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Das Feuer brennt

Die Olympischen Sommerspiele sind eröffnet. Was für ein Akt, schön, bunt, emotional und stundenlang. Dabei steht doch der erste Wettkampftag bevor.

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Tino Meyer

Rio de Janeiro. Die Zeit geht immer als ein Einstieg in einen Text, sozusagen als offizieller Beleg, hochseriös und unbestechlich - am besten mit dem Wort „genau“ versehen. Was könnte also besser zum offiziellsten und zugleich farbenprächtigsten, stimmungsvollsten sowie abendfüllendsten olympischen Programm passen als jene vier Ziffern mit dem Punkt in der Mitte.

Der Beweis! Bin tatsächlich auch im Stadion gewesen - mit den Kollegen Manuel Becker (Mitte) aus Hannover und dem gebürtigen Sachsen Jens Kürbis, der für die Lübecker Nachrichten schreibt (rechts).
Der Beweis! Bin tatsächlich auch im Stadion gewesen - mit den Kollegen Manuel Becker (Mitte) aus Hannover und dem gebürtigen Sachsen Jens Kürbis, der für die Lübecker Nachrichten schreibt (rechts). © Tino Meyer
Das Maracana ist Brasiliens Kultstätte, allerdings entweiht am 13. Juli 2014 durch einen deutschen Fußballer namens Mario Götze. Was der kahle Baum am Eingang soll? Offenbar ein Heiligtum. Vielleicht hat den mal Pelé angefasst.
Das Maracana ist Brasiliens Kultstätte, allerdings entweiht am 13. Juli 2014 durch einen deutschen Fußballer namens Mario Götze. Was der kahle Baum am Eingang soll? Offenbar ein Heiligtum. Vielleicht hat den mal Pelé angefasst. © Tino Meyer
Die normale Akkreditierung reicht nicht. Eröffnungs- und Schlussfeier gehören wie das Mannschaftsfinale der Turnerinnen oder auch das Basketballendspiel mit dem US-Dream-Team zu den sogenannten High Demand Events - und verlangen ein zusätzliches Ticket.
Die normale Akkreditierung reicht nicht. Eröffnungs- und Schlussfeier gehören wie das Mannschaftsfinale der Turnerinnen oder auch das Basketballendspiel mit dem US-Dream-Team zu den sogenannten High Demand Events - und verlangen ein zusätzliches Ticket. © Tino Meyer

Genau 23.48 Uhr ist soweit, das Feuer brennt und die XXXI. Olympischen Sommerspiele der Neuzeit sind eröffnet. Was für ein Spektakel! Knapp vier Stunden Musik, Tanz, Gänsehautmomente. Und was für ein logistischer Kraftakt, wenn der gesamte olympische Tross durch die halbe Stadt bewegt werden muss, noch dazu unter dem Sicherheitsaspekt. Weiträumige Straßensperrungen, Polizeipatrouillen bewaffnet bis an die Zähne, Rucksackkontrollen und der penible Gesichtsabgleich mit dem Foto auf der Akkreditierung am Stadioneingang - viel mehr geht im Kampf gegen die latente Terrorangst. Zudem sind Staatschefs aus der halben Welt angereist, mal abgesehen von Deutschland und auch Russland. Der Bundespräsident hat Zahn, die Kanzlerin wohl noch Urlaub - und Putin rechtzeitig festgestellt, dass er im Reich der Ringe gerade nicht die besten Sympathiewerte genießt.

Nach fast drei Stunden mitunter zähen Taxi- und Busfahrens haben wir es endlich geschafft, und das Erlebnis ist grandios. Fängt ja schon beim Stadion an: Maracana! Es ist die sportliche Kultstätte in Brasilien und seit der Sache mit dem vierten Stern am 13. Juli 2014 nun auch bei den Deutschen, sofern sie dem Fußball einigermaßen zugeneigt sind. Wo vor zwei Jahren der Götzemario getroffen hat, läuft jetzt Gisele Bündchen, Brasiliens Antwort auf die Klumheidi, zu den Klängen vom „Girl of Ipanema“ einmal quer über den Platz. Fetzt!

Überhaupt die Show! Bunt, laut, eindringlich. Als der kleine Junge das mutmaßlich letzte grüne Pflänzchen vor den Folgen des Klimawandels rettet, ist es ergreifend still - für ein paar Sekunden.

Dann tobt die Masse wieder, denn die Teams marschieren ein. Den meisten, ja geradezu ohrenbetäubenden Applaus gibt es natürlich für die Brasilianer, aber auch auffallend viel für deren südamerikanischen Nachbarn, für die Portugiesen, zudem für Spanien, Schweiz, Italien und auch Palästina sowie das Flüchtlingsteam.

Die Deutschen, die um genau 20.53 Uhr das Stadion betreten, fallen dagegen mehr durch ihre Kleidung auf. Ob das schick ist? Vorneweg Timo Boll mit Fahne, Knickerbockern und Strumpfhose, dahinter in einer Reihe Kristina Vogel, Ingrid Klimke, Lena Schöneborn und Moritz Fürste, also die unterlegenen Kandidaten beim erstmals veranstalteten Casting „Deutschland sucht den Fahnenträger“. Und dann alle anderen. Also fast alle. Handballtorwart Andreas Wolff hat sich nämlich zum Beispiel gegen die Eröffnungsfeier entschieden. Er will vorm ersten Vorrundenspiel am Sonntagmittag gegen Schweden lieber zeitig ins Bett.

Das ist das Stichwort. Doch das Programm zieht sich jetzt. Olympische Flagge, olympische Hymne, olympischer Eid, alles muss zelebriert werden. Natürlich auch das Entzünden des Feuers - wie gesagt: um genau 23.48 Uhr -, das Brasiliens tragischster olympischer Held übernimmt. Marathonläufer Vanderlei de Lima, der auf dem Weg zum Olympiasieg 2004 von einem fanatischen Zuschauer von der Strecke gezerrt worden ist und am zumindest noch den dritten Platz rettete.

Inzwischen ist es deutlich später. Das Feuer brennt, der Bus fährt wieder nach Hause und punkt zwei Uhr ist dann Nachtruhe. Jetzt schnell einschlafen. Ab Samstag wird es schließlich ernst, dann fallen die ersten Entscheidungen. In diesem Sinne: tudo olympico e boa noite!

›› Tino Meyers Olympia-Tagebuch aus Rio