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Auf dem Weg zum Tschechisch-Olymp

Bereits zum 25. Mal lernen Deutsche in einem Sommerkurs in Usti Tschechisch. Ihre Motive sind unterschiedlich.

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© Steffen Neumann

Von Steffen Neumann

Usti nad Labem. Im Hörsaal der Universität in Usti nad Labem (Aussig) rauchen die Köpfe. Denn im Tschechischen ist „gehen“ nicht gleich „gehen“. „Es ist etwas anderes, ob ich jeden Tag auf Arbeit gehe oder heute ins Kino“, versucht Lehrerin Eva Krovova zu erklären. Es braucht eine Weile, bis bei den Schülern der Knoten platzt. Die kommen aus Deutschland und Österreich und lernen zwei Wochen lang Tschechisch. Bis Ende August findet bereits zum 25. Mal die Tschechisch-Akademie der Purkyne-Universität statt. Schüler klingt übrigens verfänglich, sitzen hier doch Menschen fast jeden Alters zusammen, aktuell zwischen 45 und 87 Jahre. Obwohl Tschechisch noch über weitere Gemeinheiten wie sieben Fälle, eine Menge Ausnahmen und so manchen Zungenbrecher verfügt, verzweifelt hier niemand. Die meisten von ihnen sind sogar Wiederholungstäter. In fünf Gruppen aufgeteilt lernen sie in kleinen Gruppen vom blutigen Anfänger bis zum Fortgeschrittenen. Der Gipfel ist der „Olymp“, wie sie hier die fünfte Gruppe nennen.

Zwei Wochen intensiv

Gabi Donath und Cornelia Kempe stehen mit der zweitbesten Gruppe quasi kurz davor. Sie kommen aus einem Dorf bei Meißen bzw. aus Frauenstein und haben sich extra zwei Wochen Urlaub genommen. „Wann haben wir das schon, dass wir am Stück intensiv Tschechisch lernen können, noch dazu vor Ort?“, fragen sie. An die Sprache unserer Nachbarn wagte sich Donath bereits vor 1989. Kempe hat außerdem Freunde in Tschechien und wohnt ohnehin nahe der Grenze. Doch erst ein vom Arbeitgeber bezahlter Sprachkurs war der Auslöser, mehr zu machen. „Das hing mit dem EU-Beitritt Tschechiens 2004 zusammen“, so Donath, die wie Kempe in der öffentlichen Verwaltung arbeitet.

Zwar zahlen die beiden ihre Sprachkurse längst selbst, doch sie hatten Feuer gefangen. „Irgendwann reichte uns der Volkshochschulkurs nicht mehr aus. Für Anfänger ist da immer gut gesorgt, doch Fortgeschrittene gibt es leider zu wenig, sodass seltener Kurse angeboten werden“, weiß Cornelia Kempe. Eine Mitschülerin gab den entscheidenden Tipp. Seitdem sind sie in Usti Stammgäste.

Die meisten Teilnehmer brauchen aber keinen Urlaub, denn sie sind bereits in Rente, wie Reinhold Babel. Der 72-Jährige ist so etwas wie ein typischer Sprachschüler der Sommerakademie. Denn er wurde noch in Böhmen geboren, ehe er im Alter von zwei Jahren mit seinen Eltern vertrieben wurde. Solche Biografien haben hier viele. Wird der Kurs auf deutscher Seite doch von der Ackermann-Gemeinde organisiert, einem christlich orientierten Verein sudetendeutscher Vertriebener. Als die Akademie im Sommer 1992 unter dem Namen „Colloquia Ustensia“ (Aussiger Colloquien) aus der Taufe gehoben wurde, gehörten frühere Sudetendeutsche und ihre Nachfahren zu den ersten Schülern. Die Ackermann-Gemeinde setzte sich bereits kurz nach 1945 für eine Aussöhnung zwischen Deutschen und Tschechen ein, und dazu gehörte auch das Lernen der Sprache, das bessere Verständnis der Kultur und Geschichte der Nachbarn, die einmal Jahrhunderte zusammenlebten.

Auch Christoph Lippert kommt aus so einer Familie. Sein Großvater diente noch als Offizier in Leitmeritz (heute Litomerice), erzählt er im besten Tschechisch in seinem Kurs. Der 62-Jährige organisiert das Colloquium gemeinsam mit seiner Frau Ursula seit 20 Jahren quasi nebenbei. Denn neben dem Beruf bleibt nur wenig Zeit. „Das funktioniert, weil wir nicht von Fördergeldern oder Sponsoren abhängig sind. Das ist immer mit viel Arbeit verbunden.“

Der Kurs finanziert sich allein aus Teilnehmergebühren, die mit knapp 500 Euro trotzdem mehr als erschwinglich sind. „Die Erklärung ist einfach: Wir arbeiten sehr kostenschonend“, sagt Dozentin Kristina Kaiserova, die für die Universität organisiert. Das Wohnheim ist im Sommer ohnehin nicht besetzt und sehr günstig. Den Teilnehmern wiederum macht der einfache, aber gepflegte Standard in einem Hochhaus nichts aus. „Außerdem machen wir das meiste selbst“, so Kaiserova weiter.

Das betrifft neben dem Unterricht am Vormittag vor allem das reichhaltige Begleitprogramm. Fast jeden Tag gibt es einen Ausflug: ins Wallenstein-Schloss nach Litvinov (Oberleutensdorf), nach Ceska Kamenice (Böhmisch Kamnitz) oder zum Sommersitz des ersten tschechoslowakischen Präsidenten Tomas G. Masaryk nach Lany bei Prag. Abends gibt es Vorträge. „Teure Experten können wir uns nicht leisten“, sagt Kaiserova. Dass die Referenten so gut sind, wie teure Experten, liegt an ihrem guten Netzwerk.

Immer mehr Sachsen

Das alles erklärt ein bisschen, warum die Akademie schon so lange ein „Selbstläufer“ ist, wie Lippert es nennt. Ein Nachwuchsproblem kennt er nicht, was auch an der Atmosphäre liegt. „Es ist sehr familiär, viele kennen und freuen sich, sich wiederzusehen“, so Lippert. Dazu kommen jedes Jahr immer etwa fünf Neue, zunehmend aus Dippoldiswalde, Pirna, Dresden oder eben Frauenstein und Meißen. Sie haben anders als die „klassischen“ Sommerschüler in der Regel keinen sudetendeutschen Hintergrund, sondern wollen einfach die Sprache der Nachbarn lernen.

Lehrerin Krovova achtet darauf, dass es dabei nicht zu kompliziert wird. „Die Grammatik steht nicht im Vordergrund. Man kann sich auch ohne schon gut verständigen“, sagt sie. Richtig so: Ob ich jeden Tag auf ein pivo in die hospoda gehe oder nur heute Abend, geschenkt! Hauptsache böhmisches Bier.