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Beruhigungsmittel in den Cappuccino gemischt?

Eine Frau soll einer Kollegin heimlich das Medikament „Tavor“ verabreicht haben. Das ist – falsch dosiert – gefährlich.

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© Tina Soltysiak

Von Tina Soltysiak

Leisnig. Hat eine Leisnigerin ihrer Kollegin heimlich das Beruhigungsmittel „Tavor“ in den Cappuccino gemischt? Diese Frage sollte am Dienstag im Amtsgericht Döbeln geklärt werden. Die Frau ist wegen gefährlicher Körperverletzung in fünf Fällen angeklagt. Sie bestreitet den Tatvorwurf.

Vor Dienstbeginn in einem Landwirtschaftsbetrieb trinkt die Belegschaft gemeinsam ihren Cappuccino. Weil die Angeklagte meist als Erste da ist, kümmere sie sich um die Zubereitung. Meist sei sie dabei allein. Das bestreitet die Leisnigerin auch nicht. Den unbeobachteten Moment soll sie genutzt haben, um das Medikament unterzurühren.

Nichtsahnend trank das 32-jährige Opfer seine Tasse aus. Irgendwann wunderte sich die Frau, warum sie zunehmend unkonzentriert ist, sich schlapp fühlt. Sie klagte über Kopfschmerzen. Das erste Mal Mitte April 2015. Sie ließ sich in der Hubertusklinik in Wermsdorf von Neuro-Experten untersuchen. Zu einem Ergebnis, was die Ursache sein könnte, kamen sie nicht.

Sie ging weiter zur Arbeit – jeweils dienstags, donnerstags und sonntags ist sie als Teilzeitkraft im Unternehmen tätig. „Dann war die Angeklagte zwei Wochen nicht da und mir ging es gut. Sobald sie wiederkam, kehrten die Symptome zurück“, sagte die Geschädigte aus. Sie vertraute sich einer anderen Kollegin an. „Vorstellen konnten wir uns beide nicht, warum sie das machen soll. Aber wir haben die Angeklagte auf die Probe gestellt“, sagte die Geschädigte. Sie tauschten eines Morgens die Tassen. Die 40-jährige Kollegin war als Zeugin geladen und beschrieb, wie es ihr nach dem Trinken erging: „Ich wurde müde, schlapp, habe wirres Zeug geredet, bin nach der Arbeit heim und habe erstmal geschlafen.“ Sie hätten in der Kosmetiktasche der Angeklagten nachgesehen und dort das Medikament entdeckt. „Wir haben es gegoogelt. Die Symptome passten“, sagte sie.

Kurz darauf schließlich hob die Geschädigte einen Rest des Cappuccinos auf, fuhr ins Döbelner Krankenhaus und ließ das Getränk und ihren Urin untersuchen. Richterin Christa Weick verlas das Ergebnis: Der chemische Grundstoff des Arzneimittels „Tavor“ ist das Benzodiazepin. Es konnte nachgewiesen werden.

Die Geschädigte und die Zeugin setzten ihren Chef von dem Verdacht in Kenntnis. Der habe, ohne jemandem davon zu erzählen, eine Kamera im Aufenthaltsraum installiert. „Es gibt eine Aufzeichnung, auf der zu sehen ist, wie die Angeklagte die Tablette zerkleinert, untermischt und eine Packung im Müll entsorgt“, sagte die Richterin. Die Packung habe der Chef an sich genommen.

Er wird erst in zwei Wochen vor Gericht aussagen. Dann wird die Verhandlung fortgesetzt. Offen sind das Motiv für die Tat, und ob auch andere Mitarbeiter Zugang zum Medikament hatten.

Zu Einsatz und Wirkungsweise von „Tavor“ erklärte Nervenarzt Dr. Rudolf Lehle, ärztlicher Direktor des Fachkrankenhauses Bethanien Hochweitzschen, auf DA-Nachfrage: „Es ist ein angstlösendes Medikament mit stimmungsaufhellender Wirkung.“ Verordnet werde es unter anderem bei schweren Depressionen, Psychosen und Angstunruhe. „Es ist ein sehr wichtiges Medikament in der Psychiatrie. Langfristig macht es allerdings abhängig“, sagte er. Nebenwirkungen seien unter anderem Schwindel, Kopfschmerzen, ein Unruhegefühl und undeutliches Sprechen.