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Neue Chefin der Kunstsammlungen Chemnitz: Museen sind Orte der Demokratie

Florence Thurmes leitet die Kunstsammlungen Chemnitz. Ein Gespräch über ihre Rückkehr nach Sachsen und ihre Ideen für ein demokratisches, nachhaltiges und kindgerechtes Museum.

Von Sarah Alberti
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Die Kunstwissenschaftlerin Florence Thurmes, 42, ist in Luxemburg geboren und will als Generaldirektorin der Kunstsammlungen Chemnitz die Demokratiearbeit stärken und Netzwerke ins Umland enger knüpfen.
Die Kunstwissenschaftlerin Florence Thurmes, 42, ist in Luxemburg geboren und will als Generaldirektorin der Kunstsammlungen Chemnitz die Demokratiearbeit stärken und Netzwerke ins Umland enger knüpfen. © Foto: Hendrik Schmidt

Florence Thurmes ist seit Jahresbeginn Generaldirektorin der Kunstsammlungen Chemnitz. Zuvor leitete sie seit März 2022 mit Regina Selter das Museum Ostwall im Dortmunder U und war davor Leiterin der Abteilung Programm der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. 2010 wurde sie über das Thema „Der Blick des Narziss: Vom Spiegelbild zum digitalen Bild“ promoviert.

Frau Thurmes, was ist so reizvoll am Direktionsposten in Chemnitz, dass Sie Dortmund nach knapp zwei Jahren schon wieder verlassen haben?

In Dresden sammlungs- und epochenübergreifend zu arbeiten und dadurch eine größere Komplexität abbilden zu können, war unglaublich bereichernd. In Dortmund fehlte mir diese Bandbreite, die Chemnitz wiederum auch bietet. Es gibt in den Kunstsammlungen am Theaterplatz etwa auch eine Textilsammlung mit Stoffen aus dem koptischen Zeitalter oder dem 19. und 20. Jahrhundert. Auch das Schlossbergmuseum mit der Burg Rabenstein gehört dazu, das Museum Gunzenhauser, das Henry van de Velde Museum und das Carlfriedrich-Claus-Archiv.

An den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden waren Sie mit dem „Mobilen Museum“ und „180 Ideen für Sachsen“ in ganz Sachsen aktiv. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?

Das hat unglaublich viel Spaß gemacht! Dadurch habe ich das Land gut kennen- und auch sehr schätzen gelernt. Die sächsische Museumslandschaft ist breit aufgestellt und reichhaltig. Es gibt viele spezifische Sammlungen zu entdecken, etwa den Frohnauer Hammer in Annaberg-Buchholz, das älteste Schmiedemuseum Deutschlands, hervorgegangen aus einer im Mittelalter errichteten Getreidemühle und heute Bestandteil des Unesco-Welterbes. Oder das Deutsche Stuhlbaumuseum in Rabenau und das Naturalienkabinett in Waldenburg. Die Bereitschaft, über Kunst und Kultur zu diskutieren, ist hier sehr groß. Und es gibt bei den Menschen eine große Identifikation damit.

Zum Auftakt des Jahres widmet sich eine Ausstellung der Kunstsammlungen Chemnitz mit Fotografien aus der DDR den Lebensläufen von vier Fotografinnen.
Zum Auftakt des Jahres widmet sich eine Ausstellung der Kunstsammlungen Chemnitz mit Fotografien aus der DDR den Lebensläufen von vier Fotografinnen. © dpa

Im regen Austausch mit den Alltagsexperten

Ihr Vorgänger Frédéric Bußmann wurde im März 2022 in Chemnitz tätlich angegriffen, als er Jugendliche aufforderte, „Sieg Heil“- Parolen zu unterlassen. Sie schreckt das politische Klima in Sachsen offenbar nicht ab.

Nein, tatsächlich nicht. Chemnitz ist eine tolle Stadt. Als das damals mit Frédéric Bußmann passierte, war ich schockiert. Ich bewundere seine Zivilcourage. Wie er verstehe auch ich Museen als Orte der Demokratiebildung und Demokratievermittlung. Das politische Klima in Sachsen ist natürlich ernst zu nehmen. Bundes- und auch europaweit spitzt sich der Rechtsruck zu. Auch Dortmund hat eine Neonazi-Szene, auch dort gibt es immer wieder rassistisch motivierte Vorfälle. Bestimmte Images hängen bestimmten Orten länger nach. Und trotzdem schaut man stärker auf den Osten, wenn so etwas passiert. Insofern ist es umso wichtiger, mit dem Kulturhauptstadtjahr 2025 ein gutes, positives Gegenbild von Chemnitz und der Region zu schaffen.

Wie kann das Museum als Ort der Demokratie wirksam werden?

Ich glaube, dass Museen das Potenzial haben, eine gewisse Komplexität deutlich zu machen. Diese auszuhalten fällt in einer Zeit, wo es täglich so viele Eindrücke gibt und wir in einer Polykrise leben, vielen Menschen schwer. Museen bieten Gelegenheit, Themen anders zu beleuchten und Zusammenhänge zu erläutern. Kunst und Kultur stärken zudem die Kompetenz, Informationen, die in Form eines Bildes präsentiert werden, zu interpretieren. Unter Demokratiebildung verstehe ich auch, dass man das Museum für alle Menschen öffnet und einlädt, am Gespräch teilzunehmen. Damit meine ich alle, die weder links- noch rechtsradikal sind und sich nicht gegen die Verfassung stellen.

Wie kann das konkret aussehen, das Museum für alle Menschen zu öffnen?

In Dresden und auch in Dortmund haben wir Beiräte eingerichtet. Man trifft sich etwa zweimal pro Monat und spricht über verschiedene Aspekte des Museums. Ein Beispiel: Die Fenster von Museen sind aus klimatischen Gründen meist verdunkelt und viele denken deshalb, dass das Haus geschlossen ist. Auf solche Aspekte wird man durch Bürgerinnen und Bürger aufmerksam gemacht, durch Alltagsexperten. So entsteht Teilhabe auch für ältere Menschen, die nicht mehr so mobil sind oder für Kinder aus ländlichen Räumen.

Haben Sie diesbezüglich schon konkrete Pläne für Chemnitz?

Ich denke an gemeinsame Vermittlungsprogramme mit Museen in der Region, etwa zu Themen wie Anti-Rassismus und Nachhaltigkeit. Themen, die die Gesellschaft heute beschäftigen. Das Budget der Museen wird nicht größer werden. Da muss man gemeinsam denken und Ressourcen teilen. Ich sehe die größeren Museen in der Verantwortung, das mitzudenken und das Potenzial ihrer reichhaltigen Sammlungen zu nutzen. In Dresden gibt es Programme, an die sich sehr gut anknüpfen lässt. Auch das Naturalienkabinett in Waldenburg möchte ich unbedingt einbeziehen, viele weitere Kontakte aufwärmen und neue knüpfen.

Kunst und Klima

Wie nachhaltig kann ein Museum sein?

Hans Carl von Carlowitz hat mit seiner Familie auf Burg Rabenstein gelebt, die ein Teil der Kunstsammlungen Chemnitz ist. Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts schrieb er über Holz als knappen Rohstoff. Er gilt als wesentlicher Schöpfer des forstlichen Nachhaltigkeitsbegriffs. Viele Wälder und historische Parks sind heute bedroht. Eine der Möglichkeiten, den Klimawandel zu stoppen, ist, nachhaltiger mit Bäumen umzugehen und mehr Bäume zu pflanzen. In diesem Jahr wird Anja Richter, die Direktorin des Museum Gunzenhauser, eine Ausstellung mit dem Titel „New Ecologies. Kunst und Klima“ realisieren. Ich möchte die Häuser der Kunstsammlungen untereinander stärker verzahnen, etwa mit Vorträgen im Rahmenprogramm. Es geht aber nicht nur thematisch um Nachhaltigkeit, sondern auch darum, die Museumsarbeit nachhaltiger zu gestalten. Zum Beispiel dadurch, genau zu überlegen, aus welchen Orten man Kunstwerke ausleiht. Da kann man viel Kohlendioxid einsparen. Am Dortmunder U haben wir innerhalb kürzester Zeit 30 Prozent Fernwärme eingespart, indem wir die Klimaanlage teilweise ausgeschaltet haben.

Wie sollte Ihrer Meinung nach ein kindgerechtes Museum aussehen?

Wir sammeln für die künftigen Generationen. Museen sind wichtige außerschulische Lernorte. Da knüpfe ich an die von mir kuratierte Kinderbiennale im Japanischen Palais der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden an. Eine wichtige Erfahrung war damals, dass wir Kinder stärker einbeziehen können und müssen: Wie sehen sie Kunst? Und was sind Orte im Museum, die Kindern gerecht werden? Es gibt tolle Beispiele, etwa von Noura Dirani, die in Lübeck die Kinder-Kunsthalle eröffnet hat. Ich möchte in den Häusern der Kunstsammlungen Chemnitz Orte schaffen, wo Kinder sind wohlfühlen und wo auch Erwachsene mit Kindern gern hinkommen. Das Museum kann ein gemütlicher Ort sein, wo Kinder Inspiration finden können.

Fotografieren in der DDR

Werden Sie als Generaldirektorin eigene Ausstellungen kuratieren?

Das Ausstellungsprogramm für 2024 und 2025 steht fest. In diesem Jahr zeigen wir Hanna Bekker vom Rath, die im Zweiten Weltkrieg eine wichtige Rolle gespielt hat, weil sie Ausstellungen heimlich realisiert hat. Sie hat auch Karl Schmidt-Rotluff und „Die Brücke“ gefördert. Wie man unter dem Radar von einem System Ausstellungen machen kann, mit Kunst, die damals als „entartet“ verfemt wurde, das finde ich sehr spannend. Auch auf die Kulturhauptstadt 2025 freue ich mich sehr. Das Thema „European Realities“ wird im Fokus stehen. Es wird eine Ausstellung zu Edvard Munch geben, in der das Thema Angst im Vordergrund steht. Er war selbst an der spanischen Grippe erkrankt und hat überlebt. Danach wird es eine Ausstellung zum Thema AutodidaktInnen geben, in der die Rolle der Frauen ausgeleuchtet wird, die Anfang des 20. Jahrhunderts kaum Zugang zu öffentlichen Kunstakademien hatten. Ich bringe natürlich auch Ideen mit. Wolfgang Mattheuer ist mir wichtig. Im Jahr 2027 wäre er 100 Jahre geworden. Die Kunstsammlungen Chemnitz besitzen seinen grafischen Bestand. Dazu möchte ich eine Ausstellung machen, die die aktuellen Fragen nach Mythos und Narrativen aufgreift und beleuchtet, wie man heute Systemkritik ausdrücken kann.

In der DDR war Karl-Marx-Stadt, das heutige Chemnitz, das Zentrum der Autodidaktinnen und Autodidakten mit der galerie oben und der Gruppe Clara Mosch. Wird das im Zuge der Kulturhauptstadt dauerhaft im Haus abgebildet werden?

Unter dem Titel „Vier Frauen. Vier Lebensläufe Fotografieren in der DDR“ zeigen wir ab Februar 2024 Arbeiten von Christine Stephan-Brosch, Evelyn Krull, Gerdi Sippel und May Voigt. Die Ausstellung präsentiert Werke, die bis 1989 entstanden sind und unterschiedliche Perspektiven auf die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten werfen. Frédéric Bußmann hat einen Schwerpunkt auf die Ostmoderne gelegt. Daran möchte ich anknüpfen. Auf jeden Fall ist Carlfriedrich Claus wichtig, ein Ausnahmekünstler, dessen Archiv uns gehört.