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So schneidet man alte Obstbäume richtig

In der Oberlausitz gibt es noch viele alte Streuobstwiesen und -alleen. Zwei junge Baumwarte aus der Region wissen, was zu tun ist, um sie zu erhalten.

Von Anne Semlin
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Georg Kolpe kümmert sich als Baumwart um Streuobstwiesen und -alleen in der Oberlausitz.
Georg Kolpe kümmert sich als Baumwart um Streuobstwiesen und -alleen in der Oberlausitz. © Steffen Unger

Großdubrau. Wie so oft in den Wintermonaten ist das laute Knattern von Motorsägen zu hören. Am Ortsrand von Kronförstchen in der Gemeinde Großdubrau trägt der Wind Motorengeräusche aus einem Waldstück. Auch Georg Kolpe ist mit Schnittarbeiten an den Bäumen beschäftigt. Bei ihm auf der kleinen Streuobstwiese ist es allerdings ganz still.

Der 25-Jährige steht mit einer Leiter und einer kleinen Astschere an einem der alten Apfelbäume und schneidet behutsam einige Triebe ab. Am benachbarten Baum ist sein Kollege Matthias Werheid am Werk. Es ist ein friedliches Bild, nur ab und zu wechseln die beiden ein paar Worte miteinander.

Die beiden Männer haben sich über ein halbes Jahr lang an einer Baumschnittschule in Thüringen zum Baumwart ausbilden lassen. Gemeinsam kümmern sie sich an diesem sonnigen Februartag um die Streuobstwiese von Mike und Susen Wilczek. „Wir sind vor drei Jahren von Dresden hierhergezogen, unserer Pferde wegen“, erklärt Mike Wilczek. Die stehen ein paar Meter weiter und malmen das Grün auf den Wiesen der insgesamt vier Hektar am Hof.

Falsche Schnitte und andere Schäden schwächen Bäume

Zum Bestand gehören auch etliche alte Obstbäume. „Natürlich könnte ich hier auch selbst Hand anlegen, aber zum einen sind es sehr viele, zum anderen wollen wir, dass die alten Sorten hier ordentlich gepflegt und erhalten werden“, sagt Mike Wilczek. Um möglichst viel Ertrag gehe es ihnen dabei nicht. „Wir wollen einfach, dass es den Bäumen gut geht.“

Deshalb haben sie die beiden Baumwarte beauftragt. Mit Schnittwerkzeugen und einer Kletterausrüstung kümmern sie sich nun um die alten Apfelbäume. „Leider wurde hier schon so manches falsch gemacht“, sagt Georg Kolpe und zeigt auf einen der Bäume. „Die wurden alle mal oben gekappt.“ An der alten Schnittstelle wachsen zahllose gerade Triebe steil empor. „Eine große Wurzel hat viel Kraft. Der Baum steckt in einem solchen Fall viel Energie ins Wachstum, fruchtet aber nicht.“

Wird ein Baum unsachgemäß geschnitten wie hier, kann er die entstandene Wunde nicht verschließen. Sie ist Einfallstor für Bakterien und Pilze, die den Baum langfristig schwächen.
Wird ein Baum unsachgemäß geschnitten wie hier, kann er die entstandene Wunde nicht verschließen. Sie ist Einfallstor für Bakterien und Pilze, die den Baum langfristig schwächen. © Steffen Unger

Die Triebe seien unter Umständen schlecht verankert, stünden zu dicht und nähmen dadurch den Früchten das Licht. Hier versuchen die Baumwarte, den Baum durch gezielte Schnitte langfristig zu beruhigen. An einem anderen Baum ist ein Ast abgerissen und hat eine große Wunde hinterlassen. Auch Schäden durch falsche Schnitte, Gerätschaften oder Tiere sehen die Baumwarte oft. „Solche Wunden kann der Baum nicht verschließen. Sie sind dann Einfallstor für Bakterien und Pilze, die ihn schwächen.“

Obstbäume brauchen die Pflege durch den Menschen

Ihre Herangehensweise beschreiben die beiden Baumwarte als extensiv und naturgemäß. „Wir schauen uns die Bäume genau an und beobachten, wo sie welche Triebe entwickeln“, erklärt Georg Kolpe, während er die Leiter neu positioniert und flink wieder heraufklettert. Sie würden mit dem Baum statt gegen ihn arbeiten. So müsste ein Altbaum, ab 30 Jahren, in der Regel nur noch alle fünf bis sieben Jahre geschnitten werden, vorher etwa alle ein bis zwei Jahre.

Aber gepflegt werden sollte er auf jeden Fall, meinen die Baumpfleger. „Ein Obstbaum ist eine vom Menschen geschaffene und veredelte Kulturpflanze. Sie braucht die Pflege des Menschen“, sagt Kolpe. „Wenn der Baum die nicht bekommt, bricht er zusammen.“ Er vergreise und sterbe frühzeitig ab. „Wir versuchen, den Baum langfristig ausgeglichen zu halten.“

Die Baumwarte arbeiten mit handlichen Baumscheren und -sägen.
Die Baumwarte arbeiten mit handlichen Baumscheren und -sägen. © Steffen Unger

So unterstützen sie ihn dabei, ein Gerüst herauszubilden, mit dem er stabil steht und schöne Früchte tragen kann. Dazu verjüngen sie ihn in der Regel, indem sie altes Holz entfernen. „Das ist auch viel Bildungsarbeit“, sagt Matthias Werheid. Der weit verbreitete Ausspruch etwa, man müsse einen Hut durch die Krone werfen können, stimme nicht.

Die beiden Baumwarte verstehen sich als „Anwälte der Kulturlandschaft“. Werheid bietet neben Baumpflege-Arbeiten auch Sortenverkostungen an. „Dann fragen die Leute oft, wo denn die leckeren Äpfel herkommen. Und ich kann ihnen sagen: aus deinem Garten oder von der benachbarten Streuobstwiese.“ Er weiß auch: Alte Sorten schmecken oft besser, wenn sie eine Weile gelagert wurden.

Frisch geschnitten: Die Baumwarte schauen sich vor dem Schneiden genau an, wo der Baum wie austreibt und wie er auf ihre Schnitte reagieren wird.
Frisch geschnitten: Die Baumwarte schauen sich vor dem Schneiden genau an, wo der Baum wie austreibt und wie er auf ihre Schnitte reagieren wird. © Steffen Unger

Kolpe und Werheid wünschen sich, dass das alte Wissen zu den Sorten und über die Pflege der Bäume nicht verlorengeht. „Wir haben hier solche Schätze direkt vor der Haustür. Zum einen sind Streuobstwiesen und Alleen ästhetisch wertvoll. Es sind Landschaftselemente, über die wir uns mit einem Ort identifizieren und verbinden können. Zum anderen können sie uns auch noch ernähren“, sagt Georg Kolpe, der in Dresden Landschaftsarchitektur studiert hat.

„Oft haben die Menschen auch noch persönliche Beziehungen zu den Bäumen“, erzählt sein Kollege. „Etwa weil der Baum anlässlich einer Geburt oder Hochzeit oder vom Großvater gepflanzt wurde.“ Ein weiterer Aspekt des Kulturguts Streuobstwiese sei auch ihre Funktion als Habitat für verschiedene Vögel, Kleintiere und Insekten.

Streuobstanbau gehört seit 2021 zum Unesco-Kulturerbe

Über viele Jahrhunderte waren Streuobstwiesen wichtiger Bestandteil der Ernährung. Im 20. Jahrhundert verloren sie mehr und mehr an Bedeutung. Es wurden kaum neue Obstbäume nachgepflanzt. Zugleich fielen viele Streuobstwiesen Neu-Bebauungen am Ortsrand zum Opfer. Auch Obstbäume an Wegen und Straßen verschwinden nach wie vor, wie der Landschaftspflegeverband Nordwestsachsen berichtet. Die fehlende Pflege der Streuobstbestände führe zu jährlich stark schwankenden Ernteerträgen und dem frühzeitigen Absterben von Baumkronen.

Auch eine Kletterausrüstung gehört zum Arbeitsgerät von Baumwart Georg Kolpe.
Auch eine Kletterausrüstung gehört zum Arbeitsgerät von Baumwart Georg Kolpe. © Steffen Unger

Der Freistaat Sachsen hat Streuobstbestände deshalb im Sächsischen Naturschutzgesetz unter besonderen Schutz gestellt. Für die Pflanzung, Pflege und Sanierung von Obstbaumbeständen gibt es Förderprogramme vom Freistaat. Seit 2021 gehört Streuobstanbau zum Immateriellen Kulturerbe der Unesco.

Wer Obstbäume in seinem Garten hat, dem empfehlen die Baumwarte, für die Pflege entweder einen Profi zu Rate zu ziehen oder selbst einen Kurs zu belegen. „Einen falsch abgeschnittenen Ast kann man nicht wieder ankleben. Und solche Fehler können auch nicht mit einem einzigen guten Schnitt wieder behoben werden“, sagt Kolpe und macht sich selbst an den nächsten Ast.