Seit Wochen ist die Polizei jeden Montag bei den Corona-Protesten in Bautzen im Einsatz. Wie sie die Lage einschätzt – und wann sie schärfer durchgreift.
Bautzen. Viele Polizeiautos prägen seit Wochen jeden Montagabend das Bild in Bautzen. Für die Einsätze bei den Corona-Demos verantwortlich ist Polizeidirektor Mario Steiner, der das Revier in Bautzen leitet. Mit Sächsische.de sprach der 57-Jährige darüber, wie er die Lage einschätzt – und warum die Polizei nicht schärfer durchgreift.
Herr Steiner, bei den Protesten, die wir in den letzten Wochen erlebt haben, gab es immer wieder Angriffe auf Polizisten. Einige wurden verletzt. Wie geht es Ihnen in dieser Situation?
Ich bin in Bautzen für den Einsatz verantwortlich und natürlich wünsche ich uns, dass wir alle abends gesund wieder heimreisen. Ich habe das jetzt nicht zusammengerechnet, aber diesen Montag sind vier Polizisten verletzt worden, in einer der Vorwochen hatten wir sieben verletzte Beamte. Zum Glück ging es bisher nicht um schwere Verletzungen, sondern eher um Knalltraumata, Prellungen und Ähnliches. Dennoch: Es ist schlimm, wenn jemand im Dienst verletzt wird.
Wie bereiten Sie sich auf die Einsätze vor?
Wir planen unsere Einsätze für den folgenden Montag immer ab Dienstag in der Vorwoche. Dazwischen liegen aber immer auch noch andere Einsätze, die wir zu verantworten haben. Der Montag ist aber definitiv ein Einsatz-Höhepunkt: Wir müssen rechtzeitig Kräfte anfordern, die uns unterstützen. Aus dem Streifendienst, aus dem Kriminaldienst, aus Dresden, Leipzig, Chemnitz, aus anderen Bundesländern, von der Bundespolizei.
Mit wie vielen Kräften sind Sie denn in der Regel vor Ort?
Wir geben keine genaue Zahl heraus, aber es sind mehrere Hundertschaften.
Trotzdem entsteht manchmal der Eindruck, dass nicht durchgegriffen wird. An diesem Montag, zum Beispiel, gab es nach dem angemeldeten Aufzug einen zweiten, der nicht angemeldet war. Aus diesem wurde Pyrotechnik geworfen. Warum geht die Polizei da nicht schärfer vor?
Erstmal muss man sagen: Nur, weil der Aufzug nicht angezeigt war, heißt das nicht, dass er nicht stattfinden durfte. Wenn Aufzüge friedlich sind, gibt es erstmal keinen Grund, diese aufzulösen. Das Problem, wenn Aufzüge nicht angemeldet sind, ist, dass wir diese nicht absichern können. Da kann es dann zum Beispiel zu Verkehrsunfällen kommen.
Aus diesem zweiten Aufzug wurde Pyrotechnik geworfen…
Das stimmt, ja. Auch ein Polizeifahrzeug ist beschädigt worden. Wir haben den Tatverdächtigen angezeigt. Wenn aus einem Aufzug mit vielleicht 300 Personen einer einen Knaller wirft, wird allerdings nicht der gesamte Aufzug gleich unfriedlich. Wenn das nur ein oder zwei Leute sind, muss die Polizei diese Leute herausziehen, um das Recht auf Versammlungsfreiheit zu gewährleisten. Montag haben wir bei diesem zweiten Aufzug dann dennoch entschieden, dass er nicht mehr als friedlich anzusehen ist. In der Töpferstraße haben wir ihn dann gestoppt. Dort gab es dann auch mehrere Widerstände gegen Vollstreckungsbeamte.
Warum ist geduldet worden, dass sich wochenlang – trotz der Beschränkung auf zehn Teilnehmer – Hunderte um den Kornmarkt versammelten?
Man muss festhalten, dass es sich beim Kornmarkt um eine Innenstadtlage handelt. Dort sind auch Unbeteiligte unterwegs. Es ist schwierig zu differenzieren, wo eine Versammlung anfängt – und wo es sich um jemanden handelt, der einfach nur mit seiner Familie zum Einkaufen gegangen ist. Die Leute haben ja zum Beispiel auch keine Transparente in der Hand.
"Unser Handeln muss ja auch verhältnismäßig sein"
Da standen Hunderte, das war doch ziemlich eindeutig…
Vordergründig geht es um die Bekämpfung der Pandemie. Wenn die Abstände eingehalten werden und Mund-Nasen-Schutz getragen wird, dann wird dem Genüge getan.
Mit Verlaub, das war doch aber nicht der Fall.
Gut, es steht natürlich niemandem auf die Stirn geschrieben, ob er geimpft ist oder ein Maskenattest hat. Das müsste man überprüfen.
Und warum wird das nicht gemacht? Fehlt da die Kapazität? Ist es nicht gewünscht?
Nein, das ist beides nicht der Fall. Aber unser Handeln muss ja auch verhältnismäßig sein. Als die Regeln noch streng waren und sich nur zehn Leute versammeln durften, haben wir mit dem Lautsprecherwagen Durchsagen gemacht, dass sich die Leute vereinzeln sollen.
Es gab auch Forderungen, in solchen Fällen Wasserwerfer einzusetzen. Was sagen Sie dazu?
Wasserwerfer können zum Aufhalten von Menschenströmen oder zum Auflösen von Aufzügen verwendet werden. Im Rahmen der Demonstrationen gegen die Corona-Regeln sind in Sachsen von der Polizei explizit keine Wasserwerfer eingesetzt worden. 90 Prozent der Teilnehmer sind ja friedlich, das wäre nicht verhältnismäßig.
Dazu muss man sagen: Grundsätzlich droht dem Leiter einer nicht angezeigten Versammlung zwar eine Strafanzeige. Die bloße Teilnahme an einer nicht angezeigten Versammlung ist im Normalfall aber noch nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit. Nur durch die Corona-Notfall-Verordnung ist es das nun. Das ist auf dem Niveau wie Falschparken. Dass wir da nicht mit massiver Gewalt durchgreifen, erklärt sich doch von selbst. Schlagstöcke und Pfefferspray kommen nur dann zum Einsatz, wenn einfache körperliche Gewalt nicht zum Erfolg geführt hat – und Angriffe auf unsere Beamten abgewehrt werden müssen.
Ermittlungen gegen Beamte: "Wir nehmen das sehr ernst"
Zum Stand der Ermittlungen kann ich nichts sagen. Mir ist auch nicht bekannt, um wie viele Fälle es geht. Wichtig ist aber zu wissen, dass – wenn es Anzeigen gibt wegen eines Verdachts der Körperverletzung im Amt – dann auf jeden Fall ermittelt wird. Da haben wir einen Strafverfolgungszwang; das dürfen wir nicht ignorieren. Wir reagieren da selbst, auch wenn es nur einen Twitter-Beitrag mit Hinweisen gibt. Wir nehmen das sehr ernst und sind da sehr sensibel.
Wie groß schätzen Sie den gewaltbereiten Anteil der Demonstrationsteilnehmer in Bautzen ein?
Die meisten der Demonstrierenden sind friedlich und wollen keine Gewalt. Da kommt es auch immer wieder zu entsprechenden Positionierungen. Es ist nur eine Minderheit der Teilnehmer gewaltbereit. Wie viele das konkret sind, ändert sich natürlich jede Woche. Ich gehe aber davon aus, dass wir in der Spitze etwa 150 gewaltbereite Teilnehmer hatten.
Sind das alles Leute aus der rechtsextremen Szene?
Wir können natürlich auch nur diejenigen der rechtsextremen Szene zuordnen, wo wir entsprechende Hinweise haben. Das kann Kleidung sein, das können bestimmte Äußerungen sein oder Straftaten. Da hat ein Versammlungsteilnehmer den Hitlergruß gezeigt und "Heil Hitler" gerufen. Wir differenzieren da nicht weiter. Wir schätzen das gewaltbereite Personenpotenzial auf etwa 150 Leute – ob es sich dabei nur um Rechtsextreme handelt, wissen wir nicht.
Redner haben neulich angedeutet, dass auch krawallbereite Linksextreme vor Ort waren.
Dazu gibt es keinerlei Hinweise.
Es gab jetzt ein erstes beschleunigtes Verfahren am Bautzener Amtsgericht gegen einen Protestteilnehmer, der eine Polizeikette durchbrochen und dabei einen Polizisten zu Boden gerissen hat. Außerdem hatte der Mann Pyrotechnik dabei.
Stimmt, solche beschleunigten Verfahren sind ein schönes Mittel. Die Strafe folgt der Tat auf dem Fuße. Es ist wichtig, dass ein Tatverdächtiger schnell die Folgen seines Handelns bemerkt. In diesem Fall gab es eine Bewährungsstrafe, und der Mann musste zahlen. Das ist ein deutliches Zeichen, dass Angriffe auf Polizeibeamte nicht geduldet werden.
Und trotzdem ist es nur eine Bewährungsstrafe.
Ja, aber das bedeutet ja auch, wenn er noch ein weiteres Mal mit ähnlichen Straftaten festgestellt wird, kann er, wenn ein Richter so entscheidet, in Haft kommen.