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DDR-Minister und streitbarer Anwalt

Peter-Michael Diestel kennt viele Politiker aus der Wendezeit 1989/90 noch persönlich: Der letzte Innenminister der DDR will trotz seines 65. Geburtstags kein Rentner sein.

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© dpa

Winfried Wagner

Zislow/Potsdam. Peter-Michael Diestel ist als Anwalt für scharfe Formulierungen bekannt. Wolfgang Schäuble und Gregor Gysi nennt er „meine Freunde“, Angela Merkel die „stärkste politische Kraft“, aber die Politik der CDU in Deutschland „einen Pudding, den man nicht an die Wand nageln kann.“ „Und das tut mir als Parteimitglied auch weh“, erklärt er. Er war von allen DDR-Innenministern am kürzesten im Amt - gehört jedoch zu den bekanntesten. In seiner Minister-Ära erfuhr die erstaunte Öffentlichkeit im Juni 1990, dass die DDR Mitgliedern der links-terroristischen Rote Armee Fraktion (RAF) Unterschlupf gewährt hatte.

Am 14. Februar wird Diestel 65 Jahre alt. „Gefeiert wird aber erst am Himmelfahrtstag in Zislow“, bekräftigt der Jurist. Das abgelegene Gehöft am Rande des Dorfes am Plauer See in Mecklenburg-Vorpommern ist inzwischen neben Potsdam sein Lebensmittelpunkt. An Ruhestand denkt er nicht.

Diestel kam in Prora auf der Insel Rügen als Sohn einer Offiziersfamilie auf die Welt. Die Familie zog nach Leipzig, Diestel wurde erst Rinderzüchter. 1978 schloss er ein Jura-Studium an der Karl-Marx-Universität Leipzig mit Auszeichnung ab. Auf die politische Bühne kam er erst in der Wendezeit. „Bei uns in der Wohnung in Leipzig wurde die Deutschen Soziale Union (DSU) gegründet“, erzählt er. Die mit Hilfe der bayerischen CSU gebildete DSU schloss sich wenig später mit dem ebenfalls neu gegründeten Demokratischen Aufbruch und der alten Ost-CDU zu dem Wahlbündnis „Allianz für Deutschland“, zusammen. Mit Hilfe von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) gewann es die erste freie Wahl in der DDR im März 1990.

Der daraus folgenden ersten demokratisch legitimierten DDR-Regierung unter Lothar de Maizière (CDU) gehörte Diestel als Innenminister und Vize-Ministerpräsident an. „Ich bin sehr stolz, die Bewaffneten in der DDR friedlich in die deutsche Einheit geführt zu haben“, sagt er mit Blick auf Polizei und Staatssicherheit. Sechs Monate war er Innenminister. „Die Gestaltung der Einheit“ bezeichnet er als den politischen Höhepunkt in seinem Leben. Seine größte Niederlage sei gewesen, dass die CDU unter Kohl es ablehnte, viele Konservative unter den 2,4 Millionen SED-Mitgliedern aufzunehmen. Von denen hätten viele nun AfD gewählt.

Bei Bürgerrechtlern und Wissenschaftlern stieß Diestels politisches Agieren, auch sein Umgang mit dem Erbe der DDR-Staatssicherheit, auf viel Kritik. „Herr Diestel hat seine eigene Sicht auf die DDR, die von der Wissenschaft nicht geteilt werden kann“, meint Historiker Fred Mrotzek aus Rostock. Man müsse dem Ex-Minister aber „ein gewisses Charisma und eine Autorität zugestehen, die in dieser Zeit sehr wichtig waren.“

Im Oktober 1990 führte Diestel als Spitzenkandidat die Brandenburger CDU in die Landtagswahl, unterlag aber Manfred Stolpe (SPD) und nahm auf der Oppositionsbank Platz. „Wir haben die brandenburgische Verfassung mitgeprägt“, sagt der damalige CDU-Fraktionschef heute. Nach Spannungen in der Debatte um die Landesverfassung trat er im Mai 1992 zurück. Schon 1990, als in Ostdeutschland Tausende arbeitslos wurden, eröffnete er Anwaltskanzleien in Potsdam und Leipzig, später kamen Kooperationen in Rostock und Hamburg dazu.

1993 kaufte er das idyllische Grundstück in Zislow, wo die Familie schon in der DDR Urlaub gemacht hat. Wer dorthin kommt, sieht viel Kunst an der Wand. Diestels Tag beginnt im Kraftraum. „Der Weg dahin wird morgens aber immer länger“, gibt er zu. Der Anwalt bezeichnet sich als einen konservativen Menschen und Christen. „Deshalb tun mir die weltanschaulichen Purzelbäume meiner Partei auch weh.“

So könne er in Mecklenburg-Vorpommern selbst derzeit nicht CDU wählen, denn dort fehlten „elitäre Köpfe.“ Er befürchtet, dass die Christdemokraten demnächst wieder unter die 20 Prozent rutschen, wie zuletzt. Der AfD bescheinigt Diestel, dass sie Themen anpackt, an die sich andere Parteien nicht trauen. So sei es sinnvoll gewesen, dass der Wolf einst gejagt wurde. Dieser breite sich nun immer weiter aus und erschwere Tierhaltern das Leben. Dies fänden nur die „Öko-Gutmenschen in Berlin und anderswo gut.“

„Der Satz „Ich liebe mein Vaterland“ muss wieder erlaubt sein, ohne dass gleich vermutet wird, der malt heimlich Hakenkreuze“, sagt Diestel. Das sei in Deutschland noch nicht möglich, verändere sich aber gerade. In die AfD wechseln will er aber nicht.

In den zurückliegenden Jahren hatte der Jurist als Präsident des FC Hansa Rostock, mit Prozessen und mit seiner dritten Hochzeit für Schlagzeilen gesorgt. Im Mai 2014 heiratete er in der Fachwerkkirche in Zislow die Potsdamer Zahnärztin Antje Langer. Trauzeugen waren Gregor Gysi und Lothar de Maizière, unter den rund 100 Gästen Schauspieler Peter Sodann und Ex-DDR-Staatschef Egon Krenz. Den Kontakt zu Ex-Bundesverkehrsminister und CDU-Mann Günther Krause, der mit Wolfgang Schäuble den Einigungsvertrag aushandelte, habe er verloren.

Privat fühlt sich der Ex-Politiker und Vierfach-Großvater sehr wohl. An seinem Geburtstag werde er aber nicht feiern. „Am 13. Februar bin ich traditionell mit Frau in Dresden, wo wir ein Requiem für die Opfer der Bombardierung 1945 hören“, erzählt Diestel. Der 14. Februar stehe immer ganz unter dieser Stimmung. (dpa)