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„Autofahrer sind doch keine Terroristen“

Ein Rechtsanwalt nimmt den Kampf gegen das Landratsamt Meißen auf. Er bezeichnete die Blitzer-Bescheide als falsch.

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© Archiv/Claudia Hübschmann

Von Ulf Mallek

Meißen. Joachim Lutze aus einem Ort in der Nähe von Celle ist mit seinem Auto geblitzt worden. Im Landkreis Meißen. Wo genau, vermag er jetzt nicht zu sagen. Aber ganz sicher weiß er: Der Bescheid aus dem Landratsamt ist falsch. Denn er saß gar nicht am Steuer und erhält ein fremdes Foto zugeschickt. Das verstößt doch gegen den Datenschutz. Außerdem fehlt dem Bescheid eine Rechtsmittelbelehrung. „Der Landkreis Meißen handelt hier nicht rechtmäßig“, sagt Lutze der SZ.

Joachim Lutze, von Beruf Rechtsanwalt und Justiziar bei einem Verband freier Handwerker in Celle, ist ein bereits langjähriger Kämpfer gegen behördliche Radarfallen. Landratsämter oder Kommunen stellen sie seiner Meinung nach nicht aus verkehrserzieherischen Gründen auf, sondern um ihre Kassen zu füllen. Und tatsächlich: Allein die insgesamt 13 fest installierten und zwei mobilen Blitzer des Landratsamts erwirtschafteten im Jahr 2015 etwa 2,3 Millionen Euro.

Die meisten Fotos schoss die stationäre Anlage in Diesbar-Seußlitz. Sie meldete 2015 insgesamt 9 074 Verstöße. Gleich dahinter rangieren die beiden Blitzer in Katzenberg, der am Auer und in Thiendorf. Die meisten erfassten Fahrzeuge melden die zwei Radarfallen in Wildberg. Aber die Tempoverstöße sind dort nur halb so hoch wie in Diesbar-Seußlitz. Doch, so Rechtsanwalt Lutze, sind viele der Mahnschreiben des Landratsamts auf der Grundlage dieser Blitzer-Meldungen falsch. Die Behörde verstoße laut Lutze gegen Recht und Gesetz.

Der Sachgebietsleiter im Meißner Ordnungsamt Alexander Strelec sieht das ganz anders. In seinem Amt werde strikt nach den Gesetzlichkeiten gehandelt. Strelec: „Soweit nicht davon auszugehen ist, dass der Fahrzeughalter nicht selbst Fahrzeugführer ist, erhält dieser eine Anhörung zum Tatvorwurf mit Übermittlung des Fahrerbildes und wird belehrt. Liegen Anhaltspunkte vor, dass der Fahrzeughalter nicht Fahrzeugführer ist, erhält der Fahrzeughalter einen Zeugenfragebogen mit Übermittlung des Fahrerbildes und wird als Zeuge im Ermittlungsverfahren aufgefordert, den tatsächlichen Fahrzeugführer zu benennen.“ Die Übermittlung des Fahrerbildes, so Strelec, erfolgt auf der Grundlage des sächsischen Datenschutzgesetztes. Denn wie anders soll denn der richtige Fahrer ermittelt werden?

Ganz eindeutig ohne Foto-Verschickung, sagt Lutze. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht schon im Jahr 2010 festgestellt, dass solche amtlichen Personenfotos rechtmäßig sind. Die Sicherheit im Straßenverkehr steht über dem Grundrecht der informationellen Selbstbestimmung. Aber das höchste deutsche Gericht hat laut Lutze nicht gesagt, dass solche Fotos an Fremde verschickt werden dürfen. Rechtliche Grundlage der Fotoverschickung ist der Paragraf 100h der Strafprozessordnung. Er legitimiert das Anfertigen von Bildaufnahmen zu Observationszwecken. Bei dem Paragrafen handelt es sich um eine Anti-Terrormaßnahme. Und dieser Paragraf muss jetzt herhalten für die Bestrafung von Autofahrern, die zehn km/h zu schnell gefahren sind?, fragt Lutze. Und weiter: „Ich kenne einige Richter, die es ablehnen, auf der Grundlage dieses Paragrafen zu urteilen. Sie sagen: Autofahrer sind doch keine Terroristen.“ Das Problem, so Lutze, ist der Missbrauch der behördlich erhobenen Daten. Ein eifersüchtiger Ehemann bekommt so mit, dass seine Frau gar nicht bei ihrer Mutter war, sondern bei einem Liebhaber. Oder der Arbeitgeber bemerkt dank des Mahnschreibens, dass sein Mitarbeiter früher Feierabend gemacht hat. „Das Verschicken einer Anfrage nach der Identität des Fahrers würde auch ohne Foto gut funktionieren“, sagt Lutz. „Ein Foto ist überhaupt nicht nötig.“ Eine schlechte Idee ist es für die Betroffenen, eine unbeteiligte Person als tatsächlichen Fahrer anzugeben. Denn dies stellt nach Paragraf 164 Strafgesetzbuch eine Straftat dar. Besser ist, so wird empfohlen, nichts zu sagen. Aufgrund des Aussage- und Zeugnisverweigerungsrechts muss man weder sich selbst noch einen Angehörigen belasten.

Viele Behörden reagieren allerdings auf Schweigen mit weiteren Ermittlungen. Sie zeigen Fotos schnell auch mal dem Nachbarn zur Identifizierung des Fahrers. Die Fahrerlaubnisbehörde kann auch eine Fahrtenbuchauflage anordnen, deren Dauer in der Regel zwischen sechs und 18 Monaten liegt. Allerdings, so Anwalt Lutz, geschieht das alles in der Regel nicht bei Bagatelldelikten, die etwa mit 15 Euro geahndet werden.

Lutze will jetzt Akteneinsicht in seinem Fall. Dann vors Gericht ziehen. Er ist recht siegesgewiss.