Partner im RedaktionsNetzwerk Deutschland
Merken

Bevor der Bagger kommt

Immer näher rückt der Tagebau Nochten an die Dörfer. Viele Menschen müssen Haus und Hof verlassen. Widerstand gibt es nicht.

Teilen
Folgen
NEU!

Von Anett Böttger

Fassungslos schaut Wolfgang Zech über die weiten, frisch gerodeten Flächen. „Jetzt erschrecke ich ja selbst“, sagt er. Dort, wo eben noch kilometerlang Kiefernwald wuchs, dehnt sich die Leere. Immer mehr Bäume verschwinden im Nordosten Sachsens für den Braunkohleabbau. Immer näher rückt der Tagebau Nochten an die Siedlungen. „Nicht mehr weit bis Trebendorf“, sagt Zech, der sich sonst Tag für Tag recht nüchtern mit dem Thema beschäftigt.

Der Diplom-Ingenieur arbeitet in der Gemeindeverwaltung von Trebendorf. An ihn können sich all jene wenden, die für die Erweiterung des Tagebaus ihre Grundstücke aufgeben müssen. Er sei eher der Mann fürs Praktische, sagt Zech über sich selbst. Er berät Betroffene, wo sie künftig wohnen können und welche Entschädigung sie erhalten für den Verlust ihrer „Scholle, auf der sie jahrelang gelebt haben“, wie es Zech ausdrückt. Allerdings: „Ich habe noch niemanden gehört, der den Tagebau verdammt hat. Für viele ist er sogar die wirtschaftliche Existenz.“

Das mag einer der wesentlichen Gründe dafür sein, dass es in diesem Landstrich bisher keinen ernsthaften Widerstand gegen die vom Bergbau erzwungenen Umsiedlungen gegeben hat. In der Umgebung anderer Braunkohleorte in Ostdeutschland sah das anders aus. Im brandenburgischen Horno oder in Heuersdorf bei Leipzig waren zahlreiche Einwohner wütend auf die Barrikaden gegangen. Doch ihr jahrelanger zäher Protest, der über die Landesgrenzen hinaus Schlagzeilen machte, hatte das Schicksal ihrer Dörfer nicht abwenden können. In Heuersdorf verließen die letzten Bewohner 2009 ihre Häuser, in Horno wurde bereits 2005 das letzte Haus geräumt.

Leben mit Lärm und Dreck

Der Tagebau Nochten an der Grenze zu Brandenburg ist seit 1973 in Betrieb. Der Energiekonzern Vattenfall holt dort jährlich bis zu 17Millionen Tonnen Braunkohle aus der Erde, um sie im nahe gelegenen Kraftwerk Boxberg in Strom zu verwandeln. Die Menschen in den angrenzenden Orten leben mit Lärm und Dreck. „Bei Ostwind hört man die Bagger“, sagt Zech, der etwa 400 Meter vom Tagebau entfernt wohnt. Sein Haus wird stehen bleiben, wenn sich das Abbaufeld ausdehnt. 171 Einwohner aus den Trebendorfer Ortsteilen Hinterberg und Mühlrose müssen dagegen weichen.

Rene Kraink hat sein Grundstück schon verlassen – mit Wehmut. Nach seiner Hochzeit im Jahre 2000 hatte er ein Haus in abgeschiedener Lage mit schönem Garten gekauft und von Grund auf saniert. „In guter Hoffnung, dass nichts passiert“, sagt der 35-jährige Unternehmer. Nach der Wende habe niemand geglaubt, dass der Braunkohleabbau noch eine Chance hat. Als schließlich feststand, dass die Familie die Idylle am Waldrand räumen muss, war für Rene Kraink klar, dass es nun so schnell wie möglich gehen musste. Den Abriss seines Hauses wollte er nicht miterleben.

Kraink entschied sich für den Umzug innerhalb der Gemeinde Trebendorf. Er fühlt sich dort verwurzelt, wo auch sein Vater geboren wurde. Mit seiner Frau, der sechsjährigen Tochter und dem drei Jahre alten Sohn bezog er in diesem Sommer ein neues Haus mitten im Ort. Für den verlorenen Besitz erhielt die Familie vom Energiekonzern Vattenfall eine Entschädigung. Doch Hektik und Stress, alle Absprachen und die Arbeit auf dem Bau bleiben an den Umsiedlern hängen. „Wir lassen dafür Nerven“, sagt Kraink. „Die Älteren haben oft nicht so viel Kraft.“

Rene Kraink hat als Vorsitzender des Trebendorfer Sportvereins hart mit Vattenfall verhandelt und Forderungen durchgesetzt. Ein Komplex mit Vereinshaus, Mehrzweckhalle und Sportplatz wächst in der neuen Mitte der Gemeinde. Auf der freien Fläche daneben hat der neue Kindergarten ausgesprochen farbenfrohe Konturen angenommen. Dort, wo die Mädchen und Jungen derzeit betreut werden, wäre in einigen Jahren die Tagebaukante nicht weit. Die Gemeinde bestand auf einem Neubau an zentraler Stelle, festgeschrieben im Vertrag mit Vattenfall.

„Unser Dorf bleibt lebenswert, trotz Bergbaus“, meint Bürgermeisterin Kerstin Antonius (parteilos). „Die Menschen verlieren ihre Heimat, sie haben aber auch die Chance für einen Neuanfang.“ Vattenfall lässt sich die Tagebauerweiterung einiges kosten. Insgesamt neun Millionen Euro flossen in zwei Stiftungen für Trebendorf. Die Erträge daraus kann die Gemeinde für das Vereins- und Dorfleben ausgeben. Der Energiekonzern bezahlte auch die Umsetzung des Hans-Schuster-Hofes in die neue Ortsmitte. Das Schrotholzhaus eines sorbischen Dudelsackspielers stand mitten im Abbaugebiet.

Doch gewaltige Veränderungen lassen sich nur bedingt mit Geld ausgleichen. Hunderte Menschen leben derzeit noch in Ungewissheit. Vattenfall stellte 2006 den Antrag, zusätzlich 300 Millionen Tonnen Braunkohle in Nochten abbauen zu dürfen. Eine Entscheidung wird für Sommer 2012 erwartet. Sollten die Förderpläne genehmigt werden, droht weiteren rund 1500 Menschen in Trebendorf und in der Nachbargemeinde Schleife die Umsiedlung.

„Es sieht danach aus, als würde es so kommen“, vermutet Kerstin Antonius. Auch sie wäre betroffen. Mit Mann und Sohn wohnt sie in Klein-Trebendorf, im Haus der Eltern, das die Familie Stück für Stück aufgebaut hat. „Vielleicht können wir bleiben“, sagt sie leise. So ganz hat die ehrenamtliche Bürgermeisterin die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Doch ein neues Grundstück im Ort hat sie schon ausgesucht. 90erschlossene Parzellen stehen für Umsiedler in Trebendorf bereit.

„Für ältere Leute ist es am schwierigsten, ihre Häuser aufzugeben“, stellt Antje Schröcke fest. Im Dienst der evangelischen Kirche arbeitet sie seit einiger Zeit als Seelsorgerin für die Umsiedler. Seit diesem Sommer hat sie im Ort eine feste Anlaufstelle. Ihren Dienstsitz richtete sie zusammen mit einem sozialen Netzwerk ein, das neue Nachbarschaften in der Region fördern will. Die Miete bezahlt Vattenfall ebenso wie die Kosten für die Bergbauseelsorge.

Traditionen sind gefährdet

„Es ist wichtig, vor Ort Präsenz zu zeigen“, sagt Antje Schröcke überzeugt. Nach wie vor spürt sie Zurückhaltung bei ihren Schützlingen. In vielen Köpfen existiere wohl die Meinung, psychologischen Beistand in Anspruch zu nehmen, das sei ein Eingeständnis von Schwäche. „Es ist ein schwieriger Prozess. Ich nehme ein Stück Resignation und Hilflosigkeit wahr.“ Viele hätten das Gefühl, nur ein kleines Rädchen im Getriebe zu sein.

Die Menschen in der Gegend leben schon lange mit der Kohle und viele von ihnen in einem Zwiespalt. Nicht wenige arbeiten im Tagebau und graben sich selbst die Erde unter den Füßen weg. Antje Schröcke betrachtet es als ihre Aufgabe, Kräfte zu mobilisieren, damit sich die Menschen der Veränderung stellen. Bei Gottesdiensten im Freien konnten sie Abschied nehmen vom Wald, wo sie früher Picknick machten und Beeren sammelten. „Da fühlen sich nicht nur Christen angesprochen und getröstet.“

Wenn Vattenfall grünes Licht für die beantragte Abbaggerung bekommt, würden neben dem zu Trebendorf gehörenden Dorf Mühlrose auch die Schleifer Ortsteile Rohne und Mulkwitz komplett von der Landkarte verschwinden. Mancher Einwohner müsste sogar zum zweiten Mal umziehen. „Wir verlieren die Hälfte der Gemeindefläche“, sagt Reinhard Bork. Der parteilose Bürgermeister von Schleife glaubt, dass durch den Atomausstieg die Grundrichtung in Deutschland klar vorgegeben ist.

Tatsächlich kann Vattenfall kurzfristig nicht auf Kohle verzichten, wie der Konzernchef für Deutschland, Toumo Hatakka, erläutert. Der Rohstoff wird in den nächsten Jahrzehnten für die Grundversorgung gebraucht. Die Kohle in Nochten reicht bis über das Jahr 2045 hinaus, um das Kraftwerk Boxberg zu beliefern. Dort soll im Frühjahr ein neuer Block mit 670Megawatt Leistung ans Netz gehen.

Trebendorf, Mühlrose, Mulkwitz, Rohne und Schleife bilden mit zwei weiteren Orten nicht nur ein gemeinsames Kirchspiel, sondern auch ein sorbisches Trachtengebiet. Geplant ist, dass jeder Ortsteil, wenn er denn dem Tagebau zum Opfer fallen sollte, an einem anderen Standort neu aufgebaut wird. Die sorbische Dachorganisation Domowina will darauf achten, dass jahrhundertealte Traditionen nicht auf der Strecke bleiben. Neurohne etwa soll mit einem für die Gegend typischen Dorfkern entstehen.

„In das Dorfzentrum gehört das Sorbische“, bekräftigt Manfred Hermasch vom Domowina-Regionalbüro in Schleife. Der Sorbenbeauftragte im Landkreis Görlitz meint damit auch den Njepila-Hof. Das urige Gehöft in Rohne wurde 2006 rekonstruiert und erinnert an Lebensweise und Kultur der sorbischen Landbevölkerung. Sollte es weichen müssen, steht schon fest, dass es am neuen Ort wieder aufgebaut wird. „Nur größer“, wünscht sich Hermasch. (dpa)