Weißenberg: Diese Brücke ist einmalig in Deutschland

Weißenberg. Für die einen ist es eine ganz normale Brücke, für die anderen das spannendste Bauwerk der Welt. Doch zumindest beim zweiten Hinsehen bemerkt auch der Laie, dass die Überführung, die in den letzten Monaten in Wurschen bei Weißenberg entstanden ist, eine Besonderheit aufweist. „Man muss sich die Brücke von unten ansehen“, sagt Enrico Lorenz und führt über einen schlammig-sandigen Baupfad hinab in die Senke des Kuppritzer Wassers. Und hier offenbart sich eine geschwungene, zu den Rändern hin verjüngende Form, die an eine Linse erinnert.
„Eine normale Brücke wäre gerade. Diese aber vermittelt durch ihre Form eine gewisse Leichtigkeit“, sagt der Projektleiter von Curbach Bösche Ingenieurpartner. Das in Dresden ansässige Büro war schon am Bau vieler, zumeist wesentlich größerer Brücken beteiligt. Zwischenzeitlich hat sich auch Frank Schladitz an den Fuß der neuen Brücke begeben. In der Hand hält er ein an Stoffgewebe erinnerndes Gitter aus dunklen, metallisch glänzenden Stäben. Solche Elemente kommen beim Bau der Brücke zum Einsatz.
Carbonbeton hilft, Material zu sparen
„Dieses sogenannte Gelege ist tatsächlich durch ein textiles Herstellungsverfahren entstanden“, berichtet der Geschäftsführer des Vereins Carbon Concrete Composite. Der von der Technischen Universität Dresden initiierte Verein, hat sich nichts Geringeres auf die Fahnen geschrieben, als das Bauen zu revolutionieren. Wie das gelingen soll, verrät bereits der Vereinsname: durch den Einsatz von Carbonbeton – oder auf englisch eben Carbon Concrete.
Betonähnliche Mischungen verwendeten schon die Bauleute im vorchristlichen Karthago. Beton ist also fast so alt wie die menschliche Zivilisation. Vor etwa 150 Jahren erfuhr der universal einsetzbare Baustoff eine erste Revolution, als der Stahlbeton erfunden wurde. Die Verstärkung des Betons durch Stahlstäbe erweiterte die Einsatzmöglichkeiten erheblich. „Stahl hat jedoch den Nachteil, dass er korrodiert“, erklärt Vereinsgeschäftsführer Frank Schladitz. „Um ihn davor zu schützen, benötigt man eine dicke Betonschicht um ihn herum.“
Dies führt zu mehreren Problemen: Einerseits sind die Bauteile dick und schwer, andererseits erfordert die Herstellung von Beton sehr viel Energie. „Etwa ein Zehntel des weltweiten CO2-Ausstoßes kommt aus der Betonherstellung“, weiß Andreas Biesold, Leiter der Bautzener Niederlassung des Landesamtes für Straßenbau und Verkehr (Lasuv). „Wir sind daher gehalten, Einsparmöglichkeiten zu nutzen.“ Und für diese Anforderung kommt ihm das Material Carbonbeton gerade recht.
Energiebedarf reduziert sich um die Hälfte
Carbon ist nur ein Viertel so schwer und gleichzeitig sechs Mal so leistungsfähig wie Stahl. Es braucht im Vergleich zu diesem nur eine dünne Ummantelung, da es nicht korrodiert. Doch worum handelt es sich bei diesem Wundermaterial genau? „Carbon ist im Prinzip nichts anderes als Kohlenstoff – der Grundbaustoff allen Lebens“, erklärt Projektleiter Enrico Lorenz. Aktuell wird zu seiner Herstellung noch hauptsächlich Erdöl genutzt, doch das soll sich ändern: „Man kann Carbon auch aus Pflanzen, Holzabfallprodukten oder sogar aus der Luft gewinnen.“ All diese Verfahren müssen erst noch entwickelt werden. Doch festzuhalten bleibt bereits jetzt: „Der Einsatz von Carbonbeton reduziert den Energiebedarf und den CO2-Verbrauch um etwa 50 Prozent“, wie Andreas Biesold vom Lasuv betont.
Bereits im vergangenen Jahr verwendete das Landesamt Carbonbeton für die Sanierung der Brücke über das Alte Fließ in Kleinsaubernitz bei Malschwitz. „Hier in Wurschen bauen wir deutschlandweit die erste Brücke komplett aus Carbonbeton neu“, erklärt Sören Trillenberg, Geschäftsführer der List GmbH, die im Auftrag des Lasuv den Bau koordiniert.
Doch warum wird ausgerechnet Wurschen zum Schauplatz einer solchen bautechnischen Revolution? „Irgendwo muss man ja mal anfangen“, sagt Andreas Biesold schmunzelnd. Und fügt hinzu: „Es sollte eine kleinere Brücke sein, denn bei einem solchen Pilotprojekt lässt sich nicht alles hundertprozentig planen. Es dient allen Beteiligten schließlich auch dazu, für künftige, größere Projekte zu lernen.“ Und Sören Trillenberg ergänzt: „Der Einsatz eines neuartigen Materials stellt Fragen, an die man am Anfang gar nicht denkt, beispielsweise, wie man das Geländer und die Schutzplanken für die Fußgänger befestigt.“ Auch die Anforderungen an die Bauleute vor Ort sind hoch. „Der Polier hat zuvor ein Modell angefertigt, um die veränderten Arbeitsabläufe zu verdeutlichen.“
Von anfänglichen Verzögerungen aufgrund von Lieferschwierigkeiten abgesehen, verlief der Bau planmäßig. Und so kann die Brücke, wenn das Wetter bei der Asphaltierung mitspielt, voraussichtlich Mitte Dezember freigegeben werden. Die Kosten für die Gesamtmaßnahme belaufen sich auf 1,05 Millionen Euro, wovon der reine Brückenbau etwa 650.000 Euro ausmacht. „Carbonbeton ist derzeit in der Herstellung noch etwas teurer als Stahlbeton“, erklärt Frank Schladitz. „Doch durch die längere Lebensdauer und die verringerten Wartungskosten schlägt die Kostenbilanz schnell ins Positive um.“