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Demo-Prozess geht schleppend voran

Der angeklagte Bad Schandauer Ex-Stadtrat Steffen Kunze zweifelt ein Gutachten an. Es geht um Millimeter.

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© Katja Frohberg

Von Gunnar Klehm

Bad Schandau/Pirna. Jetzt soll ein Volkswagen-Experte für Aufklärung im Demo-Prozess sorgen. Statt über ein mögliches Urteil wurde am Freitag am Amtsgericht in Pirna erneut über technische Details von Automatik-Getrieben gesprochen. Zudem sorgte der angeklagte Steffen Kunze, Ex-Stadtrat und früherer Bürgermeisterkandidat von Bad Schandau, mit einer Erklärung für Aufsehen und damit dafür, dass der Strafprozess in eine weitere Verlängerung statt dem Ende entgegen geht.

Steffen Kunze soll am 8. Januar 2015 am Rande zweier Kundgebungen auf dem Marktplatz von Bad Schandau mit seinem Auto einen Polizisten angefahren und verletzt haben. Er hatte daraufhin einen Strafbefehl erhalten, gegen den er Einspruch erhob. Deshalb gibt es nun die Hauptverhandlung am Amtsgericht Pirna.

Es war inzwischen der siebente Verhandlungstag. An diesem wurde das medizinische Gutachten der Gerichtsmedizin erwartet. Doch weder die Gutachterin noch der hinzugezogene Professor, ein renommierter Unfallchirurg, waren gekommen. Sie seien terminlich verhindert, hieß es. Da das Gutachten aber schriftlich vorlag, wurde allen Prozessbeteiligten später eine Lese- und Beratungspause gegeben.

Zweifel an Gutachter-Kompetenz

Zuvor hatte Steffen Kunze überraschend eine Erklärung verlesen. Darin legte er unter anderem dar, warum er und weitere Personen an jenem Tag ihre Autos extra auf dem Marktplatz abgestellt hatten. Das sei eine Reaktion auf ein Telefonat am Vorabend gewesen. Da hatte Kunze den DGB-Kreisvorsitzenden angerufen, den Anmelder einer Gegenveranstaltung zu einer Anti-Asyl-Demonstration, die der NPD-Kreisvorsitzende Thomas Sattelberg auf der anderen Seite des Marktplatzes für jenen Abend angemeldet hatte. Was der DGB-Vertreter sagte, habe Kunze sehr erbost und dazu noch die Ankündigung, dass das Licht des Historischen Personenaufzugs während der Anti-Asyl-Demo ausgeschaltet würde. Er redete über eine eigene antifaschistische Aktion, für die er vor vielen Jahren sogar mal ausgezeichnet wurde und darüber, dass er am Demo-Abend nicht in die Kirche am Marktplatz gelassen wurde, in der er geheiratet hatte, seine Kinder getauft wurden. Das sei für ihn alles wichtig, wenn es darum geht, dass sein Handeln am 8. Januar vom Gericht bewertet wird.

Dann zweifelte Steffen Kunze die Kompetenz des Dekra-Sachverständigen, der ein gerichtliches Gutachten erstellt hatte, in wesentlichen Punkten an. Insbesondere geht es um die Schaltposition des Automatikautos, mit dem Steffen Kunze den Polizisten verletzt haben soll. Wäre die Stellung während des Vorfalls auf D fürs Fahren gewesen, könnte man ihm ein vorsätzliches Losfahren unterstellen. Diese Getriebeposition hielt der Sachverständige für die einzig logische. Kunze bestreitet das. „Ich habe keine Erinnerung daran, die D-Stufe eingelegt zu haben“, sagte er.

Dann begründete er detailreich, dass es auch die P-Stufe fürs Parken gewesen sein könnte. Dabei geht es um Millimeter. Dass sich sein Auto auf den vor dem Fahrzeug stehenden Polizisten zu bewegt hatte, ist unstrittig. Der Dekra-Sachverständige errechnete anhand der auf dem Video zu sehenden Drehbewegung der Reifen, dass sich das Auto maximal zehn oder elf Zentimeter bewegt hat. Ab zehn Zentimeter wäre das nur in der D-Stufe möglich, ohne dass das Auto aufschaukelt.

Steffen Kunze hat sich dazu nach eigenen Angaben Auskunft bei einem Volkswagen-Experten geholt. Der habe erklärt, dass es auch dann kein Aufschaukeln gibt, wenn es ein Automatikgetriebe mit Auto-Hold-Funktion ist und die Fahrstrecke statt 10 nur 8,5 Zentimeter lang war. Diese Funktion habe Kunzes VW gehabt. Das Auto gibt es aber nicht mehr.

Weil es bei der Autobewegung um entscheidende Millimeter geht, hat sich die Verteidigung mit der Gesellschaft für Unfallforschung in Radebeul ausgetauscht. Die kam zu dem Schluss, dass sich Kunzes Auto auch nur 8,2 Zentimeter fortbewegt haben könnte, was eine Schaltposition auf P möglich machen würde. Dann zog Steffen Kunze die Kompetenz des Dekra-Gutachters weiter in Zweifel. Dieser habe nicht ausreichend die Stoßfänger-Absorption des Fahrzeugmodells berücksichtigt, zudem hätten die Räder bei einer Vor-Ort-Nachstellung des Geschehens nicht die gleiche Größe wie jene seines damaligen Wagens gehabt, so Kunze. Auch habe der Sachverständige das jetzige Gefälle an der Stelle bewertet, obwohl das Pflaster ein neues ist, weil der Platz saniert wurde. Aus diesen Gründen beantragte Steffen Kunze, das Dekra-Gutachten zu verwerfen. Das könnte dafür sorgen, dass es ein Marathon-Prozess wird. Das Gericht könnte nun den VW-Experten und die Radebeuler Unfallforscher zu Stellungnahmen auffordern. Eine Entscheidung dazu gibt es noch nicht.

Schwere Verletzung ausgeschlossen

Das medizinische Gutachten scheint aber eine klare Aussage zu haben. Demnach könne die festgestellte Bewegung des Autos zwar schmerzhaft für denjenigen sein, der dabei am Knie getroffen wird. Doch die später beim Polizisten diagnostizierte schwere Knieverletzung könne nicht von dem angenommenen Anstoß herrühren, heißt es. „Eine Körperverletzung könnte es aber trotzdem noch sein“, erklärte der Anwalt des Polizisten, Andreas Gumprich. Für möglich halten es die medizinischen Gutachter allerdings, dass sich der Polizist bei der anschließenden Festnahme Kunzes verletzt haben könnte, wenn er dabei mit dem besagten Knie unglücklich auf das Pflaster aufgeschlagen sein sollte.

Dazu werden beide Gutachter nun beim nächsten Prozesstermin am 1. April befragt. Sollten dann auch noch mit neuen Experten die technischen Details des Autos ausgewertet werden, ist klar, dass noch mehr Termine notwendig sind. Die Dimension ist jetzt schon für ein Verfahren an einem Amtsgericht außergewöhnlich groß.