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Das Trauma nach dem Einsatz

Viele Soldaten, die unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden, waren schon vorher psychisch erkrankt.

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© picture-alliance/ dpa/dpaweb

Von Sven Siebert, Kladow

Machen Kriegseinsätze psychisch krank? Wie hoch ist die Zahl der Soldaten, die die Erinnerung an einschneidende Erlebnisse bis in den Schlaf verfolgt, die unter ständiger Ruhelosigkeit oder wiederkehrender Panik leiden, tatsächlich? Und wie viele dieser Fälle von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) bleiben unentdeckt?

Eine Arbeitsgruppe der TU Dresden hat sich seit 2009 mit diesen Fragen befasst und teilweise überraschende Erkenntnisse gewonnen. Die Zahl der PTBS-Fälle ist deutlich niedriger als erwartet. Andere einsatzbezogene psychische Störungen spielen hingegen eine größere Rolle als gedacht. Und: Erschreckend viele Fälle bleiben unentdeckt und unbehandelt. Die SZ gibt einen Überblick über die Ergebnisse.

Kehren die Soldaten psychisch krank aus Afghanistan zurück?

Nein, jedenfalls deutlich weniger als gedacht. Die Dresdner Arbeitsgruppe um den Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie Hans-Ulrich Wittchen hat in einer zweiteiligen Studie mehrere Tausend Soldaten befragt, die zwischen 2009 und 2012 in Afghanistan im Einsatz waren. Ergebnis dieser weltweit bisher umfassendsten Untersuchung ist, dass rund drei Prozent der Soldaten mit einer sogenannten posttraumatischen Belastungsstörung aus dem Einsatz zurückkehrten oder diese in den zwölf Monaten nach dem Einsatz entwickelten. Aber nur ein Drittel dieser Fälle war neu. Zwei Drittel waren bereits mit einer solchen – unentdeckten – Störung in den Einsatz gegangen. Die Zahl der Neuerkrankungen ist wesentlich niedriger, als frühere Berichte und oberflächlichere Untersuchungen erwarten ließen. „Ich war darüber überrascht“, sagte Wittchen gestern bei der Vorstellung der Studie in der Blücher-Kaserne in Berlin-Kladow. Aus den USA gibt es Berichte, wonach bis zu einem Viertel der in Afghanistan und Irak eingesetzten Soldaten an PTBS litten.

Sind psychische Erkrankungen nach einem Einsatz immer PTBS?

Keineswegs. Tatsächlich ist Zahl anderer psychischer Störungen sogar höher. Die Forscher fanden bei gut sieben Prozent der Soldaten eine andere Erkrankung – beispielsweise Angststörungen, Depressionen oder Alkoholstörungen. Auch diese Fälle gelten als „einsatzbezogen“, das heißt: Sie wurden durch traumatische Erlebnisse im Einsatz ausgelöst. Allerdings muss man auch hier feststellen, dass viele Betroffene diese Probleme bereits von zu Hause mitgebracht hatten. Wittchen sagte, die Studie mache deutlich, dass nicht jede Störung PTBS sei – vor allem nicht jede Störung als PTBS behandelt werden dürfe.

Welche Soldaten sind besonders gefährdet?

Ein zentrales Ergebnis der Studie ist, dass die meisten Erkrankten bereits vorher an psychischen Störungen litten. Ein Fünftel brachte eine Störung mit in den Einsatz. Diese Vorbelastung verbunden mit einer größeren Zahl traumatischer Erlebnisse wie Beschuss, Gefechte, Erleben von Verwundung oder Tod von Kameraden oder Zivilisten führte häufig zu PTBS. „Wenn man diese beiden Merkmale – Vorbelastung und Zahl der Erlebnisse – zusammen betrachtete, würde man 80 Prozent der PTBS-Fälle entdecken“, sagte Wittchen.

Warum bleiben so viele Fälle unentdeckt?

Ein Ziel der Studie war es, das Dunkelfeld aufzuklären. Sind die bekannten PTBS-Fälle nur „die Spitze des Eisbergs“? Die Antwort auf diese Frage lautet klar: Ja. Nicht mal ein Fünftel aller einsatzbezogenen psychischen Störungen war entdeckt und wurde auch behandelt. Die weit überwiegende Zahl blieb unentdeckt oder ohne Therapie. Vielfach ist die Angst davor, durch eine „Psycho-Diagnose“ Nachteile in der Soldaten-Karriere zu erleiden. Diese sei eine Bundeswehr-spezifische Erkenntnis, sagte Wittchen der SZ. Im zivilen Leben sind die Hemmungen, psychologische Hilfe in Anspruch zu nehmen, deutlich geringer.

Ist der Kriegseinsatz der große Krankmacher?

Das Risiko, als Soldat an einer PTBS zu erkranken, ist im Einsatz zwei- bis viermal so hoch wie in der Heimat. Für Angehörige von Kampftruppen, etwa in Kundus, ist es nochmals verdoppelt – allerdings auf insgesamt eher niedrigem Niveau. Denn auch Soldaten ohne Auslandseinsatz entwickeln psychische Störungen und PTBS. Diese Erkrankungen können auch im Zivilleben entstehen. Soldaten leiden insgesamt sogar weniger an psychischen Erkrankungen als die Bevölkerung insgesamt. Und Wittchen betont, dass viele Störungen sogar eher bei Unterforderung als bei besonderer Belastung auftreten.