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Da hab ich so meine Tricks

Wenn die Liesl mit ihren Blumen und Obstschalen nicht da wäre, würde etwas fehlen auf dem Bautzener Markt. Beinahe hätte sie ein seltenes Jubiläum gefeiert.

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© ronaldbonss.com

Karin Großmann

Als Viertel nach sechs der Wurst-Franz kommt, hat Elisabeth Werner längst aufgebaut. Sie improvisiert einen Marktstand aus Hockern, Klapptisch und Brett und breitet rotes Wachstuch darüber. Auf die untere Etage stellt sie Schalen mit Süßkirschen. Oben liegen Zwiebelbündel, Gurken und die Johannisbeeren. Jede einzelne rote Rispe hat sie frisch von den Sträuchern geknipst. Es ist den Fingernägeln noch anzusehen.

Wer tut so was für zwei Euro das Pfund? Das ist die falsche Frage am falschen Ort. Elisabeth Werner kann gar nicht anders. Denn was soll sonst damit werden? Sie hat keine Wahl, und hätte sie eine, würde sie sich genauso entscheiden – obwohl es, sagt sie, mit jedem Jahr beschwerlicher wird. Im Februar wird sie achtzig. „Es is, wie’s is.“

Frauen wie sie gibt es nicht mehr viele, die klaglos tun, was getan werden muss. Wenn Hühner Hunger haben, müssen sie Futter kriegen, und Punkt. Elisabeth Werner käme nicht auf die Idee, zu fragen: Was bringt das für mich? Oder gar: Was macht das mit mir? Sie hat zwei Dutzend braune Hühner, denn die weißen, die holt der Habicht. Am Ende des Markttags wird sie fünfzig, sechzig Euro in ihrer Kasse haben, genau weiß sie es nie. „Es kommt doch alles in einen Topf.“ Ein zaghaftes Lächeln sitzt hinter den Brillengläsern. Ein zartes Goldkettchen hängt im Ausschnitt der Bluse. Gelegentlich hilft Elisabeth Werner dem Blond ihres Haares nach.

Sie erinnert sich, wie die Großmutter mit Quark und Butter zum Markt ging und wie sie selber als Kind mit der Mutter Petersilie und kleine rundliche Blumensträuße verkaufte. „Sei immer nett zu den Leuten“, das hat sie von beiden gelernt. Manchmal, sagt sie, haben sie auch zusammen gesungen. „Bin die Dame von dem Hofe, trag ein schweres Atlaskleid.“ Was Bäuerinnen träumen, wenn sie etliche Tausend Quadratmeter Land zu bewirtschaften haben.

1965 baute sie ihren eigenen Stand auf. Seitdem gehört die Liesl, wie sie von allen genannt wird, am Markttag zu Bautzen wie Ritter Dutschmann zum Brunnen. Hätte jemand daran gedacht, hätte sie im vorigen Sommer ihr fünfzigstes Jubiläum feiern können. Der Ritter steht einige Jahre länger dort, aber er hat ja auch sonst nichts zu tun. Leises Plätschern im Hintergrund.

Sie hat ihren Stand nebenan, und niemand käme auf die Idee, ihr diesen Ort streitig zu machen. Die Claims sind abgesteckt, und es fällt auch gleich auf, wenn einer fehlt. Der Hartmut zum Beispiel. Frau Werner sagt, dass er keinen Sonnenschirm dabeihatte beim letzten Mal. Da braucht man sich nicht zu wundern.

Es war noch morgenkühl, als sie an diesem Sonnabend wie jeden Sonnabend den Trabi packte. Die Sonne schaute über den Dorfrand und färbte die Wolken rosa. Elisabeth Werner hatte keinen Blick für die Schwalben, die um den Dreiseithof kreisen. Bloß nichts vergessen. Die blaue Geldkassette, Schere, Stift, Stuhl. Jeder Handgriff ist zigmal getan, und trotzdem. Die Blumen hat sie am Morgen zuvor gepflückt, als der Tau schon weg war und die Sonne noch nicht da. Abends hat sie die Sträuße gebunden, traumhafte Gartenkunststücke. „Ach, sind die schön!“ Das wird sie an diesem Tag mehrfach hören.

Den Trabant-Kombi hatten Werners kurz vor der Wende gekauft. Die Nichtfarbe Beige scheint alternativlos gewesen zu sein. Beim Einpacken der Blumeneimer und Obstwannen lässt sich die Marktfrau nicht helfen. „Da hab ich so meine Tricks.“ Jedes Ding muss an seinen Platz und obenauf die karierte Decke, „wegen der Blicke“.

Der Hof in Jeschütz, wo sie mit ihrem Mann lebt, gehörte den Großeltern. In dem kleinen Ort nördlich von Bautzen ist sie aufgewachsen mit Apfelbäumen und Nussbäumen, mit Pferden und Schweinen und hatte noch vor dem Schulunterricht die Kühe zu melken. Urlaub und Ferien sind Fremdwörter geblieben. „Es is, wie’s is.“ Elisabeth Werner erzählt, dass sie einmal zu Besuch bei Verwandten in Bielefeld war. Das war nach der Wende. „Aber viel zu sehen bekommen, hab ich da nicht.“

Immerhin Bautzen, die Türmereiche – wo die ersten Käufer schon lange vor sieben zwischen den Kisten stehen und darin wühlen, jede Kartoffel befingern und hin- und herdrehen, als könnte ein Goldkorn dazwischenliegen. Vielleicht liegt ja eins. Am Stand daneben baut eine Mittvierzigerin Pyramiden aus Strohmäusen. Ganz süße Ohren. Ein junger Mann verkauft Mangold und Rote Rüben, was eben so wächst.

Die Händler begrüßen einander, und mancher guckt wohl auch mit einem unauffälligen Nebenbeiblick, was die Johannisbeeren bei der Liesl heut kosten. Aus weißer Pappe hat sie Dreiecke zugeschnitten und mit Filzstift den Preis draufgeschrieben. Ein Bund Zwiebeln ein Euro. Im Jeschützer Gemüsegarten stehen die Zwiebeln stramm in zwei Reihen. Die Buschbohnen sind auch bald so weit.

Für diesen Markt kommen Kunden sogar aus Dresden und Görlitz. Der Arzt mit seinem Weidenkorb könnte seine Sprechstunde gleich hier halten, so oft wird er angeredet. Rollatoren rumpeln übers Pflaster. Dass sie unter Leuten ist, sagt Elisabeth Werner, das ist das Schöne. Deshalb ist sie oft auch dienstags und donnerstags da.

„Die Liesl ist unser Maskottchen“, sagt Michael Ubl vom Stand gegenüber, „die gehört schon immer dazu, die macht es mit Herz. Der Markt hält sie fit.“ Ubl verkauft, was er selber anbaut und was andere Bauern ihm mitgeben, Einlegegurken, Erdbeeren, Sellerie. Hier bekommt das Wort Festplatte noch mal einen ganz anderen Klang. Für ihre Stilllebenmalerei könnten sich die Alten Meister nichts Schöneres wünschen. Und wie es riecht! Als sei der Bautzener Hauptmarkt eine riesige Backstube.

Der Himmelsbäcker aus Neukirch holt die ersten Brote aus dem Holzofen, vier, fünf Sorten liegen auf seinem Schieber. Die erste Schlange des Tages entwickelt sich und wird lange bleiben. Die Bäckerin bringt im Vorbeigehen ein Tütchen an den Tisch von Elisabeth Werner, fürs zweite Frühstück. „Geht’s gut?“ Mitten im Gang stehen zwei ältere Paare in edel knitterndem Leinen und tauschen Klatsch aus. Ein Markt ist auch Nachrichtenbörse, immer noch. Mitunter fallen ein paar Sätze auf Sorbisch. Manches versteht Elisabeth Werner, die Großeltern haben Sorbisch gesprochen. Es geht vieles verloren.

Sie putzt den Anschnitt der Salatköpfe, verkauft einer jungen Frau eine Schale Glaskirschen und wickelt einen Blumenstrauß in Zeitungspapier, in sächsisches Zeitungspapier. Na gut. Das haben die Blumen verdient. Denn viel schönere Sträuße lassen sich schwerlich finden.

Bei Elisabeth Werner passt die Rose zum Wiesenklee. Mit traumwandlerischer Sicherheit kombiniert sie die flirrende, zartgrüne Blüte des Frauenmantels mit dem Prachtrot der Wicken. Das Orange der Ringelblume wird ergänzt mit Kornblumenblau und abgemischt mit kleinblütigen Margariten. Wenn sie durch ihren Garten geht, nimmt sie vom Strauch ein paar lila Büschel mit und vom Beet eine Taglilie. „So was hat man im Blut.“ Oder im Mondkalender. Wenn der Mond nicht günstig steht, wird das nichts. Dann fängt Elisabeth Werner gar nicht erst an, die Karthäusernelken zu säen. Dann wartet sie ab und spricht mit anderen Pflanzen. Natürlich nur Lobendes. Einmal, sagt sie, hat sie mit den Stiefmütterchen geschimpft, und seitdem kümmern sie vor sich hin, sogar die neu gekauften. Für Elisabeth Werner ist das keine Glaubenssache, sondern die Erfahrung von Jahrzehnten.

Um neun sind fast alle Sträuße raus. Stammkunden wissen das und geben ihre Bestellung in der Woche zuvor ab. Deshalb stehen Wassereimer mit Blumen unter dem Ladentisch. „Bückware, wie früher“, sagt Elisabeth Werner und lacht.

Als sogenannter Selbsterzeuger zahlt sie 86 Cent Standmiete pro Quadratmeter und sonnabends nur die Hälfte, weil es da nur bis Mittag geht. „Da ist die Parkgebühr teurer.“ Bis Mittag wird sie nicht bleiben, denn bis auf ein paar Johannisbeeren hat sie alles verkauft. „Was du vom Markt wieder mit nach Hause nimmst, ist der Samen fürs nächste Mal.“ Auch das hat sie gelernt von den Vorfahren. Sie hilft dem Gemüsehändler nebenan mit einer Handvoll Kleingeld aus, dann geht sie den Trabi beladen. „Danke!“, ruft ihr der Händler nach. „Kriegst ’n Kuss aufs Bauchknöppel, Liesl, wenn ich mal Zeit hab!“

Ach, Zeit. Die hätte Elisabeth Werner auch gern. Zu Hause wird sie ein Eis essen statt Mittag, wird schlafen, dann wird sie sich um die jungen Enten, um Gänse und Hühner kümmern. Das Gras müsste längst wieder gehauen werden. Überreif hängen die Himbeeren am Strauch. Die beiden erwachsenen Kinder wollen den Marktstand nicht erben. „Es is, wie’s is.“