„Ich gehöre nicht zu den Verfolgten“

Seit 1989 nennen Sie sich Osmar Osten. Finden Sie den Osten so toll?
Das ist ein Wortspiel. Osmar ist mein zweiter Vorname. Namen sind komische Wörter, mit denen man lebenslänglich rumläuft. Aus einer gewissen Ironie heraus finde ich gut, sie immer mal zu ändern. Leonardo Schulze hieß ich auch mal, oder Mitzi Mazurka, der malende Pinsel. Manchmal schreibe ich auch „Ostern“ statt „Osten“.
Warum?
Ich bin eher im spielerischen und weniger im kripo-erkennungsdienstlichen oder kunsthändlerischen Bereich unterwegs. Mich langweilt auch kunsthistorische Forschung. In welchem Jahr wer von Gera nach Paderborn gezogen ist, das ist doch nicht so wichtig.
Dann machen wir doch genau mit einer solchen Frage weiter: Welche Rolle spielte Kunst in Ihrer Kindheit?
Meine Eltern hatten einen Schrank voller Insel-Bücher. Da waren der „Totentanz“ von Cranach dabei und Urs Graf und alte Pflanzenbilder. Das hat mich geprägt. Und dann hatte ich in Karl-Marx-Stadt relativ früh Kontakt zur Galerie Oben und zu den Leuten von der Gruppe Clara Mosch.
Im bunten Aschewirbel

Wie kamen Sie in diese Kreise?
Es gab in der DDR Zeichenzirkel. Da konnte man einfach hingehen, wie heute in die Volkshochschule. So mit 13 Jahren habe ich angefangen, zu zeichnen. In der Galerie Oben in Karl-Marx-Stadt waren jede Woche Veranstaltungen. Thomas Ranft, Gregor-Torsten Kozik und Michael Morgner waren in der Stadt mit ihren Arbeiten einfach immer präsent. In Gera, bei diesen Wismut-Wandbild-Künstlern, wäre ich wahrscheinlich nicht Künstler geworden. Und ich dachte, wenn es mit dem Studium nicht klappt, dann nehmen die dich trotzdem in den Verband Bildender Künstler auf. Das war damals so, dass in Karl-Marx-Stadt auch Leute aufgenommen wurden, die woanders abgelehnt worden waren.
Mit der ersten Eignungsprüfung wurden Sie an der Dresdner Kunsthochschule angenommen. Wie haben Sie das Studium erlebt?
An der Schule war es für mich schwierig. Das Gebäude in Dresden ist schön, aber das Grundlagenstudium war nach der Entwicklung, die ich hier in dieser Karl-Marx-Städter Kunstlandschaft erlebt hatte, irritierend. Wenn du da mal einen blauen Akt gemalt hast, haben die sich im Direktorenzimmer beraten. Da passierten sonderbare Dinge. Es konnte während des Studiums ernsthaften Ärger geben.
Was haben Sie damals gemacht, das so provoziert hat?
Illustrative Zeichnungen. Zum Diplom habe ich die als Mappe veröffentlicht. Die Figuren waren nicht so lustig. Und sie waren schwarz-weiß, das ist für die Laien immer schon depressiv. Der Titel der Mappe war „Im bunten Aschewirbel seh‘ ich dein Gesicht“. Den musste ich ändern. Da habe ich das Wort „Asche“ rausgenommen und dann hieß es eben: „Im bunten Wirbel seh‘ ich dein Gesicht.“ Völlig blödsinnig. Roland Erhardt durfte die Mappe in der Druckwerkstatt der Hochschule nicht mehr drucken, weil von oben die Ansage kam. Er sagte dann zu mir: „Ich fahre die Steine in meine private Werkstatt, die drucke ich dir schon noch!“ Dann war plötzlich wieder Ruhe und es ging es weiter.
Klare Haltung gegen den Krieg
Warum haben Sie vor dem Studium eine Lehre zum Landschaftsgärtner gemacht?Das war die Zeit, wo du in der Schule irgendwann zum Direktor bestellt wurdest und dann hieß es: Wenn du Abitur machen willst, dann erwartet der Staat, dass du dich wenigstens für drei Jahre bei der NVA verpflichtest, besser noch als Berufsoffizier. Das wollte ich nicht.
Woher kam diese Klarheit?
Das hängt sicher auch mit meinen Verwandten zusammen. Die wurden im Zweiten Weltkrieg ausgebombt und einer war als Kriegsdienstverweigerer im KZ. Aber kein Abitur machen und nicht studieren zu dürfen, war hart. Da habe ich ganz schön dran gekaut. Später hat es mich aus der Armee in die Nervenklinik geleiert. Wenn die klüger gewesen wären, hätten die mich gleich ausgemustert. Ich war vorher sogar bei einem Nervenarzt. Aber der meinte, dass mir die Armee guttun würde. Eine totale Fehleinschätzung. Das hätte mich beinahe das Leben gekostet. Eine von den Arbeitstherapeuten in der Klapsmühle hat fleißig über mich geschrieben. Weil das unter Depression lief, stand dann da: „Der ist immer noch nicht wieder lustig!“ Die Stasi war ja so blöd. Bis zur Wende haben die mich beobachtet.
Wie sind Sie in den Fokus der Stasi gekommen?
Es gab eine berühmte Brustschwimmerin, die über Ungarn abgehauen ist. Ihr Freund wurde wegen Beihilfe verhört. Er hat ausgesagt, dass er mich beraten hätte, auf diese Art zu simulieren, um aus der Armee zu kommen. Das hat der sich ausgedacht, um Infos zu liefern und sich beliebt zu machen. Ich war diesen Aufgaben bei der Armee nicht gewachsen als Mensch, weil ich das aus tiefster Seele abgelehnt habe. Ich habe bis heute seelisch große Probleme, wenn ich sehe, dass in anderen Ländern Krieg ist. Diese völlige innere Abneigung, die bekommt man nicht los. Ich kann das kaum verbalisieren. Ich meine, man kommt ja nicht von ungefähr zu solchen komischen Berufen. Ich sitze jetzt hier mit 60 Jahren und male Drachen und kleine Fische und irgendwelches komisches Zeug. Und das soll ein Beruf sein? Ich wüsste gar nicht, was ich arbeiten würde, wenn ich jobben müsste. Ich bin wirklich zu fast nichts zu gebrauchen. Ich habe noch nie einen Computer angefasst.
1985 haben Sie in Dresden Diplom gemacht. Wie ging es danach weiter?
Du bist nach dem Studium automatisch Kandidat im Verband geworden, und ich muss sagen, das war mit diesen Karl-Marx-Städtern unkompliziert. Damals war das eine freie, lebenslustige Szene, offen für alle Kunstrichtungen. Es gab Lesungen, Konzerte, Freejazz. Da habe ich mich wohl und sicher gefühlt.
Haben Sie während des Studiums weiterhin in Karl-Marx-Stadt gewohnt?
Ich bin immer hiergeblieben und mit dem Zug nach Dresden gependelt. Ich hatte damals noch ziemliche Probleme mit der Getränkelage, das habe ich nun geschafft. Aber ich habe es nicht geschafft, umzuziehen. Später, etwa für ein Stipendium in der Villa Massimo in Rom, hätte ich die Kinder aus der Schule nehmen müssen. Das wollte ich nicht. Du bist hier über die Autobahn schnell weg, die Arbeitsräume sind relativ preiswert, es gibt eine schöne Umgebung. Das ist mir wichtig. Ich brauche auch immer mal Großstadt. Ich fahre regelmäßig in Cafés nach Leipzig oder in die „Paris Bar“ nach Berlin. So ist das bei mir.
Wovon haben Sie nach dem Studium gelebt?
Ich habe Zeichenzirkel geleitet. Das habe ich gern gemacht. Im staatlichen Kunsthandel der DDR wurde ich nicht sehr gefördert. Es gab offizielle Symposien, da haben andere Aufträge für Wandbilder bekommen, und ganze Stapel von Zeichnungen wurden angekauft. Von mir nur zwei Radierungen. Da wurde über diese Wege schon korrumpiert. Dann gab es ein nettes Gespräch mit einer Kulturpolitikerin, die meinte, dass es doch viel besser weitergehen könnte, wenn Herr Münzner, wie ich damals hieß, dies und das nicht mehr machen würde und die und die Leute nicht mehr trifft. Ich habe das eher als Bestätigung wahrgenommen, nach dem Motto: Aha, ich bin in guter Gesellschaft!
Welche Leute sollte Herr Münzner denn nicht mehr treffen?
Diese ganze schräge Truppe um Klaus Hähner-Springmühl. Anderen haben sie das Atelier gebaut und es gab große Aufträge. Ich habe damit gerechnet, dass ich, wenn überhaupt, durch Verkaufen über die Runden kommen muss. Ich habe damals mit keiner großen Förderung gerechnet und das ist so geblieben.