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Auf den Spuren der Puppenhausbauer

Kaufmannsladen und Puppenstube waren einst typische Geschenke für Kinder. Hergestellt wurden sie im Erzgebirge.

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© Wolfgang Thieme

Von Gabi Thieme

Ursula Knoll aus Marienberg weiß immer, über welches Weihnachtsgeschenk sich ihre Tochter Ulrike am meisten freut. Denn für die gibt es nichts Schöneres als ein neues Puppenhaus – oder besser gesagt – ein möglichst altes. Obwohl die 31-Jährige längst nicht mehr damit spielt, beschäftigt sich die noch kinderlose, aber fest liierte Frau in jeder freien Minute – zuletzt sogar nächtelang – mit Puppenstuben. Mittlerweile gelten beide Frauen als die kompetentesten Puppenhausforscherinnen Sachsens.

Aus dem Jahr 1923 für den Export nach Amerika bestimmt: Puppenstube im Wohnmobil.
Aus dem Jahr 1923 für den Export nach Amerika bestimmt: Puppenstube im Wohnmobil. © Wolfgang Thieme
Die detailreiche Puppenschule von 1938 ist eine der Raritäten in der Knoll’schen Sammlung.
Die detailreiche Puppenschule von 1938 ist eine der Raritäten in der Knoll’schen Sammlung. © Wolfgang Thieme
Das Erbstück, mit dem die Sammelleidenschaft begann: Eine Puppenküche aus dem Jahr 1938.
Das Erbstück, mit dem die Sammelleidenschaft begann: Eine Puppenküche aus dem Jahr 1938. © Wolfgang Thieme

Begonnen hatte alles mit drei Erbstücken, die Ulrike Knoll mit fünf und sechs Jahren zu Weihnachten geschenkt bekam: Kaufmannsladen, Puppenstube und Puppenküche. Schon die Oma und Mutter Ursula hatten damit gespielt. Die Mutter – von Beruf Bauingenieurin – strich sie neu an und verpasste der Stube frische Tapete. Noch heute grämt sie sich über ihren Eifer. Die Tochter spielte etliche Jahre damit, dann verschwanden die Sachen auf dem Boden. Ihr Interesse wurde erst wieder geweckt, als Mutter und Tochter häufiger über Trödelmärkte schlenderten. Zum 22.  Geburtstag schenkte die Mutter der Tochter zum ersten Mal wieder eine dort erworbene Puppenstube. Da studierte Ulrike Knoll bereits Geschichte und Kunstgeschichte. „Es war der Beginn unserer Sammelleidenschaft“, gesteht sie. Die Puppenstube von damals steht jetzt als Dauerleihgabe im Industriemuseum Chemnitz.

Nur Ältere erinnern sich

„Etwa ab der 20. Stube habe ich mir als Historikerin aber auch zunehmend die Frage gestellt, wer die Spielsachen hergestellt hat“, berichtet Ulrike Knoll. Sie habe nach Fachliteratur und in alten Spielzeugkatalogen gesucht, sei auf ein „Lexikon der Puppenstuben und Puppenhäuser“ aufmerksam geworden und stieß so auch auf Moritz Gottschalk. Nur die älteren Marienberger kennen noch den Namen und die riesige „Fabrik feiner Holzspielwaren und Kinder-Militärartikel“ am Bahnhof. In Spitzenzeiten arbeiteten hier 200 Beschäftigte.

1873 hatte der gelernte Buchbinder Gottschalk an dem Stadtort in einem alten Hammerwerk mit der Spielzeugproduktion begonnen. Ab den 1880er-Jahren expandierte er zunehmend, baute alle Spielsachen ausschließlich aus Holz und avancierte zu einem der Weltmarktführer der Branche. „Schon vor 1900 exportierte er bis nach Übersee und baute dort eine eigene Handelsvertretung auf. Weil die Puppenhäuser nicht in Musterkoffer passten, ließ er in einer Druckerei in Zöblitz Katalogblätter herstellen und reiste mit ihnen auch selbst um die Welt. Moritz Gottschalk starb 1905. „Alle Nachfolger führten das Familienunternehmen in seinem Sinn weiter“, weiß Ulrike Knoll. Was die junge Frau besonders beeindruckt: „Bei Gottschalk gab es nicht nur für alle Arbeitsschritte eigene Werkstätten. Die Produzenten gingen auch mit der Zeit: 1908 erstrahlte das erste Puppenhaus mit elektrischem Licht. Bad und Küche erhielten fließend Wasser. Die Kleider der Puppen widerspiegeln die Mode der Zeit. Die Lebenswelt der Erwachsenen wurde 1:1 abgebildet.“

Mit dem Zweiten Weltkrieg war es damit vorbei. „Ab 1943 mussten kriegswichtige Waren produziert werden. Das war auch der Grund, weshalb die Sowjetarmee im Mai 1945 die Fabrikantenvilla in Beschlag nahm, Maschinen demontierte, abtransportierte oder auch vernichtete. Sogar die Exponate im Musterzimmer wurden teilweise zerstört“, fand Ulrike Knoll heraus. „Das wenige, was übrig blieb, fiel 1981 einem vorsätzlich gelegten Brand zum Opfer.“ Da sei die Fabrik längst verstaatlicht und dem DDR-Spielzeugkombinat Vero als Werk 4 zugeordnet gewesen. 1990 erfolgten die Stilllegung der Produktion und die Rückübertragung der Immobilie an die Alteigentümer. Die wiederum verkauften sie an die Stadt.

Erste Ausstellung war ein Erfolg

Damit war der Weg frei für den staatlich geförderten Abriss der Brache. Aus einem Teil des Verkaufserlöses gründete der in Berlin lebende Gottschalk-Urenkel und Architekt Heinz Wagner die Moritz-Gottschalk-Stiftung. Sie finanziert jedes Jahr für die begabtesten Schüler des Marienberger Gymnasiums Sprachreisen. Tochter und Mutter Knoll haben über Auktionen und Recherchen im Internet inzwischen 70 verschiedene Gottschalk-Stuben erworben.

Weil sie ihre Leidenschaft und ihr Wissen mit anderen teilen wollen, gestalteten sie 2014 erstmals eine Moritz-Gottschalk-Ausstellung im Bergmagazin Marienberg. Wegen des großen Echos beschlossen sie, jedes Jahr einige Sammelstücke zu zeigen. So sind derzeit zehn Puppenhäuser in der Weihnachtssonderschau des Pohl-Ströher-Depots in Gelenau zu sehen. Das Bergmagazin ihrer Stadt zeigt 50 Stuben, Kaufläden und anderes – diesmal aber aus der Werkstatt von Albin Schönherr.

Der hatte zunächst in der Firma Gottschalk gearbeitet, ab 1893 aber im benachbarten Niederlautstein eine eigene Fertigung aufgebaut. „Es war eine ähnliche Produktpalette. Schönherrs Stuben waren allerdings nicht ganz so ausgefallen, daher vom Preis her erschwinglicher. Auch diese Firma blieb 1972 von der verordneten Verstaatlichung nicht verschont,“ sagt Knoll. Mit der Überführung ins Kombinat Vero seien alle alten Herstellernamen endgültig verschwunden.

Zumindest zu Moritz Gottschalk haben die beiden Marienbergerinnen nun die Ergebnisse von zweijährigen Recherchen weitgehend abgeschlossen und in einem mit vielen Fotos illustrierten Buch zusammengefasst. Von den Museumsleitern aus dem ganzen Erzgebirge gab es dafür bereits dickes Lob. (fp)

Das Buch „Vom Kindertraum zum Sammelobjekt“ ist zweisprachig (Englisch/Deutsch) im Eigenverlag erschienen, 160 Seiten, 54 [email protected]