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„Das nehme ich ihm nicht ab“

Ein Beobachter des Anneli-Prozesses findet harte Worte für einen der Angeklagten – und bewundert die Familie.

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© action press

Dresden/Meißen. An jedem Prozesstag vor dem Landgericht Dresden sitzt Stefan Bisanz im Zuschauerbereich: Ordner auf den Knien, Kuli in der Hand. Im SZ-Interview spricht der Personenschutzexperte darüber, wie der Fall Anneli anderen Gefährdeten helfen kann, was das Besondere am Prozess ist und warum man nicht reich sein muss, um in den Fokus von Entführern zu rücken.

Stefan Bisanz ist Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Personenschutz.
Stefan Bisanz ist Deutschlands einziger öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Personenschutz. © privat

Herr Bisanz, Sie verfolgen den Prozess im Mordfall Anneli und schreiben während der Verhandlungen mit. Warum?

Da geht es mir um mehrere Dinge. Mich interessiert einmal die Vita der Beschuldigten. Diese hat dazu geführt, dass sie in der Lage waren, diese Tat durchzuführen – wenn sie denn für schuldig erklärt werden. Aber, ohne dem Gericht vorgreifen zu wollen, ich denke, das ist ziemlich wahrscheinlich. Im Lebenslauf der Täter gibt es den ein oder anderen Hinweis, den man vielleicht im Umfeld anderer Gefährdeter erkennt. Daraus kann man seine Schlüsse ziehen. Der zweite interessante Punkt ist: Warum dieses Opfer? Warum gerade Anneli und nicht Magda Müller ein Dorf weiter? Da gibt es Indikatoren, die bei jeder Entführung eine Rolle spielen: Opferbereitschaft, also in welcher Art und Weise das Opfer schutzlos ist, finanzielle Leistungskraft und der Bekanntheitsgrad. Als dritter Punkt interessiert mich die Infrastruktur: Was hat ein Täter im Vorfeld dafür getan, um an dieses Opfer heranzukommen und in seiner Vorstellung erfolgreich zu agieren? Wir nennen das „Vortat-Verhalten“. Diese Dinge erfährt man nur im Prozess.

Das heißt, Sie besuchen die Verhandlungen aus persönlichem Interesse und sind nicht etwa als Gutachter bestellt?

Ja, ich bin nicht bestellt. Teilweise werde ich aber von Personenschutzbeauftragten anderer Organisationen beauftragt und liefere diesen am Ende eines solchen Prozesses eine Ergebnisdarstellung, in der ich sage, in diesem Fall hat das und das zur Entführung geführt. Danach können sie besprechen, ob es Parallelen zu ihnen gibt und was verbessert werden kann.

Sie führen auch einen Blog und schreiben über den Angeklagten Norbert K.: „Wie die Opfer wird auch er lebenslang mit den Folgen des Verbrechens zu kämpfen haben ...“ Welchen Eindruck der mutmaßlichen Täter haben Sie?

Grundsätzlich wird durch die Verteidigung die Strategie gefahren, Norbert K. auch als Opfer darzustellen, das ausschließlich durch B. gelenkt wurde. Das geht leider teilweise auf. Ich finde es nicht ganz gerechtfertigt. Klar kennen wir das, dass Menschen anderen hörig sind. Aber er war ja oft genug auch außerhalb des Einflussbereichs von B., wo er zum Hörer hätte greifen und aktiv werden können. Dass er vielleicht nicht der Treiber war, ja, das kann man ihm sicherlich glauben. Aber dass er quasi damit nichts zu tun hatte und wie durch eine fremde Hand geführt wurde, das nehme ich ihm nicht ab. Das ist aus meiner Sicht eher Strategie der Verteidigung. Alle Anträge, die da gestellt werden, alle Befragungen führen in diese Richtung – ohne Rücksicht auf die Opfer, denen man immer wieder zumutet, diese kaltschnäuzigen Anträge miterleben zu müssen. Nicht jede Zeugenaussage der Polizeibeamten ist da von Vorteil gewesen, und Herr Klein, der Anwalt von Herrn K., passt da sehr gut auf und nutzt das für sich. Dass damit weiterhin auf der Familie herumgetrampelt wird, das ist schon sehr, sehr schlimm.

Sie sagen, die Strategie, Norbert K. als Opfer darzustellen, geht auf. Inwiefern?

Je öfter Herr Klein darauf hinweist, je mehr Anträge er stellt, desto eher kann man Gefahr laufen, dem wirklich nachzugehen. Menschen funktionieren ja so: Je öfter etwas erzählt wird, desto eher glaubt man, da ist irgendwas dran. Dass grundsätzlich B. den größeren Teil an der Tat hatte und K. den kleineren, das würde ich sicherlich auch sagen. Aber dass man ihn noch als Opfer und in Anführungsstrichen „fast unschuldig“ hinstellt, das ist nach meinem Geschmack sehr überzogen.

Sie haben schon mehrere ähnliche Gerichtsverfahren verfolgt. Was ist das Besondere am Anneli-Prozess?

Was wieder sehr deutlich wird, ist das extrem große Leid der Familie. Sie gehen damit sehr stark in die Öffentlichkeit und machen publik, was sie ertragen müssen. Und das steht ihnen auch zu, ganz klar. Das ist aber etwas anders als bei anderen Familien. Sie haben eine Stiftung, sie haben ihren Blog und so weiter. Es nehmen ja auch sehr viele Menschen Anteil an ihrem Schicksal, und die Familie empfindet diesen Zuspruch als positiv. Sie sprechen die Täter auch an, nicht nur offiziell wie bei einem der letzten Verhandlungstage zum 18. Geburtstag von Anneli, sondern auch wenn es am Richtertisch eine Inaugenscheinnahme gibt. Da steht oftmals der Vater mit auf, geht zu den Angeklagten und zischt ihnen manchmal etwas zu. Das ist ein hoher Grad an Selbstbeherrschung, da könnte man auch verstehen, wenn er mal über den Tisch springt. Aber Trauerbewältigung ist etwas ganz, ganz Schweres, und da steht jedem das zu, was für ihn am besten ist.

Wie ist es mit dem Vortat-Verhalten? Die Angeklagten sind ja recht stümperhaft an die Sache herangegangen.

Das ist das Gefährliche an Entführungen durch Amateure, weil sie einfach nicht berechenbar sind und nicht verlässlich. Mit Profi-Entführern können Sie klare Absprachen treffen, und wenn Sie sich daran halten, halten sich die Profis auch daran. Eine Panikhandlung wie in diesem Fall haben wir dann eher nicht. Allein das Vergessen einer Maske gäbe es bei einer Profientführung absolut nicht. Allgemeines Vortat-Verhalten wie das Besorgen von Ether und Kabelbindern, das Ausspähen der Situation, das ist über Wochen passiert. Natürlich war es hinterhältig und heimtückisch, halb im Gebüsch zu stehen und dann unerwartet den Überfall zu machen. Das wird er sich alles genau überlegt und mit Sicherheit auch trainiert haben. Es gibt zu solchen Dingen immer Generalproben. So wie K. es aussagt, ohne ihn. Das ist aber noch nicht wirklich bewiesen. Und B. wird sich ja wohl nicht mehr äußern.

Wie können Entführungen denn erschwert oder sogar verhindert werden?

Viele Gefährdete sagen immer, ich stehe ja nicht in der Bunten oder unter den 100 Reichsten, ich bin eigentlich gar nicht bekannt. Aber das Wesen der Entführung ist regional: Die Täter halten sich regional auf, kennen sich aus und ziehen einen Kreis um das Gebiet, in dem sie beheimatet sind. Das kann bis zu 100 Kilometer um diesen Ort gehen. Sie schauen sich an: Wer kann mir in dieser Region eine, zwei oder drei Millionen geben, viel mehr ist es meistens nicht. Auch wenn ich bescheiden mit meinem Geld umgehe: Wichtig ist immer, was der Täter von mir denkt. Wenn er mir zutraut, dass ich eine, zehn oder 100 Millionen habe, behandelt er mich auch so. Ob man dann in Richtung Alarmanlage, operativen Schutz, Beratung oder Verhaltenstraining geht, muss jeder selbst entscheiden.

Wen haben Sie persönlich schon beschützt?

Das darf ich nicht sagen. Einmal aus Diskretion gegenüber den Schutzpersonen und außerdem: Wenn ich jetzt ein paar Namen nenne, bin ich in Zukunft immer der Personenschützer von. Ich betreue jetzt 65 Schutzpersonen und da ist alles dabei: Vorstände von Unternehmen, Privatiers, das ist so meine Klientel. Keine Politiker, die werden durch staatliche Behörden geschützt. Wenn private Sicherheitsfirmen sagen, sie hätten schon mal auf Frau Merkel aufgepasst, dann ist das Quatsch.

Das Gespräch führte Dominique Bielmeier.