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Brennpunkt Marienplatz

Schon bevor Flüchtlinge kamen, war der Platz im Visier der Polizei. Eine SZ-Serie befasst sich mit den Hintergründen.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Matthias Klaus

Görlitz. Wer am Freitagmittag über den Marienplatz eilt, hat kein Auge für die Bänke, die zum Ausruhen einladen, für die Wasserspiele im Brunnen. Kein Wunder. Es regnet. Mal mehr, mal weniger heftig tröpfelt es aus den Wolken. Hanna Kowalska zieht den Schirm etwas tiefer ins Gesicht. „Nur schnell nach Hause“, sagt die junge Frau aus Polen und eilt Richtung Grenze. Sie war in Görlitz auf der Berliner Straße einkaufen, läuft jetzt über den Marienplatz Richtung Heimat, Richtung Neiße.

Der Marienplatz liegt bei diesem Wetter regelrecht verwaist da, der Platz, der in den vergangenen Tagen und Wochen immer wieder für Schlagzeilen gesorgt hat. Randale, Schlägereien, Polizeieinsätze wegen Auseinandersetzungen zwischen Menschen unterschiedlicher Nationalitäten – zwar gab es die auch anderswo in der Görlitzer Innenstadt. Aber der Marienplatz wird immer wieder erwähnt. Ein neues Phänomen ist das nicht, vor allem nicht in der jüngeren Stadtgeschichte. Demos, wie 1990 gegen den Mark-Umtauschkurs, Polizeiaktionen wie 1994 gegen polnische Zigarettenhändler, Pfiffe und Beifall für die damalige CDU-Vorsitzende Angela Merkel 2004 – immer wieder stand der Marienplatz im Mittelpunkt. Jugendliche, die hier Alkohol trinken und sich daneben benehmen, bereits 2005 sorgten sie für Unmut in der Görlitzer Einwohnerschaft. Die Fachhochschule der Polizei in Rothenburg fand heraus: Das „Bedrohungsempfinden“ der Görlitzer ist, bezogen auf alle Straßen und Plätze der Stadt, auf dem Marienplatz am Größten. Diese repräsentative Umfrage stammt aus dem Jahr 2007. Viele Jahre also, bevor etwa Flüchtlinge nach Görlitz kamen und sich ebenfalls den Marienplatz als beliebten Aufenthaltsort ausgesucht haben.

Nach der Umgestaltung, die ab 2001 begann, wurde der Marienplatz ausgezeichnet. Die Stadt bekam dafür den deutschen Landschafts-Architektur-Preis. Wohin entwickelt sich der Platz heute? Vor allem seit Anfang dieses Jahres haben sich die Polizeieinsätze verstärkt. Der Sprecher der Polizeidirektion Görlitz, Thomas Knaup, sprach in diesem Zusammenhang jüngst von einer „Gemengelage“. Erst Deutsche, dann Deutsche und Polen, heute Deutsche, Polen und Asylsuchende – so stellt sich die Situation dar. Dazu kommt Alkohol, auch wenn der Platz zu denen in der Stadt gehört, auf dem tagsüber nicht getrunken werden darf. Eigentlich. In der Realität sieht das oft anders aus.

Die jüngsten Vorkommnisse auf dem Marienplatz sind ein paar Tage her. Zuletzt warf ein 17-jähriger Afghane nach einem Streit eine Flasche in eine Gruppe von Männern. Er wurde später zu Boden geworfen, getreten. Inzwischen habe sich die Situation auf dem Marienplatz und dem Demianiplatz beruhigt, heißt es vom Polizeirevier Görlitz. „Polizeilich relevante Vorkommnisse mit Jugendgruppen auf diesen Plätzen hatten wir in den letzten Tagen nicht zu verzeichnen“, so Revierleiter Dirk Linczmajer. Die Zahl der Jugendlichen auf dem Marienplatz, mit oder ohne Migrationshintergrund, sei zurückgegangen. Der Revierleiter: „Die polizeilichen Maßnahmen der verstärkten Bestreifung und Kontrollen werden wir in Abhängigkeit von der weiteren Lageentwicklung fortsetzen.“ Ob sich die Situation generell beruhigt hat, sei zu diesem Zeitpunkt schwer zu sagen, heißt es aus dem Rathaus. Viele Görlitzer hätten sich an die Stadtverwaltung gewandt haben, um ihr Entsetzen ob der Ereignisse von vor zwei Wochen zum Ausdruck zu bringen, so Stadtsprecher Wulf Stibenz. Die Stadt gehe derzeit von einer Normalisierung der Situation aus.

Freitagnachmittag, er regnet nicht mehr. Hanna Kowalska ist wahrscheinlich längst mit ihren Einkäufen zu Hause angekommen. Und der Marienplatz bevölkert sich langsam wieder.