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Birkwitz aloha!

Stehpaddeln nach hawaiianischem Vorbild ist der neue Trendsport. Ein Schnellkurs mit dem letzten Windsurf-Meister der DDR.

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© Norbert Millauer

Von Jörg Stock

Birkwitz. Brötchen holen ist ein Spaziergang. Normalerweise. Holt Jan Diestel seine Brötchen, so steigt er auf ein vier Meter langes Kunststoffbrett und kämpft sich mit dem Stechpaddel fünf Kilometer die Elbe hinauf bis zum Bäckerladen. Wenn er so aufrecht durch den Strom pflügt, staunt die Umwelt. Ob er Jesus sei, dass er übers Wasser gehen könne, hat ihm mal einer zugerufen. Nein, er ist nicht Jesus. Aber ein Missionar ist er trotzdem, und zwar in Sachen Stand-up-Paddling, kurz SUP genannt. Das „Suppen“, sagt Jan, wird mal was ganz Großes. „Wellenreiten ist so leicht wie noch nie.“ Jan Diestel aus Pirna-Posta, 50 Jahre alt, sehnige Gestalt, rotblonder Wuschelkopf, kennt sich aus mit Wellen und Brettern. Im Arbeiter-und-Bauern-Staat surfte er die Müritz, den Greifswalder Bodden, den Schweriner See. 1990 wurde er letzter Windsurf-Meister der DDR. Drei Jahre zog er als Profisurfer um die Welt, gründete anschließend in Dresden den Laden „Wild East“, mittlerweile eine Art Zentralorgan für die Surf- und Snowboarderszene. Die Kundschaft kommt aus dem ganzen Land zu ihm.

Zuerst wird die Paddeltechnik an Land trainiert (kl. Bild links),
Zuerst wird die Paddeltechnik an Land trainiert (kl. Bild links), © Norbert Millauer
dann geht es auf den Brettern kniend ins Tiefe.
dann geht es auf den Brettern kniend ins Tiefe. © Norbert Millauer
Nach anfänglichem Erfolg überspannt der Neuling den Bogen und taucht ab (rechts). Fotos:
Nach anfänglichem Erfolg überspannt der Neuling den Bogen und taucht ab (rechts). Fotos: © Norbert Millauer

Jan versteht sich als Pionier des Boardsports. Deshalb steht er jetzt am Ufer des Birkwitzer Badesees und pumpt Luft in eine knallrote Pelle, die er aus einem übergroßen Rucksack gezogen hat, und die ein Paddelboard werden soll. Er will mich vom Spaßfaktor des Stand-up-Paddelns überzeugen. Jeder, der es probiert hat, sagt er, war begeistert. Sogar die Wind- und Kitesurfer, die das „Suppen“ anfangs lahmarschig fanden, sind auf den Geschmack gekommen. „Sie haben gemerkt: Ein Strandtag ohne Wind muss kein Unglück sein.“

Der Trick mit dem Kick

Stand-up-Paddling, eingedeutscht Stehpaddeln, soll sein Vorbild bei den Fischern Polynesiens haben, die ihre Kanus im Stehen fortbewegten. Bei den Eingeborenen Hawaiis war aufrechtes Paddeln ein Statuszeichen, das dem König und seinen Günstlingen vorbehalten blieb. Irgendwann übernahmen Surflehrer die Technik, um sich zwischen ihren Schülern zu bewegen und dabei den Überblick zu behalten. Daraus wurde ein eigenständiger Sport. Die rote Pelle ist jetzt bretthart und hat sich in ein gut drei Meter langes und vierzehn Zentimeter dickes Allround-Board namens „Fly Air“ verwandelt, ein bayerisches Fabrikat, das Jan als einsteigertauglich bezeichnet. Es ist über achtzig Zentimeter breit, zwanzig Zentimeter breiter als Jans Rennmodell, das er zum Brötchenholen benutzt. Durch die dicke Haut, die einer Lkw-Plane ähnelt, ist es praktisch unsinkbar. Ans Heck schraubt Jan eine Art Haifischflosse. Das ist die Finne. Sie soll dafür sorgen, dass das Brett auf Kurs bleibt.

Trockentraining mit dem Paddel. Jan stellt es auf meine Größe ein. Breit soll ich es fassen, breiter als schulterbreit, das Blatt schräg nach vorn richten, die Arme leicht beugen. Wenn ich auf der einen Seite rudere, wird das Brett zur anderen Seite hin ausbrechen, erklärt Jan. Das passiert allen Anfängern. Der Trick: am Beginn des Paddelschlags einen kurzen „Kick“ zum Brett hin machen. „Das gleicht die Abdrift aus.“ Geübte Paddler schaffen zehn bis zwanzig Schläge auf einer Seite, ohne dass das Brett aus der Spur läuft.

Auf zur Praxis. Wir greifen unsere Bretter und laufen runter zum See. Mein Allround-Board ist trotz seines Volumens gut tragbar, wiegt unter zehn Kilo. Zum Glück ist kaum was los am Strand, kaum Zaungäste also für meinen ersten, womöglich tapsigen Stehversuch als „Supper“. Ich lasse das Brett zu Wasser, sachte, damit die Finne nicht am Grund schrammt. Das Paddel lege ich für längs in die Mitte, knie mich dann auf das Bord und stoße ab.

Ja! Ich bin auf dem Wasser und immer noch trocken. „Wir paddeln mal ein paar Meter raus“, sagt Jan, „dann merkst du, wie das Brett reagiert.“ Ich schaufele Seewasser mit den Handflächen. Als Niederflurpaddler mache ich mich schon ganz gut. „Und jetzt versuch’ mal, ganz sanft aufzustehen.“ Ich ziehe die Beine an, drücke mich nach oben, langsam, gaaanz langsam, die Knie zittern, das Bord bebt. Aber es bockt nicht, es bleibt, wo es ist. Ich stehe, angle mein Paddel und bin startbereit.

Wir schippern am Ufer entlang. Jan hatte recht: Ein Schlag links, und das Brett dreht die Nase nach rechts. Ich muss das Paddel schnell in die andere Hand nehmen. Schon driftet das Brett zurück. Ein Schlingerkurs, aber die Lage auf dem Wasser scheint stabil. Ich versuche den Trick mit dem Kick. Klappt aber nicht. „Ganz vorne passiert das Wichtigste“, sagt der locker neben mir herdriftende Jan. Die meisten wollten es „hinten reißen“, erzählt er. Aber da ist die Haifischflosse. Da kann man das Brett nicht zur Seite drücken.

Vertrautes Meer neu entdeckt

Aufrecht stehend übers Wasser zu gleiten, ist ein eigenartiges Gefühl. Der Blickwinkel ist ungewohnt weit, die Übersicht enorm. Als Jan sich vor acht Jahren sein erstes SUP-Board besorgte, da nahm er es mit auf eine Reise um die Ostsee und entdeckte damit das Meer noch einmal neu: wilde Ufer, verträumte Buchten, Fische, den Grund im seichten Wasser. Man ist insgesamt mobiler als in einem Boot, sagt er. „Eine schöne Art, sich zu bewegen.“

Wenden. Einfach das Paddel ins Wasser stellen, wie im Ruderkahn. Es klappt. Jan scheint ganz zufrieden. „Du wirst schon sicherer“, sagt er. Und das ist das Letzte, was ich von ihm höre, bevor die Wogen über mir zusammenschlagen. Er wird mich besser nicht mehr loben, ulkt Jan, als ich wieder an der Oberfläche bin. Bis zum Ende der Lektion steige ich noch zweimal ab. Der Missionar wird einige Mühe haben mit mir. Aber vielleicht lasse ich mich ja bekehren. Spaß macht es jedenfalls, dieses „Suppen“. Meine Frühstücksbrötchen hole ich aber definitiv weiter zu Fuß.