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DDR-Fotografie: Menschen, Körper und Baustellen

Eine neue Ausstellung gibt seltenen Einblick in die Arbeit von vier DDR-Fotografinnen. Es ist eine Zeitreise in ein Land, das es nicht mehr gibt.

Von Fionn Klose
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Die Fotografinnen Gerdi Sippel (r.) und Evelyn Krull bei der Eröffnung ihrer Ausstellung "Vier Frauen. Vier Leben" in Chemnitz.
Die Fotografinnen Gerdi Sippel (r.) und Evelyn Krull bei der Eröffnung ihrer Ausstellung "Vier Frauen. Vier Leben" in Chemnitz. © kairospress

Otto Dix ist in ein Gespräch vertieft. Er sitzt in einem Atelier in Dresden. Es ist das Jahr 1964, das 200-jährige Gründungsjubiläum der Dresdner Kunsthochschule. Dix ist als ehemaliger Schüler und Professor da. Christine Stephan-Brosch nutzt die Situation und fotografiert Dix während des Gesprächs mit seinem unbekannten Gegenüber.

Rund 60 Jahre später hängt das Foto in den Chemnitzer Kunstsammlungen der Ausstellung "Vier Frauen. Vier Lebensläufe". Zusammen mit rund 80 anderen Werken der sächsischen DDR-Fotografinnen May Voigt, Evelyn Krull und Gerdi Sippel. "Letztes Jahr haben wir zwölf Künstlerporträts von Christine Stephan-Brosch angekauft", sagt Kuratorin Johanna Gerling. Sie habe die Fotografin gemeinsam mit einem Kollegen besucht. Der persönliche Kontakt inspirierte sie. "Dadurch ist dann auch die Idee in mir gewachsen, dass ich eine Ausstellung über DDR-Fotografie machen möchte." Sie wolle Fotografien und Biografien zeigen, die noch nicht so häufig in der Öffentlichkeit standen.

Otto Dix in einem Atelier in Dresden.
Otto Dix in einem Atelier in Dresden. © REPRO kairospress

Die Ausstellung zeigt die weibliche Seite dieses sehr vernachlässigten Kapitels der Fotografiegeschichte. Alle Fotografinnen verbindet ihr Schaffen und ihr Leben in der DDR. Aber ihre Werke und Schwerpunkte ihrer Arbeit unterscheiden sich stark.

Bei Christine Stephan-Brosch, die 1939 in Ebersbach geboren wurde, steht der Mensch selbst, aber auch seine natürliche Umgebung im Mittelpunkt. Neben Fotos von Bäumen, an denen der Einfluss des Menschen auf die Natur sichtbar wird, beeindrucken auch ihre Porträts. Zum Beispiel das von Dr. Eva Schumann, die in den 60-ern die Briefe von Vincent van Gogh übersetzte. Oder ihre Bilder vom in Hilbersdorf bei Chemnitz geborenen Maler Wilhelm Rudolph, den sie auch bei seiner Arbeit in seinem Dresdner Atelier auf der Brühlschen Terrasse fotografierte.

Gerdi Sippel: Die Ruhe der Arbeit

Gerdi Sippel, geboren 1951, kam über Umwege zur Fotografie. Sie war hauptberuflich Tänzerin, hat an der Gret-Palucca-Schule gelernt. "Später hatte ich eine Verletzung am Sprunggelenk und es wurde mit dem Tanzen schwieriger", sagt Sippel im Interview mit Sächsische.de. "Dann musste ich mich neu orientieren. Aber ich hab schon immer gern fotografiert." Ab 1977 studierte sie Fotografik an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig.

Im Fokus ihrer Arbeit steht die Arbeit selbst. Warum eigentlich? "Der Arbeitsprozess an sich ist ja das, was uns Menschen ausmacht", sagt sie. "Ohne diese Prozesse wären wir heute nicht da, wo wir sind. Dann gäbe es ja keine Entwicklung."

"Rekonstruktion Brühl": Ein Bauarbeiter verteilt Split. Durch das spiralförmige Muster sieht es aus, als würde er tanzen.
"Rekonstruktion Brühl": Ein Bauarbeiter verteilt Split. Durch das spiralförmige Muster sieht es aus, als würde er tanzen. © REPRO kairospress
In der Serie "Containerumschlag" macht Sippel die menschliche Arbeit sichtbar, ohne einen Menschen zu zeigen.
In der Serie "Containerumschlag" macht Sippel die menschliche Arbeit sichtbar, ohne einen Menschen zu zeigen. © REPRO kairospress

Diese Entwicklung fängt sie zum Beispiel in ihrer Serie "Rekonstruktion Brühl" ein. Das Brühl-Viertel in Chemnitz wurde in den 80er-Jahren saniert. Sippel wohnte da. Direkt vor ihrer Haustür erstreckte sich eine riesige Baustelle. "Ich habe aus dem Fenster rausgeguckt und gedacht: Das sieht aber toll aus, was da für Strukturen entstehen", so Sippel. "Wir wohnten in der vierten Etage, das gab einen besonderen Draufblick." Über mehrere Wochen fotografierte sie die Baustelle.

Sippel ist eine Beobachterin. Für ihre Fotos der Serie "Containerumschlag" ging sie ohne Kamera an bestimmte Orte und suchte sich ihre Motive. Erst, wenn sie sich sicher war, dass, was sie sieht, ein Foto wert ist, nahm sie die Kamera mit. Denn, anders als heute, steckte hinter dem analogen Fotografieren viel mehr, als nur auf den Auslöser zu drücken. Filme waren teuer, mussten entwickelt werden. Und auf einem Film war die Anzahl an Bildern begrenzt. Sippel stellte sich auf einen Container und fotografierte rangierende LKWs von oben. Auf dem Foto sehen sie aus, wie kleine Spielzeuglastwagen. "Ich fand das total spannend, die Strukturen, die entstehen und die Ruhe, die das wiedergibt", sagt sie.

May Voigt: Das Spiel mit Licht und Dunkel

May Voigt, die 1960 geboren wurde, brachte sich das Fotografieren selbst bei. Das Zusammenspiel zwischen Licht und Dunkelheit durchzieht ihre Bilder. "Darin hat sie auch ihre eigenen Emotionen und Gefühle verarbeitet", sagt Johanna Gerling.

Mit "Henry" gewann May Voigt einen Fotowettbewerb.
Mit "Henry" gewann May Voigt einen Fotowettbewerb. © REPRO kairospress

Mit dem Foto "Henry", das die zerfallende Villa Esche in Chemnitz zeigt, gewann sie einen Fotowettbewerb. Nicht selbstverständlich ohne geeignete Fachausbildung. Deswegen hatte sie Schwierigkeiten, eine Anstellung zu finden. 1984 nahm sie eine Stelle im Stadtarchiv in Karl-Marx-Stadt an. Hier setzte man sich für sie ein, sodass sie an der Technischen Universität Dresden doch zum "Facharbeiter der Fotografie" ausgebildet werden konnte.

Evelyn Krull: Die Sinnlichkeit des menschlichen Körpers

Auf den Fotografien von Evelyn Krull steht der menschliche Körper im Fokus. Sie wurde 1942 in Breslau geboren und ist in Dresden aufgewachsen. Ab 1958 absolvierte sie eine fotografische Fachausbildung und spezialisierte sich auf Werbefotografie. Später beschäftigte sie sich mit der künstlerischen Fotografie. "In den 70ern hat sie angefangen, Akte zu fotografieren", sagt Johanna Gerling. "Dabei hat sie sehr aufs Detail geachtet." Für sie sei es ganz wichtig gewesen, die Sinnlichkeit des menschlichen Körpers darzustellen.

Evelyn Krull fing früh mit der Aktfotografie an.
Evelyn Krull fing früh mit der Aktfotografie an. © REPRO kairospress
Ihre Serie "Körpersprache" umfass insgesamt 50 Werke.
Ihre Serie "Körpersprache" umfass insgesamt 50 Werke. © REPRO kairospress

Bei ihrer Serie "Körpersprache" wird deutlich, mit wie viel Feingefühl Krull den menschlichen Körper in Szene setzt. Sie spielt mit unterschiedlichen Körperhaltungen, Verhüllungen, Motiven, Licht und Schatten. Dabei ergeben sich immer wieder neue Ästhetiken. Der Körper wird in seiner ganzen Vielseitigkeit gezeigt. Dabei spielt die Erotik eher eine untergeordnete Rolle.

Neben der Sinnlichkeit sei Krull noch eine zweite Sache wichtig gewesen, sagt Gerling. Die Selbstbestimmtheit der Personen, die sie fotografierte. "Das waren keine typischen Models, die nur das machen, was die Fotografin ihnen gesagt hat." Sie bevorzugt als Modelle Personen, die mitdenken und ihre eigenen Ideen einfließen lassen.

Infos zur Ausstellung:

  • "Vier Frauen. Vier Lebensläufe – Fotografieren in der DDR"
  • Bis 9. Juni 2024
  • Öffnungszeiten: Dienstag, Donnerstag bis Sonntag und an Feiertagen, 11 bis 18 Uhr, mittwochs 14 bis 21 Uhr
  • Kunstsammlungen Chemnitz, Theaterplatz 1, 09111 Chemnitz