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Komödie um ein Hitler-Bild

Premiere am Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen: In der schwarzen Komödie „Nachtland“ zerstreitet sich eine Familie über ein Aquarell von Adolf Hitler.

Von Rainer Kasselt
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Larissa Ruppert spielt die quicklebendige und aggressive Nicola (l.). Ihr Mann Fabian (Niklas Krajewski, r.) ist ein Weichei und Spießer. Und ihr Bruder Philipp (Janik Marder, M.) ist ein Träumer.
Larissa Ruppert spielt die quicklebendige und aggressive Nicola (l.). Ihr Mann Fabian (Niklas Krajewski, r.) ist ein Weichei und Spießer. Und ihr Bruder Philipp (Janik Marder, M.) ist ein Träumer. © Deutsch-Sorbisches Volkstheater

Die Geschwister Nicola und Philipp kümmern sich um den Nachlass ihres Vaters. Sie möchte das Gerümpel wegwerfen, er sucht nach einem Erinnerungsstück. Auf dem Dachboden findet sich ein gut verpacktes Bild. Ein kleines Aquarell mit alter Kirche, blassem Himmel, grauen Wolken. „Kitsch“, urteilt die Schwester. „Wunderschön“, meint der Bruder. Seine Frau Judith entdeckt die Signatur A. Hitler. Eine Sensation.

Der Hitlerkult hat nie aufgehört

Am Freitag gab es im Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen kräftigen Beifall für die Premiere der schwarzen Komödie „Nachtland“ von Marius von Mayenburg, uraufgeführt Ende 2022. Ein brandaktuelles Stück. Es geht um den nie aufgehörten Hitlerkult und weit verbreiteten Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft. Es geht auch um Moral und Geld, um die Einheit von Künstler und Werk. Während Judith den „Nazi-Kitsch“ am liebsten auf dem Grill verbrennen möchte, wollen die Geschwister das Bild verkaufen. Nicola träumt von einem Haus mit Terrasse. Gutachterin Evamaria bestätigt die Echtheit des Aquarells und schwärmt vom kühnen Pinselstrich Hitlers.

Wo kommt das Bild her? Die Spur führt zu Oma Grete, die lange tot ist. Sie war Sängerin an der Staatsoper München und hatte während des Krieges ein Verhältnis mit dem NS-Bonzen Martin Bormann, einem engen Vertrauten des „Führers“. Bormann schenkte das Bild seiner Geliebten. Judith, eine deutsche Jüdin, ist geschockt. Von der Nazi-Vergangenheit der Familie ahnte sie nichts. Nicola reagiert genervt: „Ich weiß, für euch ist das immer gleich Antisemitismus, dabei ist das nur Kritik an Israel, ihr könnt das nicht auseinanderhalten.“ Judith hält dagegen: Kritik an Israel sei „Antisemitismus von links“.

Es kommt zum Verkauf. Ein eleganter, aalglatter Herr zieht vor dem Bild andächtig den Hut. Er bietet 140.000 Euro. Antisemitismus, raunt er, ziehe sich durch die deutsche Geistesgeschichte von Luther, Goethe, Kant bis zu den Brüdern Mann. „Wir lauschen voller Ehrfurcht, wenn Furtwängler dirigiert oder Karajan, das waren noch Titanen, das kann heute nur noch Thielemann.“ Angestachelt von Judiths Widerrede bietet der Käufer 200.000 Euro, wenn sie mit ihm einen Abend verbringt. Das antisemitische Klischee von der „schönen Jüdin“ beherrscht seine Sinne. Frank Schilcher spielt die Figur fulminant und leicht dozierend.

Gelungene Balance von Satire und Ernst

Regisseurin Silke Johanna Fischer inszeniert erstmals in Bautzen. Sie hält die Komödie in der Balance von Satire und Ernst, hat einen guten Blick für witzige Details und Tempowechsel. Agiert wird auf der vollgemüllten Bühne der Ausstatterin Katharina Lorenz. Putzlappen liegen herum, Teppiche werden eingerollt, Kartons gestapelt, Säcke geschleppt. Die Darsteller haben zu tun, treppauf und treppab. Urkomödiantin Gabriele Rothmann persifliert hinreißend die Gutachterin Evamaria: „Ich erkenne meinen Hitler!“ In orgiastischer Verzückung tastet sie mit weißen Handschuhen jeden Zentimeter des Gemäldes ab. Larissa Ruppert verkörpert die quicklebendige und aggressive Nicola. Sie verachtet ihren Mann Fabian (Niklas Krajewski) als Weichei und Spießer. Und küsst in geschwisterlicher Liebe ihren Bruder Philipp. Eine Anspielung auf die inzestuöse Verbindung von Siegmund und Sieglinde in Wagners „Der Ring des Nibelungen“ – dazugehörige Klänge inklusive.

Verblüffender Schluss

Janik Marder interpretiert den Bruder als fantasievollen, fahrigen Träumer. Im Aquarell glaubt er die Utopie einer friedlichen Welt zu erkennen. „Hitler als Künstler statt als Diktator“, redet er sich das Bild schön. Maja Adler als Judith ist vom Buch her eher Thesenträgerin als lebhafte junge Frau. Sie nähert sich der Figur fragend, bebt vor Empörung, jeder Satz eine Salve. Am Ende zerstört sie das verhasste Bild. Der verblüffende Schluss wird nicht verraten, der gut zweistündige Abend lohnt den Besuch.

Dramatiker Marius von Mayenburg verknüpft Fiktion mit historischen Fakten. Hitlers Bild von 1912 „Ruprechtskirche im 1. Wiener Bezirk“ gibt es wirklich. Der Briefwechsel Bormanns ist authentisch. Er galt der Dresdner Schauspielerin Manja Behrens, dem DDR-Publikum von Bühne und Film vertraut, wie im Programmheft nachzulesen. Auch die im Stück erwähnte geschäftliche Beziehung Hitlers mit dem Wiener jüdischen Glasermeister Samuel Morgenstern ist verbürgt. Morgenstern fertigte die Rahmen für dessen Bilder – und vertrieb sie. Ein Jude hilft dem Judenmörder, kaum vorstellbar. Morgenstern starb 1943 im Ghetto von Litzmannstadt.

Wieder im Deutsch-Sorbischen Volkstheater Bautzen am 8., 23. und 28. März. Kartentelefon: 03591 584 225