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Das Dach ist nicht genug

Jörg Dittrich ist weitere fünf Jahre Präsident der Dresdner Handwerkskammer. Der 47-Jährige ist längst aus dem Schatten des Vaters herausgetreten.

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© ronaldbonss.com

Von Michael Rothe

Handwerker vom Bau scheinen zu Höherem berufen – und Dachdecker sowieso. Die höchsten Amtsträger aller drei sächsischen Kammern kommen aus dem Metier: der im November gewählte Bauingenieur Frank Wagner für Chemnitz und mit Claus Gröhn, in Leipzig 2016 im Amt bestätigt, sowie Jörg Dittrich für Dresden gleich zwei „Hochflächendesigner“. Letzterer war vorige Woche von der Vollversammlung bis 2022 im Ehrenamt bestätigt worden. Unspektakulär. Überzeugend. Bei nur einer Gegenstimme unter 38 Wählern.

Vor fünf Jahren hatte es um Ostsachsens höchsten Handwerksposten noch eine Kampfabstimmung und mit Kurt Hähnichen aus Riesa einen Gegenkandidaten gegeben. Doch der Riesaer Kfz- und Kreishandwerksmeister ist mittlerweile pensioniert, eine personelle Alternative zu Dittrich nicht in Sicht. 2012 hatte er die Wahl mit 23:13 Stimmen für sich entschieden und einen Posten übernommen, den zuvor sein Vater Claus zehn Jahre innehatte. Von „Erbhof“, „Monarchie“ und „koreanischen Verhältnissen“ war damals die Rede.

Doch die Kritiker sind verstummt. Der 47-Jährige hat sich Respekt verschafft, ist aus dem Schatten seines Vaters getreten. Der Senior, der das Handwerk und sich perfekt inszenieren konnte, hatte das Zepter übernommen, als die Kammer am Boden war. Zwei seiner Vorgänger hatten sich auf deren Kosten bedient. Ein nach Untreue-Vorwürfen gekündigter Hauptgeschäftsführer hatte sich eine Millionengage eingeklagt. Anwälte gingen ein und aus. Vorstand und Basis waren zerstritten. Das ist Geschichte, Dittrichs schafften die Wende.

Auch der Junior kann zuhören, reden und dabei noch etwas sagen – im Sinne jener 22 300 Mitglieder, deren Sprachrohr er ist. Der Mann nimmt kein Blatt vor den Mund, auch nicht bei heiklen Themen wie Pflichtmitgliedschaft, Flüchtlingsproblematik, Russland-Sanktionen, Sicherheitslage an der Grenze zu Polen und Tschechien.

Nur zuletzt tat er sich schwer, als es um die Bewertung des neuen sächsischen Schulgesetzes und die Frage ging, ob sich Schüler weiter nach der 4. oder – wie von Eltern und der politischen Opposition gefordert – erst nach der 8. Klasse für Gymnasium oder Oberschule entscheiden sollen.

Der bald fünffache Familienvater stimmt in den lauter werdenden Chor ein, der nach einer Berufsausbildung mit Abitur ruft – auch wenn der Name nicht an DDR-Zeiten erinnern darf. Ihm ist es wichtig, dass das Handwerk mit einer Stimme spricht. Zuvor könne und solle es „hart diskutieren und eine Meinung bilden“.

Anders als manch Vorgänger brachte der Handwerksmeister mit Doktortitel die Wahlperiode ohne Skandale hinter sich. Einzig im vergangenen Herbst, als der Landesrechnungshof gegen die aus seiner Sicht mit knapp 10 000 Euro monatlich viel zu hohe Bezahlung des Dresdner Kammerchefs Andreas Brzezinski polterte, hätte es brenzlig werden können. Dittrich verteidigte das Gehalt als angemessen – auch wegen des Arbeitspensums seines Hauptgeschäftsführers und dessen Verzichts auf Nebeneinkünfte. Ein Dachdecker ist auch im Ehrenamt schwindelfrei. So ebbte die Welle der Empörung folgenlos ab.

Dittrich wurde 1969 in Dresden geboren. Seine Lehrer prophezeiten dem 1,0-Musterschüler eine Arztkarriere, doch der entschied sich nicht für weißen Kittel, Stethoskop und Skalpell, sondern für schwarze Zunfthose, Hammer und Flex – zur Freude von Vater Claus, der das Erbe gesichert sah. Sein älterer Sohn Christoph ist eher der Musik zugetan und heute Generalintendant der Städtischen Theater Chemnitz.

Was für Jörg mit Ziegelputzen begann, führte mit 26 Jahren zum Meisterbrief – und nach parallelem Fernstudium an der Fachhochschule Zittau zum Titel eines Diplom-Hochbauingenieurs. Heute führt er in vierter Generation die Geschäfte des 1905 gegründeten Familienbetriebs, der seine Spuren u. a. am Dresdner Kulturpalast und am Festspielhaus Hellerau hinterlassen hat. Die rund 50 Mitarbeiter in den Gewerken Dachdecker, Dachklempner, Zimmerer und Trockenbau erwirtschafteten 2016 rund 6,4 Millionen Euro Umsatz. Dittrich, der 2008 in Betriebswirtschaft promovierte, ist ferner Chef und Mitinhaber von fünf weiteren Unternehmen.

Das Dach war ihm nie genug. Dittrich war bei der letzten Regierungsbildung in Sachsen  von der Presse gar als möglicher Wirtschaftsminister gehandelt worden. Die Vollversammlung des Zentralverbands hatte ihn 2016 einstimmig ins fünfköpfige geschäftsführende Präsidium gewählt. Er vertritt dort ostdeutsche Interessen: bei Bürokratieabbau, Mindestlohn, Steuererleichterungen, digitaler Zukunft, Infrastrukturausbau, Fachkräfte- und Alterssicherung.

Geht es nun ganz nach oben auf der Karriereleiter? Manchem Amtsvorgänger waren schon Ambitionen zum deutschen Handwerkshäuptling nachgesagt worden. Dittrich winkt ab und lacht. „Ich habe nicht diesen Ehrgeiz“, sagt er und fügt hinzu: „Das Problem ist: Die anderen müssen es glauben.“ Immerhin beansprucht das Ehrenamt bereits jetzt rund 60 Prozent seiner Zeit, hängt der Nadelstreifen im Kleiderschrank vor der Dachdeckerweste.

In seiner Bewerbung vor Dresdens Handwerksparlament würdigt er das Gut der Selbstverwaltung, verteidigt Meisterbrief und duale Ausbildung, beschwört Arbeitgeber und Angestellte für die „gemeinsame Mission“, spricht wegen schwindender Wertschätzung für Handwerk von „Gesicht zeigen“ und Siegermentalität. Die hat er auch als Vorstandschef der Volleyballabteilung beim Dresdner SC, dessen Frauen wiederholt Deutscher Meister wurden. Der evangelische Christ engagiert sich zudem im Kuratorium der Dresdner Kinderhilfe.

Und da ist noch Ehefrau Anne, die bei der Wiederwahl dabei war: mit Stolz und dickem Babybauch. Schlechtes Gewissen? „Nein.“ Das Paar hat sich arrangiert. Die ganze Familie. Sohn Max beginnt bald eine Dachdeckerlehre – „freiwillig“, wie er sagt.

An diesem Montag wird Dachdecker Dittrich ganz unten sein. Gemeinsam mit Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) legt er vis  à vis vom Kammersitz im Dresdner Norden den Grundstein für ein neues Bildungszentrum der Kammer. Mit Jahren Verspätung. Mit Zukunft.