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Auf dem Bauernhof clean werden

Auf dem Land kämpfen Jugendliche gegen ihre Sucht – aber es gibt nur neun Plätze.

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© Anne Hübschmann

Von Catharina Karlshaus

Radebeul/Priestewitz. Sebastian hat schon einige Stunden hinter sich. Die Dunkelsten hoffentlich sowieso und mehr davon, als sich manch Gleichaltriger je vorzustellen wagt. Heute ist der 16-Jährige aber bereits pünktlich um sechs aufgestanden, hat gemeinsam mit seinen sieben Mitbewohnern Frühsport gemacht und gefrühstückt. Nachdem das Geschirr weggeräumt, die Böden gekehrt und die Betten in Form gebracht worden sind, bereitet er sich nun auf die Schule vor. „Wir schreiben gleich eine Arbeit“, murmelt Sebastian vielsagend und steckt den Kopf in seine Unterlagen.

Lernmaterial, das ebenso zum wieder neu eroberten Tagesablauf des Zwickauers gehört, wie überhaupt aufzustehen oder sich so was wie einer Struktur auszusetzen. Noch vor gut ein paar Monaten sah das bei ihm ganz anders aus. In den drei Jahren vor seinem Aufenthalt im Priestewitzer Ortsteil Dallwitz bestimmte das tägliche Trinken von Alkohol sein Tun. So wie der eigene Vater und der Bruder diktierte die Sucht sein Denken und Handeln.

Während sich andere 13 Jahre alte Jungs auf dem Fußballplatz trafen, überlegte Sebastian, wie er an Bier und Schnaps kommen könnte. Hochprozentige Getränke, die ihm die Flucht aus dem Alltag mit der schwer kranken, depressiven Mutter ermöglichten. Getränke, die ihn letztlich hierher auf den Bauernhof, in eine Wohngruppe mit sieben anderen Mädchen und Jungen, gebracht haben.

2012 angemietet von der Radebeuler Sozialprojekte gGmbH, bietet das idyllisch gelegene Areal Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 21 Jahren die Chance auf einen Neubeginn. Inmitten von 15 000 Quadratmetern Feldern und angelegtem Garten kämpfen sie sich mit einer maximalen Aufenthaltsdauer von 18 Monaten mühsam zurück ins Leben. Betreut von sieben Pädagogen, einer Psychologin und Suchttherapeutin, Erlebnis- und Arbeitstherapeuten müssen sie sich täglich neu überwinden, austesten und an ihre Grenzen gehen. „Diejenigen, die bei uns sind, haben bereits eine Entgiftung von Drogen oder eben wie bei Sebastian Alkohol hinter sich. Bei uns lernen sie, ohne die Süchte zu leben“, erklärt Sozialpädagoge Pascal Bolenz.

Praktisch bedeutet dieses Programm: eine 24-stündige Betreuung durch Erzieher und Therapeuten, Kontakt- und Besuchssperre in den ersten sechs Wochen, eine sechsmonatige Entwicklungsphase mit einem speziellen Training und regelmäßigen Alkohol- und Drogenkontrollen. Darüber hinaus bietet die Einrichtung pädagogische und therapeutische Angebote, welche die Schaffung von Bewährungssituationen und die intensive Arbeit mit Eltern oder Sorgeberechtigten einschließt.

Ein harter Prozess, den aber auch nicht jeder ehemalige Bewohner bis zum Ende durchgehalten habe. „Daraus wollen wir auch gar keinen Hehl machen. Jeder Tag ist für die Betroffenen eine neue Herausforderung, und nicht alle halten ihr stand. Häufig sind biologische, psychologische und soziale Faktoren für die Suchtproblematik und freundschaftliche Kontakte in das bisherige problematische Lebensumfeld dafür verantwortlich“, weiß Pascal Bolenz.

Gegenwärtig absolviert der 29-Jährige Aufnahmegespräche für den einen noch freien Platz in der Gruppe. Bewerber dafür gebe es genug und auch ein zweiter therapeutischer Hof nach Dallwitzer Vorbild in Pulsnitz könne den Bedarf nicht abdecken. Die Jugendlichen kämen aus Dresden, Leipzig, dem Erzgebirge und sogar Berlin nach Dallwitz. Nachfragen gebe es immer und eine Warteliste, die viel über die Suchtproblematik in unserer Gesellschaft verrate.

Obgleich sich Crystal, Cannabis, Kokain und Alkohol längst mitten unter uns befänden, werde zu wenig auf das Problem reagiert. „Zum einen könnte man wesentlich mehr Aufklärung betreiben. Und zum anderen müssten viel mehr Gelder für therapeutische Einrichtungen wie unsere bereitgestellt werden“, gibt Pascal Bolenz zu bedenken. Sebastian hatte Glück und hat die Monate in Dallwitz genutzt. Was nach seinem Auszug im Sommer wird? „Dann geht der Kampf erst richtig los“.