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Das heimliche Wahrzeichen

Drei Privatpersonen wollen das 100. Jubiläum des Dianabrunnens nicht verstreichen lassen.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Birgit Ulbricht

Großenhain. Auf dem Hirsch hat jeder Großenhainer schon gesessen. Gefühlt jedenfalls. Jeder kennt den Dianabrunnen zumindest von Kindesbeinen an – das ist nicht zu viel behauptet. Doch auf die Idee, dass der Brunnen ein Denkmal sein könnte, kommen inzwischen manche gar nicht mehr und wenn, dann ist es doch eines der unverfänglichsten, die es je gegeben hat. Wirklich? Die Recherchen von Stadtführer Klaus Hammerlik ergaben etwas anderes.

So gestalteten die Funktionäre den Dianabrunnen zur Stalin-Ära um.
So gestalteten die Funktionäre den Dianabrunnen zur Stalin-Ära um. © Stadtarchiv

Seit der Stadtführer von Heimatgeschichtsautor Wolfgang Milde einmal zu hören bekam: „Mensch, da muss es doch mehr geben zum Dianabrunnen!“, ist das heimliche Wahrzeichen von Großenhain für den Stadtgeschichtenerzähler Gegenstand tieferer Nachforschung geworden. Dabei stand der Dianabrunnen nicht einmal auf der Liste der Denkmale, als Klaus Hammerlik vor Jahren als Stadtführer anfing und so eine Liste in die Hände bekam. Längst hat er den Dianabrunnen selbst auf seine Liste der „wichtigsten Orte in Großenhain“ genommen und erzählt, was er über die Hirsche und Diana erfahren konnte.

Zeiten-Wandel der Diana

Denn kein anderes Denkmal in Großenhain spiegelt so sehr wieder, wer in der Stadt gerade das Sagen hatte und wie die Großenhainer dachten. Schon allein deshalb erzählt dieser Ort wirklich, wie Geschichte funktioniert, menschlich, kurios und immer überraschend. Dass sich Museumsförderverein und Stadtverwaltung vor einer Weile nicht darauf verständigen konnten, das 100. Jubiläum am 27. August gebührend zu feiern, entspricht wohl dem gegenwärtigen Zeitgeist – über Befindlichkeiten hinaus – ein gewisses Zuschieben von Verantwortlichkeit und ermattetes Zurückfallen in den Alltag.

Klaus Hammerlik, Anke Brekow und Sven Mißbach wollten das als Personen letztlich doch nicht so stehenlassen. Denn auch andere Großenhainer schienen das denkwürdige Datum einfach verstreichen lassen zu wollen. Ausgerechnet das lebendigste, bekannteste Zeitzeugnis schien dem Vergessen anheim zu fallen. Doch die drei Geschichtsfreunde haben jetzt eine kleine Feier am Tag auf die Beine gestellt. Der OB hat als Privatperson die Stadtwache und die Jagdhornbläser angesprochen, Mitglieder des Fördervereins werden Kuchen beisteuern. Im Rathaus ist eine Bilderausstellung zu sehen und Klaus Hammerlik wird das ein oder andere Histörchen erzählen, das zeigt, wie Menschen eben so sind – früher wie heute.

Denn am Anfang mochten die Großenhainer „ihre Diana“ eigentlich gar nicht so richtig, erzählt Hammerlik. 1912 sollte ein Zierbrunnen auf den Markt, und die Großenhainer hatten genaue Vorstellungen, wie ihr „Fels in der Brandung“ aussehen sollte: Auf einem Sockel erhob sich im ersten Entwurf ein Zierfelsen, auf dem eine Diana im umschlungenen Jugendstil-Gewand thront. Mit zarter Krone, als Spinnerin – statt als Jägerin erkennbar – eigens für die Tuchmacherstadt Großenhain – Wettiner Wappen, Engeln und natürlich dem Bildnis Friedrich August III. „Die Großenhainer wollten ihre Königstreue zeigen, und sie hatten allen Grund dazu, Großenhainer Tuch wurde beim Militär getragen, und Prinz Albert hat einen direkten Bezug zum Großenhainer Husarenregiment“, so Hammerlik.

Bürgermeister gab selbst Geld

Doch es kam anders. Aus dem „Fels in der Brandung“ wurde der heutige Dianabrunnen. Sprachlich, weil sich weder Zierbrunnen, Königsbrunnen, Neuer Brunnen oder Albert-Denkmal als Umgangsbezeichnung durchsetzten – praktisch, weil die übergeordneten Stellen den Großenhainern einen Strich durch die Rechnung machten. Denn zwar gaben der Bürgermeister persönlich tausend Reichsmark für den neuen Brunnen, der Stadtrat ebenso tausend Reichsmark und Bürger rundeten mit Spenden auf 15000 Reichsmark auf. Aber der zuständige Kunstfonds gab ebenfalls 15000 und bat sich freilich einen Kunstwettbewerb aus. Gewonnen hat der Entwurf mit Diana und den beiden Hirschen. Der Bogen wurde markanter, der Köcher kam hinzu – in Anlehnung an die Parforcejagden der Wettiner, wie es hieß.

Genau die Jagdgesellschaften waren den Großenhainern beim Trinken eher peinlich aufgefallen, wie Klaus Hammerlik aus historischen Zeugnissen herausgelesen hat – und kriegerisch wollte man gleich gar nicht sein. Denn die Eröffnung des neuen Brunnens war als Friedensfeier gedacht. In Großenhain hoffte man 1916 noch immer auf ein schnelles Kriegsende – ein Irrglaube. So wurde der neue Brunnen in Kriegszeiten eingeweiht, mit Schülern, Schützenvereinen, Husaren, Dragonern und Militär sowie Stadtoberen – ein Bild, das sich durch die Zeiten in wechselnden Staffagen wiederholt. Inzwischen hatte der König gewechselt und so wechselten die Bildnisse samt Inschriften am Brunnen.

Später stand Josef Stalin an Dianas Platz, besser gesagt, ein weithin leuchtender roter Stern, drunter zwei große Zitate, eines von Stalin, das andere von Molotow. Und natürlich alles überragend – das Bildnis des großen Führers Josef Stalin. Winziges lokales Detail: die beiden Stein-Kugeln, wo einst die Hirsche ruhten. Sie kamen später auf das heute noch als „Fuchsbau“ bekannten Grundstück am Radeburger Platz. Dass man Väterchen Stalin 1953 nach dessen Tod in Großenhain besser sacht loswerden wollte, mag keinen wundern. Dass die anfangs national gesonnenen Kommunisten Aufschriften an den Brunnen hefteten, wie „Jeder national bewusste Deutsche müsse für den Abzug der Besatzungstruppen sein“, mutet heute seltsam an – aber nur deshalb, weil wir unser heutiges Links-Bild einfach auf die damalige Linke pressen. Doch so wird Geschichte nicht stimmig.

Zum Schmunzeln bringt einen da heute schon eher der vermeintlich kluge Schachzug Großenhainer Genossen: Die schrieben am 8. Dezember 1951 einen Brief an das Ministerium des Innern. In Schwejk´scher Manier schlugen sie vor, es sei doch an der Zeit, statt des Dianabrunnens ein Marx-Engels-Denkmal aufzustellen. Doch das Ministerium bemühte sich nicht, eine solche Order zu geben. So kam der Dianabrunnen zurück und blieb den Großenhainern erhalten. Selten hat ein Bauwerk den Zeitenwandel so plakativ klar symbolisiert wie der Dianabrunnen. Was dem Dianabrunnen widerfuhr, erlebte eine ganze Stadt – das ist die Botschaft.