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Cargobeamer macht vor dem Hafen von Calais fest

Die Leipziger wollen in Frankreich täglich 900 Lkw-Auflieger von und auf Waggons schieben – und haben noch mehr vor.

Von Michael Rothe
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Ein Zug mit speziellen Cargobeamer-Aufsätzen auf dem Weg nach Calais.
Ein Zug mit speziellen Cargobeamer-Aufsätzen auf dem Weg nach Calais. © Foto: Cargobeamer

Höchste Eisenbahn für Europa – Mehr Transportleistung auf die Schiene“, so wirbt die Leipziger Cargobeamer AG. Gemessen an diesem Slogan, lässt sich das eigene revolutionäre Projekt vom neuartigen Lkw-Umschlag von der Straße auf die Schiene und umgekehrt viel Zeit. Seit 20 Jahren geht Hans-Jürgen Weidemann mit der Idee schwanger, deren Umsetzung vom Freistaat gefördert wurde.

Zum Bahnhof fahren, schnell ein- und aussteigen, fahrplanmäßig, ohne Stau per Shuttle-Zug reisen – so sieht laut Website die Fahrt eines Sattelaufliegers mit Cargobeamer aus. Am Zielbahnhof holt ihn dann ein Lkw ab. Das patentierte System überträgt den Personennah- auf den Güterverkehr. Dank Transportwannen können alle Container-, Kühl-, Tank- oder Siloauflieger am kombinierten Verkehr teilnehmen. In Spezialterminals werden Züge in kaum 15 Minuten ent- und beladen. In der Theorie.

Nun ist der Logistik-Dienstleister, der seine Wurzeln in Bautzen hat und seit 2011 am Rangierbahnhof in Leipzig-Engelsdorf sitzt, um Praxisbelege bemüht. Im vorigen März hatte er den 1 000. Zug vom italienischen Domodossola bei Mailand durch die Alpen nach Kaldenkirchen bei Venlo an der deutsch-holländischen Grenze geschickt.

Noch erfolgt der Umschlag der 75 Spezialwaggons mit konventionellem mobilen Gerät. Einen Teil des Fuhrparks, dessen Prototypen die Cideon AG in Bautzen konstruiert hat, nutzt DB Cargo, Gütersparte der Deutschen Bahn, zu Touren für Volkswagen von Ungarn nach Braunschweig.

Cargobeamer beschäftigt in Leipzig zwölf Mitarbeiter und hat den Umsatz 2018 in Jahresfrist um 15 Prozent auf rund zehn Millionen Euro gesteigert. Namhafte Unternehmerfamilien wie Flick, Dornier, Wacker, sowie Jan Klatten, Ehemann der BMW-Erbin Susanne Klatten, sind von der bahnbrechenden Technologie aus Sachsen überzeugt und haben Millionen in die Aktiengesellschaft investiert. Deren Ziel sei ein europäisches Netzwerk automatisierter Horizontal-Umschlaganlagen, sagt Vorstandschef Weidemann. Ihm schweben 15 Routen vor. Es gebe Vorplanungen und Analysen für Standorte in Nordrhein-Westfalen, Süddeutschland, an Ostseehäfen und in einigen Ländern Europas. „Auch ein Terminal in Dresden ist durchaus denkbar“, sagt er mit Blick auf den von der Bahn ausrangierten Güterbahnhof Friedrichstadt.

In der nordfranzösischen Hafenstadt Calais, wichtigster Logistikknoten zwischen Großbritannien und Europas Festland, wurde im letzten Sommer ein weiterer Schritt getan. Im Gewerbegebiet Z.A.C. de La Turquerie kauften die Sachsen sechs Hektar Land, die Fläche von zehn Fußballfeldern. Dort wollen sie eine zweistellige Millionensumme in eine automatisierte Umschlaganlage investieren. Weidemann erwartet in diesem Jahr Baurecht, die Inbetriebnahme soll 2021 oder 2022 sein.

Der Chef spricht vom „Meilenstein“. Direkt vor Hafen und Eurotunnel würden 18 Module täglich bis zu 900 Sattelauflieger be- und entladen. Sie erreichten Calais per Schiene aus den Industrie- und Logistikzentren des Kontinents. Täglich überqueren im Schnitt 8 000 Sattelauflieger den Ärmelkanal an der mit 34 Kilometern engsten Stelle – per Fähre oder Bahn im Eurotunnel. Tendenz steigend. Für Bürgermeisterin Natacha Bouchart, Vize-Präsidentin der Region Hauts de France, ist die Ansiedlung „ein großer Schritt“ für die Region „zum umweltschonenden und leisen Warentransport auf der Schiene“.

Speditionen hätten geringere Kosten, verspricht Weidemann: Kein Umbau, vier Tonnen mehr Zuladung, bis zu drei Fahrten mehr pro Fahrer, keine Sonn- oder Feiertagsbeschränkung. Und: „35 Züge sparen so viel CO2-Emission ein wie eine Million Elektroautos“, rechnet er vor. „Cargobeamer hat über 350 Millionen Tonnenkilometer Lkw-Verkehr auf die Schiene verlagert und einen Nutzwert von mehreren Millionen Euro durch Vermeidung von Staus, Emissionen und Unfällen für die Gesellschaft produziert“, sagt er. Die Transporte seien „seit Monaten quasi ausgebucht“.

Für neuen Schub könnte die elektrifizierte Gütermagistrale Knappenrode–Horka sorgen, die im Dezember eröffnet wurde. Weidemann freut’s, auch wenn er noch keinen Zeitplan für ein Terminal in Schlesien hat. Der Chef relativiert die scheinbar schleppende Entwicklung. Angesichts dessen, „dass wir erst vor gut zehn Jahren anfingen, aus Papierskizzen Konstruktionen zu entwickeln, dann Prototypen, Zulassungsverfahren, Messfahrten, drei Jahre Pilotbetrieb mit eigener Terminaltechnik im VW-Werk“, sei die Umsetzung im Maßstab der Bahnwelt „durchaus zügig“. Das erste Terminal in Deutschland solle 2021/22 starten. „Aber möglicherweise sind wir im Nachbarland Frankreich schneller.“

So funktioniert der Cargobeamer: