahre arbeitete sie in dem Laden, bekam 2006 ihren Sohn Hans. Und sie ließ sich immer mehr Tattoos stechen. „Mir hat das schon immer gefallen. Und es wird wirklich zur Sucht, auch wenn es weh tut und teuer ist.“ Ihr damaliger Chef hatte nie ein Problem damit und auch die Kunden schauten nur auf den ersten Blick skeptisch. „Ich hätte nie gedacht, dass mein Aussehen mir mal Sorgen bereiten würde“, sagt Anja Krogulec.

Es sollte zum Beruf passen

Nachdem sie im September des vergangenen Jahres in die Arbeitslosigkeit ging, nahm sie an einem Integrationsprojekt von Lausitz Matrix teil. Projektbetreuerin Christa Knittel ist voll des Lobes über Anja Krogulec: „Ich habe sie als sehr angenehm empfunden. Immer pünktlich, fleißig und hilfsbereit.“ Sie habe darüber hinaus einen guten Einfluss auf andere Teilnehmer des Projekts gehabt. Christa Knittel kann es nicht verstehen, warum so jemand keinen Arbeitsplatz findet. „Ich bin entsetzt. Weil Arbeitgeber ihr nicht einmal die Chance gegeben haben, sie näher kennen zu lernen.“ Das Äußere könne doch nicht allein zählen.

Rüdiger Neumann vom DRK beantwortet das mit einer Anekdote. Demente Menschen in den Pflegeheimen würden sich oft wundern, sogar Angst bekommen, wenn sie von Leuten mit Tätowierungen versorgt werden. Denn in deren Generation hätten so etwas nur Häftlinge, Seefahrer oder üble Burschen getragen. Und auch wenn das in einer Kita nicht das Thema ist, seien Piercings eine Frage der Arbeitssicherheit. „Ich habe bei Bewerbungsgesprächen auch oft das Thema der langen schönen Fingernägel“, sagt Rüdiger Neumann. Das passe einfach nicht in den Beruf. Bei der Arbeit mit kleinen Kindern sei das Verletzungsrisiko zu groß.

Auch beim ASB kann man sich vorstellen, dass Tätowierungen in Kindertageseinrichtungen nicht gern gesehen sind. Eltern könnten sich daran stoßen. Andrea Werner von der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe des ASB sind Bewerber mit sichtbaren Tattoos jedoch bislang nicht bekannt. „Pauschal sollte man das aber nicht betrachten. Es muss zur Persönlichkeit des Bewerbers passen.“ Im Fall von Anja Krogulec vermutet sie die Schwierigkeit, eine Anstellung zu finden, eher in ihrer Ausbildung. Im sächsischen Kita-Gesetz sind die Berufsabschlüsse von Fachkräften, die empfohlen und finanziell gefördert werden, genau geregelt – viel strenger als in anderen Bundesländern. Und eine Kinderpflegerin werde es da immer schwer haben.

Anja Krogulec wird weiter ihr Ziel verfolgen, einen Job im sozialen Bereich zu finden. Mit Kindern oder Jugendlichen zu arbeiten, das ist ihr Traum. Schichtdienste sind schwierig, da sie alleinerziehend ist. Ihre Eltern leben zwar in Görlitz, können sich aber nicht täglich um den kleinen Enkel kümmern. Außerdem hat Anja Krogulec Angst, dann nicht genug für ihren Sohn tun zu können. „Ich will da sein, ihn erziehen und nicht nur abends ins Bett bringen.“

Sie hat es nie bereut

Ein Studium traut sie sich nicht mehr zu. In eine Großstadt umziehen will sie nicht, wegen ihres Sohnes. Und sie will auch ihre Tattoos in Zukunft nicht verstecken oder gar entfernen lassen. „Bereut habe ich das nie. Die Leute sollen ruhig sehen, wie ich aussehe.“ So sucht sie weiter – und hofft, dass Engagement und Fachwissen für einen künftigen Arbeitgeber mehr zählen als ihr ungewöhnliches Äußeres.