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Der älteste Jugendclub der DDR

Clemens Mieth forscht zur Geschichte des Bautzener Steinhauses. 1946 war es der erste offizielle Jugendclub in der sowjetischen Besatzungszone - für Mieth ist es heute vielleicht eine Karrierechance.

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© Kristin Richter

Von Madeleine Arndt

Bautzen. Wenn Akademiker als Taxifahrer arbeiten müssen, dann sind es die Geisteswissenschaftler. So lautet das Klischee, das das Problem studierter Schöngeister umrahmt: Für sie gibt es oft keine passende Stelle, weshalb sie sich entweder mit Aushilfsjobs über Wasser halten oder in andere Bereiche quer einsteigen. Auch der Bautzener Clemens Mieth fand nach seinem Politik- und Geschichtsstudium trotz Bewerbungsmarathon und Flexibilität im Lebensentwurf keinen Job. Nun öffnet sich im Bautzener Stadtarchiv für ihn ein Karrierefenster – dank Eigeninitiative und eines besonderen Jubiläums.

„Das Steinhaus wird in diesem Jahr 70 Jahre alt. Seit 1946 ist es ein offizieller Jugendclub. Es war der erste in der sowjetischen Besatzungszone“, erklärt Mieth. Der arbeitslose Akademiker ist in diesem Jahr schon tief in die wechselvolle Geschichte des 1887 errichteten Gebäudes an der Steinstraße vorgestoßen. Seit Februar hilft er als Ehrenamtler zweimal wöchentlich im Stadtarchiv aus. Dabei hat er die Vorrecherche für eine Wissenschaftlerin vom Berliner Max-Planck-Institut für Bildungsforschung übernommen. Sie und andere Experten wollen im November anlässlich des Steinhaus-Jubiläums eine Fachtagung in Bautzen durchführen. Mieths Einsatz hat überzeugt, weshalb der junge Mann seit dieser Woche einen Werkvertrag in den Händen hält. Seine Aufgabe ist es, die Historie des Clubs aufzuarbeiten.

Suche in 1 400 Metern Archivgut

Dass sich Clemens Mieth hier qualifiziert habe, sei eine Besonderheit, betont Grit Richter-Laugwitz, Leiterin des Archivverbundes Bautzen. Denn die Arbeit in ihrem Hause erfordert normalerweise ein Studium der Archivwissenschaften. „Der Historiker wertet aus, der Archivar bereitet wertneutral auf“, erklärt die Archivarin den entscheidenden Unterschied. Weil Archivgut oft aus Unikaten besteht und als Primärquelle eine große Bedeutung für die Forschung hat, muss mit ihm sensibel umgegangen werden. Auf den jungen Bautzener hält Richter-Laugwitz große Stücke: „Wir profitieren von seiner Arbeit.“

In den nächsten Wochen und Monaten wühlt sich Mieth durch 1 400 Meter städtisches Archivgut und hebt die Akten aus, wie der Fachmann sagt. Tatsächlich lagern die Dokumente in grauen Schachteln bei konstanten 24 Grad Celsius und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit auf hohen Regalen im Magazin des Stadtarchivs. Die gelben Schränke lassen sich mit einer Kurbel auseinander fahren. So wird Platz gespart. Das Jugendklubhaus Willy Mirtschin – wie das Steinhaus in der DDR ab 1982 hieß – besitzt sogar eine eigene Archivnummer, so viel Material hat sich in dieser Zeit angesammelt. Mieth will sich akribisch Dokument für Dokument vornehmen. Nicht nur die Berichte der FDJ-Kreisleitung zur Planerfüllung im Hause wurden aufgehoben. In den Ordnern und Schachteln lagern auch handgeschriebene Briefe, Auflistungen zu Personal und Inventar, sogar kleine Passbilder der damaligen Mitarbeiter.

Meilensteine und Brüche

„Ich versuche, die Meilensteine und Brüche in der Hausgeschichte herauszukristallisieren“, sagt Mieth. Davon gibt es einige: Vor 1910 war das Haus Kinderarbeitsschule und Mädchenerziehungsanstalt, später wurde es ausschließlich ein Waisenhaus für Mädchen, in den 30er-Jahren ein Heim der Hitlerjugend. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatte sich der später nach einem Bautzener Kommunisten benannte Jugendclub, in dem auch die FDJ-Kreisleitung saß, dem Sozialismus verschrieben. Zumindest auf dem Papier. „Gerade zum Ende der DDR hin haben sich die Jugendlichen von der sozialistischen Propaganda gelöst, inoffiziell bestanden Freiräume“, erklärt Mieth. Dabei geriet der FDJ-Club mindestens einmal ins Visier der Stasi. 1989 gab es wohl einen chaotischen Auftritt der Punkband Kommando Wnimanje (russisch für: Achtung). „Der hatte ein Stasi-Nachspiel“, berichtet der Historiker.

Während solche Begebenheiten gut belegt sind, gebe es auch dunkle Flecken zu lichten, sagt der 30-Jährige. So ist zu den 50er- und 60er-Jahren wenig Material zu finden. Da kann laut Mieth in der chaotischen Wendezeit einiges verloren gegangen sein. Der Akademiker will natürlich auch die linksalternative Nachwendezeit und jüngste Geschichte des Steinhauses mit seinen generationenübergreifenden Angeboten betrachten. Sind die Recherchen abgeschlossen, möchte er einen Fachartikel zum Steinhaus veröffentlichen. Für den Geisteswissenschaftler ist das ein weiterer wichtiger Schritt hin zum festen Job.