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Blue Wonder Jazzband feiert Jubiläum

Das Wunder von Dresden - die Musiker feiern mit Dixieland auf Sachsen-Art und vermeidet es, übers Ende zu reden.

Von Peter Ufer
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FUER SZ HONORARFREI - PAUSCHALE GEZAHLT! 02.09.2017, Sachsen, Dresden, Kulturpalast, Jazzgala Dresden Swingt, Dixieland im neuem Kulturpalast, Blue Wonder Jazzband © SZ

Alle zusammen sind sie 501 Jahre alt, der Jüngste wurde 1953, der Älteste 1942 geboren. Die Blue Wonder Jazzband feierte vergangenen Sonnabend mit einem Konzert in der Comödie Dresden ihren 45. Geburtstag. Gegründet hatten die sieben Musiker ihr Lebenswerk am 29. Januar 1975.

Jazz-Experte und Band-Ehrenmitglied Karlheinz Drechsel nannte diese musikalische Dauerleistung schon zum 42. Geburtstag eine „Welteinmaligkeit“. Unvorstellbar schien nach ihrem Debüt, dass sie es so lange miteinander aushalten würden. Die DDR und zwei Ehen von Bandmitgliedern gingen zwischendurch zu Bruch, die Männer aber spielten als gut getaktete Gemeinschaft immer weiter, durchschnittlich 44 Konzerte pro Jahr, rund 2.000 insgesamt.

Trompeter Manfred Böhlig fehlte dabei exakt sechs Mal, davon drei Mal im vergangenen Jahr, weil ihm der Arzt empfahl, sich zu schonen. Der 77-jährige Dresdner arbeitete bis zur Rente im Hauptberuf als Klempner und Dreher, ist somit der einziger Angehörige der Arbeiterklasse in diesem Künstlerkollektiv. Die anderen sechs studierten, arbeiteten als Mathematiker, Physiker und Ingenieure, drei tragen den akademischen Titel Doktor und einer darf sich Professor nennen.

„Für uns war und ist Musik machen ein ernst zu nehmendes Hobby, mit dem wir auch noch Geld verdienen, verbunden mit einem Kreis von Freunden. Im Grunde aber ist es ein Glücksumstand“, sagt Bandleiter Klaus-Georg Eulitz, den alle Jockel nennen. Inspiriert zur Gründung hatte die damaligen Absolventen der Technischen Universität das Dixieland-Festival, das in diesem Jahr sein 50. Jubiläum feiert. „Wir wollten auch so etwas spielen, waren aber am Anfang noch nicht vollständig. Deshalb stellte ich mich zur Riverboatshuffle mit einem Schild ,Suche Bläser’ an die Dampfer-Anlegestelle an der Brühlschen Terrasse“, erzählt Eulitz. „Was ich fand, war kein Bläser, sondern ein Pianist, Lutz Rethberg. Dann kam noch ein Pianist, Gert Müller, aber der musste Posaune spielen, sonst hätte er nicht dabei sein können.“

Über ihren Namen ließen sie das Publikum abstimmen. „Der Dixieland-Festival-Leiter Joachim Schlese organisierte damals im Kulturpalast eine bunte Veranstaltungsreihe, die ,Kreuzworträtsel für junge Leute’ hieß, und stellte drei Namen zur Auswahl. Mit dabei war ,Blue Wonder Jazzband’ und erhielt den meisten Beifall“, erinnert sich Eulitz. Die Reminiszenz an die Dresdner Sehenswürdigkeit gehört zum Stil der Musiker, die sich einerseits fest verwurzelt im Elbtal fühlen, andererseits weit darüber hinausschauen. Denn die Musik, die sie pflegen, kommt ursprünglich aus New Orleans am Mississippi.

Die Dresdner spielen den amerikanischen Jazz der Zwanziger- und Dreißigerjahre eines Jelly Roll Mortons oder Bix Beiderbeckes, des jungen Louis Armstrongs oder von Duke Ellington. Gert Müller arrangiert die Stücke neu. Durch ihre unverändert gebliebene Zusammensetzung, durch ihre Arrangements und ihren dreistimmigem Gesang hat die Band ein Repertoire, das den Originalaufnahmen sehr nahkommt, aber dennoch typisch nach Blue Wonder klingt. Das ist Sachsen-Dixieland der feinsten Art. Dafür erhielten sie in den 1980er-Jahren sogar den DDR-Kunstpreis. 100 Titel können die Musiker jederzeit aus dem Kopf abrufen, das sind im besten Fall elf Stunden Musik.

In den ersten fünfzehn Jahren reisten sie zu Konzerten durch die ganze Republik, in die CSSR, die Sowjetunion, nach Ungarn und Polen. „Warum wir vor 1989 nie im Westen auftreten durften, weiß ich bis heute nicht“, sagt Eulitz, der die Touren zusammenstellt und für sämtliche Verträge verantwortlich zeichnet. In seiner Stasi-Akte habe er aber keine Hinweise darauf gefunden, dass einer aus den eigenen Reihen einen Kollegen verraten habe. Nach 1990 eroberten sie den Westen, reisten auf Festivals zwischen Braunschweig und Stuttgart, nach Frankreich und Holland. Nur in New Orleans waren sie bis heute nicht. „Wir übten übrigens schon zu DDR-Zeiten Demokratie, jeder besaß bei Entscheidungen ein Vetorecht“, sagt Eulitz. So stimmten sie zum Beispiel 1986 darüber ab, ob sie als Profimusiker ihre Karriere fortsetzen wollen. Die Idee bekam keine Mehrheit. Also spielten sie weiter als Amateure, was sich nach 1989 als richtige Entscheidung erwies, denn als musikalisches Ostprodukt wollte sie zunächst keiner mehr hören. Doch das änderte sich schon Mitte der 1990er-Jahre. Die Rückbesinnung des Publikums auf das Dresdner Kulturgut spürten sie beim Dixieland-Festival 1995, wo sie auf dem Balkon des Kulturpalastes spielten und ihnen 30.000 Menschen vom Altmarkt aus zujubelten.

Über das Aufhören reden sie übrigens nicht. Klaus-Georg Eulitz sagt: „Es wird wohl ein biologisches Ende geben. Wenn eines Tages einer von uns nicht mehr kann, dann hören wir alle auf. Wir haben ja auch zusammen angefangen.“