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Der Barthübschmacher

Friseur Marcel Menzel startet nach der Insolvenz neu durch. In einem neuen Laden mit neuem Konzept. Jedoch als Angestellter.

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© Norbert Millauer

Von Ulrike Keller

Radebeul. Stammkunde Charly spricht „Mach mal“. Schon ist der Stuhl in Liegeposition gekippt, und Marcel Menzel zückt das Rasiermesser. Dass der 31-jährige Friseur Bärte stylt, ist neu. Dazu trägt er retro-eleganten Barber-Schick. Schwarzes Hemd und helle Hosenträger kombinieren sich zur Dienstkleidung. Neu ist auch alles um ihn herum. Der Laden. Die Einrichtung. Das Konzept. Im „Inkognito“ auf der Radebeuler Winzerstraße 78 a hat der stadtbekannte „Hübschmacher“ im Juli noch einmal von vorn angefangen. Jedoch nicht als Unternehmer, sondern als Mitarbeiter.

Dass es so schnell wieder aufwärts gehen könnte, damit hatte der Begründer und frühere Inhaber der „Hübschmacherei“ in Altkötzschenbroda selbst nicht gerechnet. Was ihm zum Verhängnis wurde, waren sechs Friseurprodukte in seinem damaligen Onlineshop. „Wir haben versehentlich vergessen, die Vergleichsmenge anzugeben“, erzählt er. Schneller als gedacht hatte er eine Klage am Hals, mit 74 Nebenklägern, die ihm Wettbewerbsverzerrung vorwarfen.

Das Gerichtsverfahren im Januar endete für ihn mit einer sechsstelligen Abmahnungssumme. „Mir war schnell klar, dass es unrealistisch ist, einen solchen Betrag mit einem Friseurgeschäft zu erwirtschaften“, sagt Marcel Menzel. Ende Februar fasste er den Entschluss, einen Insolvenzantrag zu stellen. Der Salon auf dem Anger wurde von einer seiner früheren Angestellten gekauft.

Der kreative Radebeuler fand sich in einer Situation wieder, die verrückter nicht hätte sein können: volle Auftragsbücher, aber ohne Laden. Eine langjährige Kundin, von Beruf Unternehmensberaterin, ergriff die Initiative und gab ihm eine neue Chance. In einem Geschäft, das sie wegen der versteckten Lage im Kellergeschoss „Inkognito“ tauften. Marcel Menzel witzelt: „Das ist das bestgehütete Geheimnis Radebeuls.“

Der Mann mit dem Stehaufmännchen-Gen lässt sich nicht unterkriegen. „Ich habe einen Fehler gemacht, der mich teuer zu stehen gekommen ist, aber ich bleibe nicht liegen, sondern mache weiter“, sagt er. Vom ersten Tag an hatte er alle Hände voll zu tun. Sofort waren zu gesellschaftlichen Großereignissen wie Oktoberfest und Semperopernball Termine fürs Haarstyling quasi ausgebucht. Und besonders mutig: Auch einen Onlineshop hat Inkognito parallel eröffnet. Mit Sitz im selben Haus.

Im Team arbeitet Marcel Menzel mit Friseurmeisterin und Farbspezialistin Steffi. Sie übernimmt auch das Schneiden und Stylen auswärts, etwa bei Hochzeiten. Die Nachfrage für diesen mobilen Service ist so groß, dass Termine mit mindestens einer Woche Vorlauf zu vereinbaren sind.

Marcel Menzel ist dafür allzeit im Salon präsent. Da, wo er auch bei der Raumdeko wieder deutlich seine Handschrift hinterlassen hat. Allerdings einen ganz neuen Stil fährt. „Männlicher und erwachsener“, beschreibt der Friseur mit Einrichtungsfaible das Konzept. Darum eisblaue Tapete und schwarze Möbel. Und keinerlei Glitzer mehr. Stattdessen zieren altes Friseurhandwerkszeug und Schallplatten die Wände.

Wartende Begleiter der Kundschaft nehmen auf einem der türkisfarbenen Kinoklappsitze Platz, gepolstert. Diese ausrangierten Originale kommen derart gut an, dass dem Inkognito-Team schon etliche Ideen für ausgefallene Veranstaltungen im Kopf umherschwirren. Veranstaltungen, die sie für ihre Kunden organisieren wollen. Mit den vier Klappsitzen wären sie zurzeit tatsächlich Radebeuls kleinstes Kino.

Der gesamte Raum wirkt aufgrund seiner überschaubaren Größe gemütlich. „Sehr persönlich“, findet Marcel Menzel die Atmosphäre. Es gibt nur zwei Plätze zum Frisieren oder Rasieren. „So haben wir mehr Zeit für unsere Kunden.“

Bei diesen wollen sie auch mit allerlei Service punkten. So leisten sie sich keinen Schließtag, lassen bei Terminwünschen größtmögliche Flexibilität walten und bieten – gerade für die Wartenden nützlich – kostenloses WLAN an. Darüber hinaus erfüllt das stylende Duo seinen Kunden jeden noch so extravaganten Getränkewunsch. Im Preis inbegriffen, versteht sich. „Für einen Herrn holen wir extra belgisches Bier heran“, erzählt der Inkognito-Mann.

Charly auf dem Rasierstuhl ist eher der Whisky-Typ. Er kam schon auf dem Anger zu Marcel Menzel Haareschneiden und folgte ihm nun an den Fuß der Weinberge. Wie über 300 andere Stammkunden auch. Was den Friseur besonders freut: „Es sind wirklich nur die Netten mitgekommen.“