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Satirische Denkanstöße aus Kreischa

Jörg Herrmann ist Deutschlands letzter Silhouettenfilmer. Seine jüngste Produktion läuft beim Festival in Chemnitz.

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© Jörg Herrmann

Von Thomas Morgenroth

Kreischa. Am Fuße der mächtigen Statue eines schnauzbärtigen Mannes, der an den sowjetischen Diktator Stalin erinnert, stellt sich ein Mann mit gelber Schirmmütze auf einen Hocker und hält vor einer Menschenmenge eine Rede. Was er spricht, ist nicht zu verstehen – es ist Dada, die „Sonate in Urlauten“ von Kurt Schwitters. Das Volk jubelt und ändert die Farbe der bislang weißen Mützen zu Gelb. Schließlich wirft die Menge ein Lasso über das Denkmal und stürzt es vom Sockel. Im selben Augenblick aber wächst dahinter aus der Erde eine neue Götzenfigur in den Himmel. Sie steht, bis ein Mann mit grüner Mütze das Volk von seinen Ansichten überzeugt – und es erneut zu einem Umsturz kommt.

Trickfilmer Jörg Herrmann arbeitet in seinem Studio in Gombsen im Auftrag des Dresdner Weber-Museums an einem Silhouettenfilm über den Komponisten Carl Maria von Weber.
Trickfilmer Jörg Herrmann arbeitet in seinem Studio in Gombsen im Auftrag des Dresdner Weber-Museums an einem Silhouettenfilm über den Komponisten Carl Maria von Weber. © Karl-Ludwig Oberthür

„Denk mal“ heißt diese hochaktuelle satirische Abhandlung über den Wechsel von Ideologien und den Einfluss von Demagogen. Es ist der neueste Silhouettenfilm von Jörg Herrmann aus Gombsen, der am Dienstag beim 23. Internationalen Filmfestival Schlingel im CineStar in Chemnitz seine Uraufführung hat. Der Wettbewerb, der jedes Jahr in der Woche vor den sächsischen Herbstferien stattfindet, ist speziell auf ein junges Publikum ausgerichtet.

Dazu passt Herrmanns Dreiminüter nicht nur inhaltlich, sondern auch personell: An der Produktion im Mediahaus Kreischa war mit Linda Schmidt eine junge Frau beteiligt, die an der Bildungsakademie der Semperschulen in Dresden zur Mediengestalterin ausgebildet wird. Bei Jörg Herrmann, der im Juni 77 geworden ist, absolvierte sie ein Praktikum. Für „denk mal“ übernahm Linda Schmidt die Gestaltung der Figuren und der Szenenbilder. Die Anregung für das Drehbuch bekam Jörg Herrmann von Frank Dittrich, einem befreundeten Filmamateur, der ihm bei einem Besuch eine Karikatur mit einem sich in der Erde drehenden Denkmal zeigte.

Der Film entstand auf Herrmanns drei Meter langen Tricktisch, dessen Glasplatte von unten beleuchtet wird. Darauf hat Jörg Herrmann die mittels Fäden beweglichen Scherenschnitte animiert und fotografiert – 24 Bilder für jede Sekunde Film. Die digitalen Fotos wurden dann am Rechner zusammengesetzt. Die bewegten Szenen selbst aber sind in reiner Handarbeit entstanden, und damit ist Herrmann deutschlandweit der einzige Silhouettenfilmer, der seine Schattenfiguren noch traditionell bewegt. Und herstellt: Der Trickfilmer schneidet sie aus schwarzer Pappe aus.

„Denk mal“ ist Jörg Herrmanns 41. Silhouettenfilm. Seinen ersten machte er 1972 zusammen mit Bruno J. Böttge im Defa-Studio für Trickfilme in Dresden-Gorbitz. „Lieber Mohr“ hieß der Streifen, der von Karl Marx handelt und den Herrmann jetzt als „Directors Cut“ neu auflegen will – ohne die damals auf Geheiß der Partei eingefügten politischen Zwischentitel.

Zum Trickfilm ist der gebürtige Dresdner eher zufällig gekommen. Als er mit 15 einen Wettbewerb von Amateurpuppenspielern gewann, bekam der angehende Tischler das Angebot, nach seiner Gesellenprüfung als Animator zu arbeiten. Herrmann kam 1958 in das Trickfilmstudio, holte das Abitur nach, studierte berufsbegleitend in Babelsberg Regie und Szenaristik und in Berlin Philosophie und Logik. Nach seiner Promotion machte er sich selbstständig und produziert seit 1982 in Kreischa seine eigenen Filme. Unter anderem entstanden dort 24 Folgen des „Sandmännchens“ für das DDR-Fernsehen.

Die Technik des bewegten Scherenschnittes begeistert Herrmann bis heute. 2011 gewann er für seine Umsetzung der Krabat-Sage in Chemnitz einen Schlingel für den besten Animationsfilm. Mit 72 Minuten ist der „Der siebente Rabe“ zudem der längste manuell animierte Silhouettenfilm aller Zeiten. Der erste überhaupt wurde 1919 in den Kinos gezeigt. Die 100 Jahre werden ab 23. November mit einer großen Sonderausstellung auf der Filmburg Querfurt in Sachsen-Anhalt gewürdigt – gestaltet von Jörg Herrmann.

Auf seinem Tricktisch hat das Denkmal inzwischen dem Dresdner Komponisten Carl Maria von Weber Platz gemacht. Herrmann zeigt in seinem neuen Film am Beispiel der Oper „Der Freischütz“ wie Weber komponierte – nämlich beim Spazierengehen zwischen der Hofoper und seinem Wohnhaus in Hosterwitz. Für das Profil des damaligen Hofkapellmeisters nutzt Herrmann einen zeitgenössischen Scherenschnitt. Anders als in „denk mal“ ist die Ähnlichkeit mit echten Personen dann nicht nur „rein zufällig“.