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Kreis Bautzen: Pflegeeltern dringend gesucht

Bei den Marschalls lebt eines von mehr als 200 Pflegekindern im Landkreis Bautzen. Wie sie Pflegeeltern geworden sind und warum es mehr von ihnen braucht.

Von David Berndt
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Michaela und Robert Marschall aus Bautzen sind seit 13 Jahren Pflegeeltern. Weitere Familien, die Pflegekinder aufnehmen, werden gesucht.
Michaela und Robert Marschall aus Bautzen sind seit 13 Jahren Pflegeeltern. Weitere Familien, die Pflegekinder aufnehmen, werden gesucht. © SZ/Uwe Soeder

Bautzen. Eine große Familie war ihr Wunsch. Und bei sechs Kindern lässt sich wohl sagen, dass er für Michaela und Robert Marschall aus Bautzen in Erfüllung gegangen ist. Eines davon ist ein Pflegekind, aber für die Marschalls macht das keinen Unterschied. „Als ich sie das erste Mal auf dem Arm hatte, dachte ich sofort: ‚Das ist unsere Tochter‘“, erinnert sich Michaela Marschall. Seit 2008 lebt die Pflegetochter bei Marschalls. Damals war sie noch ein Baby. Mittlerweile ist sie 13 und das fünfte der sechs Kinder, alle mit nicht allzu großen Altersunterschieden.

Damit sind die Marschalls eine von vielen Familien, die sich im Landkreis Bautzen um derzeit 240 Pflegekinder kümmern. Auch Verwandte wie Onkels und Tanten oder Cousins und Cousinen übernehmen diese Aufgabe. Im Schnitt leben in jeder dieser Familien zwei Pflegekinder.

Ginge es nach Grit Rengers, dürften es noch mehr Pflegefamilien sein. „Wir bringen Kinder lieber in einem familiären Umfeld unter als in einem Heim“, erklärt die Mitarbeiterin des Pflegekinderdienstes des Landkreises Bautzen. Daher suche man nach weiteren potenziellen Pflegefamilien. Vor Kurzem wurde deshalb auch mit einer Kreativaktion auf das Thema aufmerksam gemacht.

Feste Struktur einer Familie ist besser fürs Kind

Trotz der guten Arbeit in den Heimen gebe es dort nun mal wechselnde Bezugspersonen für die Kinder. Die feste Struktur in einer Familie sei einfach besser. Aber auch dort brauche es eine ganze Weile, bis sich Pflegekinder an das neue Umfeld gewöhnt haben, unabhängig vom Alter.

Michaela Marschall kann das bestätigen. Sie sei nochmal ein dreiviertel Jahr mit ihrer Pflegetochter „schwanger gegangen“, blickt sie auf die Anfangszeit zurück. Damals habe das Baby etwa Abwehrreaktionen beim Wickeln gezeigt. Zudem mussten die Marschalls noch andere Schwierigkeiten meistern. Denn ihre Pflegetochter hat eine Behinderung. Bei ihr fehle die Verbindung der beiden Gehirnhälften. Das habe sie von ihrer Mutter geerbt, die zudem blind sei. Aus diesem Grund wurde sie in Obhut genommen und eine geeignete Pflegefamilie für sie gesucht.

Pflegeeltern brauchen viel Geduld und Empathie

Alles, was mit dem Austausch zwischen den Gehirnhälften zu tun hat, muss einzeln trainiert werden, erklärt Robert Marschall die Besonderheit bei seiner Pflegetochter. „Sie hat aber enormen Ehrgeiz und wird von ihren Geschwistern gefordert. Bemutteln lässt sie sich nicht.“ Jetzt mit 13 Jahren habe sie etwa das Leseverständnis einer Zweitklässlerin und beherrsche den Zahlenraum bis 20. Sie spielt Handball bei einem Bautzener Verein, reitet gern, fährt Rad, hat das Seepferdchen-Abzeichen gemacht, wenn auch mit eigener Schwimmtechnik. Wenn die Marschalls über ihre Pflegetochter sprechen, schwingen ganz viel Stolz, Liebe und Demut mit.

Das brauche es auch, um Pflegeeltern zu sein, erklärt Grit Rengers. „Sie müssen viel Liebe, Ausdauer, Geduld und Empathie schenken können. Man muss es mit dem Herzen machen.“ Wegen Überforderung, Krankheit, Suchtproblemen oder Gewalt können die Kinder nicht in ihren Ursprungsfamilien bleiben. Regelmäßig würden Entwicklungsgespräche stattfinden. Die Pflegeeltern bekommen eine Aufwandsentschädigung, und der Unterhalt des Pflegekindes ist gesichert. „Man kann damit jedenfalls kein Geld verdienen“, macht Grit Rengers klar.

Pflegetochter hat jetzt den Namen der Familie

Als die Marschalls Pflegeeltern wurden, lebten sie noch in Brandenburg, absolvierten den Einführungskurs und standen dann auf einer Liste. Robert Marschall hatte die Idee zuerst mit nach Hause gebracht. Er saß im Jugendhilfeausschuss, und dort waren fehlende Pflegeeltern ein Thema. Michaela Marschall wurde dann als gelernte Krankenschwester gezielt angesprochen, da man vermutete, dass sie mit einem behinderten Kind vielleicht besser umgehen könne als manch anderer. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Marschalls bereits vier eigene Kinder, was sie nicht davon abgehalten hat, ihre Pflegetochter aufzunehmen und noch ein weiteres leibliches Kind zu bekommen.

Aber nochmal: Einen Unterschied gebe es da ohnehin nicht, betont Robert Marschall. Um das auch nach außen zu zeigen und ihrer Tochter eine mögliche Verunsicherung zu nehmen, beantragten sie nach ihrem Umzug nach Bautzen eine Namensänderung. „Sie heißt seitdem auch Marschall. So wollten wir vermeiden, dass sie vielleicht denkt, nicht zu uns zu gehören.“ Zudem sei die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Marschalls wieder verlässt, sehr gering. Seit rund einem Jahr wisse sie, dass sie „nicht in meinem Bauch“ war, fügt Michaela Marschall hinzu. „Danach ist sie zu jedem einzelnen ihrer fünf Geschwister gegangen und hat gefragt, ob sie es wussten. ‚Ja, und?‘, war jedes Mal die Antwort.“

Die Marschalls haben sich im Vorfeld mit anderen Pflegefamilien unterhalten und viele Fragen gestellt. Oft war zu hören, dass es nicht immer leicht sei und es auch „nicht immer gut ausgehe“. Gemeint ist damit, dass Pflegekinder auch wieder in ihre Ursprungsfamilien zurückkehren können. Grit Rengers bestätigt das. Es finde ja ein steter Austausch statt. „Und das kann immer passieren, bis zum 18. Lebensjahr.“

Wer Interesse daran hat, Pflegeeltern zu werden, wendet sich an den Pflegekinderdienst des Landkreises Bautzen, telefonisch unter 03591 525151375 oder via E-Mail an [email protected].