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Theater in Bautzen feiert Doppel-Jubiläum mit besonderem Stück

Am 2. Dezember feiert die deutsche Erstaufführung von „Schierzens Hanka“ Premiere im Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen. Was das Spiel so besonders macht.

Von Katja Schlenker
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Das Stück "Schierzens Hanka" wird in Bautzen erstmals in deutscher Sprache aufgeführt, unter anderem mit Petra-Maria Wenzel als Großmutter, Anna-Maria Brankatschk als Marja Schierz, Mirko Brankatschk als Georg Schierz und Julia Klingner als Hanka (v.l.).
Das Stück "Schierzens Hanka" wird in Bautzen erstmals in deutscher Sprache aufgeführt, unter anderem mit Petra-Maria Wenzel als Großmutter, Anna-Maria Brankatschk als Marja Schierz, Mirko Brankatschk als Georg Schierz und Julia Klingner als Hanka (v.l.). © DSVTh/Miroslaw Nowotny

Bautzen. Das Theater in Bautzen feiert 2023 ein Doppel-Jubiläum: zum einen 75 Jahre sorbisches Berufstheater, zum anderen die Tatsache, dass vor 60 Jahren das sorbische Berufstheater und das bereits 1796 gegründete Stadttheater zum Deutsch-Sorbischen Volkstheater fusioniert wurden.

Aufgrund dieser beiden Anlässe wird es am 2. Dezember eine Festveranstaltung rund um die deutsche Erstaufführung von „Schierzens Hanka“ geben. Im Gespräch mit Sächsische.de erklärt Regisseurin Esther Undisz alles Wissenswerte rund um das Stück. Die 54-Jährige hat bereits bei der sorbischen Inszenierung, die am 12. Februar 2022 uraufgeführt wurde, Regie geführt.

Esther Undisz führt Regie bei „Schierzens Hanka“, das nun erstmals auf Deutsch im Deutsch-Sorbischen Volkstheater in Bautzen gezeigt wird.
Esther Undisz führt Regie bei „Schierzens Hanka“, das nun erstmals auf Deutsch im Deutsch-Sorbischen Volkstheater in Bautzen gezeigt wird. © Steffen Unger

Frau Undisz, in „Schierzens Hanka“ rekonstruieren Sie das Schicksal von Annemarie Schierz. Können Sie uns kurz deren Geschichte erzählen?

Annemarie Schierz wurde 1918 als Jüdin und uneheliches Kind der Dresdener Kaufmannstochter Gertrud Kreidl geboren, wuchs dann aber als katholische Sorbin in Horka nahe Crostwitz auf. Ihr Vormund und Großvater Carl Kreidl ließ das Kind in der Obhut der Geschwister Georg und Maria Schierz.

Hanka, so die sorbische Kurzform von Annemarie, ist – obwohl katholisch getauft und aufgewachsen – von den antijüdischen Rassegesetzen der Nationalsozialisten betroffen gewesen. Ihr Adoptivvater Georg hat lange versucht, seine Familie zu schützen. Jedoch: Von einem Verhör durch die Gestapo 1942 ist Hanka nicht mehr zurückgekehrt. Über ihren weiteren Verbleib ist kaum etwas bekannt.

Wie sind Sie mit dieser Geschichte in Berührung gekommen?

Ich hatte bereits zuvor am Deutsch-Sorbischen Volkstheater gearbeitet. So ist der Kontakt zu Madlenka Scholze entstanden, die dort Dramaturgin und Stellvertreterin des Intendanten für sorbisches Theater ist. Sie erzählte mir damals von Hankas Geschichte. Das gab den ersten Anstoß. Als wir dann die deutsche Fassung der Novelle von Jurij Koch lasen, sind wir uns rasch einig geworden, dass man den Stoff für die Bühne anders anpacken muss. Ich dachte, wenn man die Geschichte heute erzählt, muss man näher an der Figur bleiben.

Jurij Koch hat das Schicksal von Hanka in den 1960er-Jahren in einer sorbischen Novelle festgehalten. Welchen Einfluss hatte sein Werk auf Ihre Arbeit?

Ohne die Novelle von Jurij Koch wären wir heute nicht in der Lage, das Stück „Schierzens Hanka“ auf die Bühne zu bringen, denn dann wäre die Geschichte vermutlich schon vor langer Zeit verloren gegangen. Mein Ansatz bei dem Theaterstück war, so viel wie möglich von real existierenden Quellen zu erzählen und die Lücken möglichst plausibel zu füllen. Das unterscheidet das Theaterstück von der Novelle.

Am Ende ist ein Exposé entstanden, das ich der Stiftung für das sorbische Volk als Auftraggeber, aber auch Jurij Koch geschickt habe. Seine Meinung dazu war mir wichtig, und er war damit einverstanden.

Auf welche zuverlässigen Quellen konnten Sie bei Ihrer Recherche zurückgreifen?

Nachdem klar war, dass wir das Stück auf die Bühne bringen wollen, habe ich angefangen zu recherchieren – zum einen zur Geschichte der Familie, zum anderen zur Zeit damals und der Region. Ich wollte wissen, wie Hankas Leben ausgesehen hat. Der Historiker Alexander Polk, der heute im Sorbischen Museum arbeitet, hat als Student eine umfangreiche Seminararbeit über Hanka geschrieben. Darin hat er verschiedene Erzählungen systematisch verglichen und diesen Fakten gegenübergestellt. Das war hilfreich.

Außerdem konnte ich mit Eva Maria Elle sprechen, die heute auf dem Hof der Familie Schierz in Horka lebt. Ihr Großvater hat Hanka noch erlebt und später seine Erinnerungen aufgeschrieben. Die Familie von Eva Maria Elle ist entfernt verwandt mit der Familie Schierz. Sie ist bemüht, deren Geschichte weiter zu recherchieren und vor allem die Geschichten zu erhalten, die in der Familie erzählt werden. Sie hat uns für die Inszenierung sogar Fotos von Hanka zur Verfügung gestellt.

Im Stück steht Hanka als Person im Mittelpunkt. Wie kann man den historischen Kontext einbauen, ohne dass dieser auf die Handlung störend wirkt?

Harte Fakten werden zum Beispiel von Erzählern vermittelt. Diese liefern Hintergrundinformationen zum besseren Verständnis. Anderes findet Eingang in die Szenen und wird spielerisch gezeigt. Das systematische Verbot der sorbischen Kultur und Sprache zum Beispiel. Sorbisch sprechen in der Öffentlichkeit war verboten und fand zuletzt nur noch im Gottesdienst statt. Ich fand es wichtig, dass das Publikum diese Fakten kennt. Das ist Teil der Botschaft: der Geschichte nachzugehen.

Das Stück wird nun nach der sorbischen Premiere 2022 in deutscher Sprache mit sorbischen Elementen gezeigt – wie bekommt man das auf der Bühne zusammen?

Die Hauptsprache in der Aufführung ist Deutsch. Wenn die sorbischen Figuren unter sich sind, sprechen sie Obersorbisch. Sind sie im Gespräch mit der Staatsgewalt, zum Beispiel mit dem deutschen Postbeamten, sprechen sie Deutsch. Die deutsche Übersetzung wird für die sorbischen Texte eingeblendet, sodass alle Zuschauer den Inhalt verfolgen können.

Was macht die Geschichte von Hanka für Sie als Regisseurin so besonders?

Da gibt es mehrere Aspekte. Eine wichtige Frage für mich war, wie sich der Umgang der Menschen im Dorf Horka zwischen 1918 und 1943 veränderte. Wie verhielt sich die fast ausschließlich sorbische Bevölkerung? Jurij Koch berichtet, dass Hanka als kleines Kind noch Judenmädchen gerufen wurde.

Als der 1. Mai 1933 von Hitler als Feiertag eingeführt wurde, gab es überall im Land große Aufmärsche, auch in Crostwitz. Dort wird berichtet, dass sorbische Gemeinschaften und Vereine ebenso daran teilnahmen wie nationalsozialistische Organisationen.

Auch liegt uns ein Foto von Herbst 1933 vor, als in Horka das Kriegerdenkmal eingeweiht wurde. Darauf ist auch Hanka zu sehen, die zu diesem Anlass ein Gedicht sprach. Das finde ich interessant, wie das zusammengeht. Offenbar findet das zu einer Zeit statt, in der vieles parallel geschieht und auseinanderdriftet.

Ein weiterer spannender Aspekt in Hankas Geschichte ist ihre Firmung im Juli 1934. Daran nimmt sie in der festlichen Druschka-Tracht der Sorben teil, gibt sich dabei aber den Firmnamen Esther, der als Bekenntnis zu ihren jüdischen Wurzeln zu verstehen ist. Mit der Firmung selbst bekennt sie sich zu ihrem katholischen Glauben. Für mich ist interessant, warum sie diese Entscheidung getroffen hat. Der Antisemitismus war zu dieser Zeit schon längst im Alltag angekommen.

Premiere ist am 2. Dezember 2023, 18 Uhr. Dabei gibt es eine Feierstunde anlässlich des Doppel-Jubiläums am Deutsch-Sorbischen Volkstheater.

Weitere Termine: 7. Dezember, 19.30 Uhr; 13. Januar 2024, 19.30 Uhr, 21. Januar, 15 Uhr, und 28. Januar, 19.30 Uhr; 23. Februar 2024, 19.30 Uhr; 5., 20. und 27. April 2024, jeweils 19.30 Uhr.

Karten gibt es in allen DDV-Lokalen und Online sowie an der Theater- und an der Abendkasse.