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Bock auf Lok

René Gruschwitz war arbeitslos und begann eine ungewöhnliche Karriere. Der Weg führte über die Bahngesellschaft ITL.

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© Katja Frohberg

Von Thomas Möckel

Pirna. Behände erklimmt René Gruschwitz die Stufen, jeder Tritt sitzt, eine Hand umschließt immer den Haltegriff, das ist Vorschrift, die Abläufe sind hundertfach geübt. Ziel seines Aufstiegs ist der Führerstand einer Diesellok der Baureihe 285, über 3 000 PS stark, bis zu 140 Stundenkilometer schnell. Die Lok gehört der Eisenbahngesellschaft ITL. Sie hat ihren Hauptsitz in Dresden, in Pirna betreibt das Unternehmen seit 2013 ein nagelneues Bahnbetriebswerk, zentral gelegen an der Bahnstrecke Dresden – Prag. Die Firma hat sich spezialisiert auf den Transport von Gütern auf der Schiene, doch das lässt sich manchmal nicht ganz einfach bewerkstelligen. ITL braucht mehr solche Mitarbeiter wie Gruschwitz, inzwischen seit über zehn Jahren im Unternehmen, denn der Dresdner gehört einer Berufsgruppe an, von der es gerade viel zu wenige gibt: Lokführer. Bundesweit, sagt ITL-Prokurist Holger Harsch, fehlen derzeit etwa 3 000 Lokführer. Nach Auskunft der Bundesagentur für Arbeit dauert es momentan durchschnittlich 177 Tage, eine freigewordene Lokführerstelle wieder zu besetzen – so lange, wie in keiner anderen Berufsgruppe. Dieser Mangel ließ Gruschwitz schon vor Jahren seine weitere berufliche Zukunft überdenken, obwohl Lokführer zunächst gar nicht auf seinem Plan stand.

Gruschwitz arbeitete früher in einem technischen Beruf, vor über zehn Jahren wurde er plötzlich arbeitslos, ein Jahr war er ohne Job, bis ihm das Arbeitsamt eine seinen technischen Neigungen wenig entsprechende Stelle anbot: als Koch. Gruschwitz lehnte ab, Soßen rühren war nicht so sein Ding, ihn interessierten eher Motoren. Kurz nach der abgewählten Küchen-Karriere erreichte ihn dann doch ein Angebot, das ihm entgegenkam. ITL suchte Quereinsteiger, die sich zum Lokführer qualifizieren lassen wollten. Üblicherweise dauert seine solche Ausbildung drei Jahre, aber der Mangel verlangte schnelle Abhilfe. Nun können sich Interessierte auf dem zweiten Bildungsweg in neun bis elf Monaten zum Lokführer umschulen lassen.

Gruschwitz war dabei, die technische Seite des Berufs reizte ihn ungemein, aus einem Infogespräch mit 100 Neugierigen kam er mit 14 anderen in die engere Auswahl, mittlerweile steuert er mehrere tausend Tonnen schwere Güterzüge quer durch Deutschland. Der Weg dorthin war allerdings bisweilen recht beschwerlich. Die neun Monate Umschulung, sagt Gruschwitz, waren manchmal schon hart, die Theorie war umfangreich, oft büffelte er bis in die Nacht, bis er alles wusste. Auf dem Programm standen Themen wie Signaltechnik, Aufbau von Gleisanlagen, Loktechnik, Physik, Elektronik, Rangierkunde. Der Zeitplan ist straff. Um später einen Zug zu bewegen, bedarf es zusätzlicher Berechtigungen, man braucht beispielsweise einen Gefahrguttransportschein, eine Bremsprobenberechtigung, einen Wagenprüfschein, ein Zertifikat zum Zugleitbetrieb. Erst, wenn die Theorie beendet ist, geht es so richtig auf die Lok.

Die erste Erfahrung, sagt Gruschwitz, war eigenartig, er hatte eher das Gefühl, die Lok fährt mit ihm, statt er mit ihr, mit den vielen Schaltern und Hebeln musste er sich erst anfreunden. Alles gut koordinieren zu können, ist wichtig, als Lokführer muss man gewisse Abfolgen gleichzeitig können, sich auf eines zu beschränken, funktioniert oft nicht. Der Lokführer muss permanent den sogenannten Sicherheitsfahrschalter betätigen, dazu manchmal mit dem Fahrdienstleiter sprechen, Signale beachten, den Zug bremsen. „Aber da wächst man mit der Zeit hinein“, sagt Gruschwitz.

Wer mit der Ausbildung fertig ist, beginnt meist in Pirna oder Dresden im Rangierdienst, in der Regel sechs Monate, die meisten wechseln nachher auf die Streckenlok, dort werden sie hauptsächlich gebraucht. Der Güterverkehr auf der Schiene nimmt immer mehr zu, ITL ist bundesweit unterwegs. Das Unternehmen fährt so ziemlich auf allen Strecken nördlich der Mainlinie, Hauptzielorte sind die Häfen Hamburg, Emden, Bremerhaven, es geht manchmal sogar bis nach Dänemark oder in die Niederlande, im Süden auch mal nach Tschechien. Ein regionaler Schwerpunkt ist Bad Schandau, ITL holt dort die Züge aus Südosteuropa ab, deren Loks nicht durch Deutschland fahren dürfen. Auch Pirna ist ein zentrales Güterdrehkreuz, beispielsweise fährt von hier aus sechsmal in der Woche ein Zug mit 2 000 Tonnen Getreide nach Hamburg . Gruschwitz fuhr nach seiner Ausbildung vier Jahre lang Rangierlok, ehe er auf eine E-Lok im nationalen Verkehr wechselte. Generell hat er in den fast zwölf Jahren seit seiner Umschulung eine beachtliche Karriere hingelegt, er ist inzwischen selbst Ausbilder und Prüfer für Lokführer. „Das ist“, sagt Gruschwitz, „bei aller Bescheidenheit, doch mal ein toller Werdegang.“