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Auf dem Jahrmarkt Zuhause

Richard Berger hätte gern eine Geisterbahn gehabt. Stattdessen betreibt er einen Autoscooter. Seinen Kindern zuliebe.

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© Sebastian Schultz

Von Christoph Scharf

Lorenzkirch. Noch liegt nur ein rechteckiges Muster aus Stahlträgern auf den Elbwiesen bei Lorenzkirch. Dazwischen verteilen sich Kanthölzer in unterschiedlichen Längen. Ringsum Lkws mit Stahlplatten und mehr. Aus all dem will Richard Berger diese Woche noch einen Autoscooter aufbauen. „Drei Tage Arbeit brauchen wir dafür“, sagt der 42-Jährige mit breitem Lächeln. „Wollen Sie gleich mit anpacken?“

Das bleibt aber dann doch besser den Fachleuten überlassen: Das sind Richard Berger und zwei Mitarbeiter, die nun Stück für Stück den Unterbau der Fahrbahn zusammensetzen. Das ist nicht so einfach: Damit später die Stahlkonstruktion bis zum Dachstuhl ohne Spalt zusammenpasst, muss von Anfang an mit dem Laser ausnivelliert werden. Und das auf dem Elbwiesen des Lorenzmarkts, die nicht gerade eben sind. Deshalb die vielen Kanthölzer, die nun millimetergenau an die richtige Stelle kommen müssen.

Das Ganze braucht Zeit und Arbeitskraft – das einzige Problem, das Richard Berger mit seinem Autoscooter hat. 2008 hat er sich mit der Anlage selbstständig gemacht, die heute 40 Jahre auf dem Buckel hat. „Ein moderner Autoscooter wäre leichter aufzubauen, aber für mich unbezahlbar gewesen.“ Und die Jahrmarkt-Besucher fahren ohnehin längst wieder auf die kleinen Elektromobile ab. „Es gab nur nach der Wende eine Delle, als alle die modernen Fahrgeschäfte ausprobieren wollten, die es vorher nicht gab“, sagt Richard Berger. Jetzt steigen die Leute wieder gern ein, um mit anderen um die Wette zu kurven – oder sich einfach nur ordentlich zu rammen. „An welchem Fahrgeschäft sonst können die Kunden selbst das Tempo vorgeben“, fragt der Mann aus Sprotta in der Nähe von Eilenburg.

Dabei ist Berger eigentlich mit dem Riesenrad großgeworden: In siebter Generation ist seine Familie als Schausteller tätig. Und traditionsgemäß gehörten Riesenräder dazu. Nach der Wende aber, als das Geld der Kunden nicht mehr locker saß und nötige Investitionen zu teuer wurden, wusste keiner, wie es weiter geht. Anstatt wie geplant Schmied zu lernen, absolvierte Richard Berger eine Lehre als Steuerfachgehilfe – und hatte dem Jahrmarkt fast entsagt. Bis ihn dann doch die Familienehre packte und er zurück ins Metier fand. „Im Nachhinein hätte ich nichts Besseres als Steuerfachgehilfe lernen können. Das spart mir jedes Jahr ordentlich Geld. Und alles andere, was man braucht, kann man ohnehin auf dem Jahrmarkt lernen.“ Sagt er, und lächelt schon wieder.

Nun also reist er mit dem Autoscooter über die Märkte von Zittau bis Lorenzkirch, ist auf der Vogelwiese in Dresden, beim Oktoberfest in Riesa, beim Weinfest in Radebeul anzutreffen. Von März bis Anfang November geht das so. Dann wird einen Monat lang der Weihnachtsmarkt vorbereitet, auf dem Richard Berger und seine Frau Kräppelchen und Waffeln anbieten. Nur im Januar bleibt Zeit zur Ruhe, bevor im Februar der Autoscooter für die neue Saison auf Vordermann gebracht wird. – Gern wäre der 42-Jährige auch mit einer Geisterbahn auf Achse. Aber das geht nicht: Denn solche speziellen Attraktionen müssen überregional unterwegs sein, weil sie nicht zweimal nacheinander auf demselben Jahrmarkt beim Kunden ankommen.

Die Standards Autoscooter, Riesenrad, Schießbude dagegen gehen immer. Und deshalb ist der Familienvater auch fast nur in Sachsen unterwegs. Und das hat seinen Grund: Denn er möchte seinen Kindern, zehn und sechs Jahre alt, nicht die jährlich 20-fachen Schulwechsel zumuten, wie es im Schaustellergewerbe üblich ist. Deshalb besuchen die Kinder ganz regulär Zuhause die Schule – und Bergers Frau kommt erst morgens nach Schulbeginn auf den Jahrmarkt gefahren, um zu helfen. So klappt es beim großen Kind sogar mit dem Gymnasium, was ansonsten unmöglich wäre. Die Kleine aber wird ihren Schulanfang nachfeiern müssen – der Lorenzmarkt geht vor.

Der Lorenzmarkt lockt Freitag bis Montag mit Jahrmarkt, Rummel, Festzelt, Party, Höhenfeuerwerk, Oldtimertreffen, Blasmusik-und mehr. Freitag geht es 17 Uhr mit einem Gottesdienst auf dem Autoscooter los, an den anderen Tagen um 9 Uhr. Die Fähre fährt bis in die Nacht.