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Der Besessene

Ein Mann will im Alleingang Sachsens Gondeltradition neu beleben. Eine Livree und ein Boot hat er bereits. Nur rudert er noch auf dem falschen Teich.

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© Ronald Bonß

Von Christina Wittich

Jens Friebel stinkt es ganz gewaltig. Zuerst Fadenalgen, dann Blaualgen – der Mann möchte einfach nur gondeln. In diesem Sommer aber kam er nicht vom Fleck. Die Saison fiel ins Wasser. „Ha ha“, sagt Friebel. „Sehr witzig.“ Wenn er sich und seine Gondel jetzt am Ufer des Dippelsdorfer Teiches abstößt, steigen die Faulgase verrottender Algen empor wie ein gigantischer Teich-Furz. Auch nicht schön.

Angenehmer wird es erst nach ein paar Schlägen mit dem Ruder. Dann gleitet Friebel auf seiner Gondel in den Sonnenuntergang. Fische springen neben dem Boot, das aussieht wie ein Pfau mit Kastenkörper. Vier leere Bänke unter grünem Dach. Die Sonne scheint schräg aufs Deck. Zu dieser Jahres-, zu dieser Tageszeit macht sie ein Licht, das Falten glättet, Ecken und Kanten abrundet, das besänftigt und Farben warm und satt strahlen lässt. Jens Friebel strahlt in Blau und Gelb. Er ist Sachsens letzter Gondoliere. Der Letzte nach einer langen, gondelfreien Zeit. Selbst ernannt, ohne König und ohne Passagiere. Zumindest Letzteres möchte Friebel ändern.

Seine Livree hat er sich nach Kupferstich-Vorlagen und eigenen Vorstellungen nähen lassen: Die Hose blau und pludrig, weiße Kniestrümpfe, schwarze Schuhe mit breiter Quaste, gelbes Revers mit goldenen Borten und Knöpfen, gelbe Mütze mit blauem Rand. Fesch sieht der 52-Jährige darin aus, aber irgendwie auch unpassend. Wie aus der Zeit gefallen hier auf diesem See. Hier in dieser Gegend, die besiedelt ist von Dauercampern in umzäunten Wohnmobilen und von den kleinen Zelten der Freunde des Outdoor-Sportes, die ihre 2 000-Euro-Fahrräder neben pfeilschnellen Kanus angekettet parken.

Auch die Gondel, eigentlich ein umgebauter Spreewald-Kahn mit Überdachung, prunkt wie nach einer Zeitreise falsch eingeparkt im Schilf: ein prachtvoll kobaltblau leuchtender Pfauenkopf, an dessen Hals eine Putte pausbackig und ganz rundes Kleinkind in die Fanfare bläst. Der Hintern des Engels hängt wie ein Mond über dem Kopf des Rudernden. „Nennen Sie mich einfach einen Verrückten“, sagt Friebel, „einen mit einem Spleen, irgendwie so was.“ Na gut. Nur, Friebel wirkt nicht verrückt. Besessen vielleicht.

Es lässt sich immer so leicht schreiben und sagen: Das war Liebe auf den ersten Blick. War es in diesem Fall nur nicht. Friebels Liebe wuchs über die Jahrzehnte ganz im Verborgenen, ohne, dass er selbst erst einmal etwas davon ahnte. Man kann sich das vielleicht so vorstellen: Da fährt ein Dresdner Junge Jahr für Jahr mit seinen Eltern ins Pillnitzer Schloss. Die Zeit geht ins Land, der Junge wächst, wird ein Mann. Die Tradition bleibt. Sie bewundern den Park, schlendern durchs Palmenhaus, bleiben stehen an der Tritonengondel.

So rot wie frisch gestrichen steht die auf dem Trockenen. Die Galionsfigur bläst in die Muschel, nur voran geht es schon seit mehr als einem Jahrhundert nicht mehr. Ein üppig verzierter und mit sorgfältig verglasten Fenstern ausgestatteter Aufbau garantierte Schutz vor fremden Blicken und feuchtem Wetter. Um 1800 habe die Gondel Friedrich August III. und dessen Entourage auf der Elbe zwischen Pillnitz und Dresden transportiert, heißt es in der Beschreibung. Eine grüne Schwesterngondel habe ebenfalls existiert.

Eine grüne Schwesterngondel. Eine grüne Schwesterngondel. Eine grüne Schwesterngondel – ja, was ist denn nun mit dieser Schwesterngondel? Irgendwann hatte Jens Friebel diesen Satz so häufig gelesen, dass er mehr Fragezeichen hinterließ als Antworten. „Ursprünglich wollte ich nur wissen, was hinter dem Schild steht, was aus der Gondel geworden ist“, sagt Friebel.

Jens Friebel ist so etwas wie das Gegenteil von Barock. Er ist schlank gewachsen, fährt einen durchschnittlich alten und durchschnittlich grauen Mittelklassewagen. Seine Sprache ist direkt und schnörkellos. Sein Werkzeugkasten sieht viel benutzt und nicht mehr ganz frisch aus. Beruflich montiert und wartet er Oberleitungen für die Dresdner Verkehrsbetriebe. Danach, die Arbeitsstelle liegt praktisch in der Mitte zwischen Wohnung und Teich, fährt er zur Gondel. Opulent an ihm ist vielleicht die Hingabe, mit der er sich dem Fahrzeug widmet. Seine Frau, sagt er, sei da tolerant.

Der Einstieg ins Thema kam über die Literatur. Vor etwa zehn Jahren führte die Beschreibung der Tritonengondel Friebel in sächsische Archive und Bibliotheken. Friebel las königliche Dokumente, die er nur mit Samthandschuhen anfassen durfte. Er nahm Kontakt auf zu Kunsthistorikern und anderen Besessenen. Er stöberte und sammelte ohne Anlass und ohne Grund. So, als wäre er auf eine in Vergessenheit geratene Schatzkarte gestoßen. Sein Schatz aber war die barocke Gondel und geheim halten wollte er sein Wissen ganz und gar nicht. „Ich bin der Erste, der sie wieder ins Leben rufen will“, sagt Jens Friebel.

Überlieferungen zufolge fuhren die ersten Gondeln vor ziemlich genau 300 Jahren auf der Elbe. August der Starke wollte Dresden zu seinem sächsischen Venedig umgestalten. Anlässlich der Hochzeit seines Sohnes Friedrich August II. mit der Habsburgischen Erzherzogin Maria Josepha feierte August der Starke das „Fest der Sieben Planeten“. In Pirna bestiegen die Neuvermählten eine Gondel und reisten damit über Pillnitz nach Dresden. Jens Friebel macht das als die Geburtsstunde der sächsischen Gondelfahrt aus.

Die ersten Prunkgefährte entwarf der italienische Architekt und Theatermaler Alessandro Mauro. Mit Pinsel und Tusche hielt Mauro seine Ideen fest. Sie waren üppige Allegorien der vier Jahreszeiten oder der Kontinente. Die Entwürfe quellen über vor filigranen Schnitzereien und extravaganten Aufsätzen.

Jens Friebel kauft sein Material im Baumarkt. Im mühevollen Wechsel von Versuch und Scheitern kreierte er beinahe im Alleingang seine eigene erste barocke Gondel. „Nutzen und Aufwand stehen in keinem Verhältnis“, sagt er. Die Gondel sieht aus wie ein Kanu mit rotem Aufsatz, goldenen Vorhängen und goldener Krone. Die Ruderer des Dresdner Ruder-Vereins brachten es auf die Elbe. Der wasserfeste Pfau entstand danach. Friebel selbst hatte bis dahin keinen Bezug zum Wassersport: „Ich ruder’, seitdem das Boot fertig ist. Notgedrungen sozusagen“, sagt er. Eigentlich klettert er. 2008 gründete er dann einen Verein, „um zu beweisen, dass ich es ernst meine“. 2010 gründete er ihn neu.

Der Mann möchte einfach nur gondeln. So, wie zu Zeiten August des Starken, will er seine Bahnen ziehen über die Teiche vor dem Moritzburger Schloss, am liebsten aber auf der Elbe. Touristen will er chauffieren oder interessierte Dresdner. Auf den Dippelsdorfer Teich passen er und seine Gondel jedenfalls nicht hin, Livree hin oder her. Historisch falsch rudert Jens Friebel dort. Hier war nie ein Gondoliere unterwegs. Friebel ärgert, dass dieser Fehler außer ihm und ein paar Eingeweihten niemanden stört.

Im Moritzburger Schloss, sagt er und führt ein paar kräftige Schläge mit dem Ruder aus, fühle sich niemand zuständig. Die Verantwortliche ist derzeit im Urlaub und kann sich dazu nicht äußern. In Dresden, sagt er und steuert in Richtung Eisenbahnbrücke, fühle er sich nicht ernst genommen. Ein Zug rattert über die Gleise, die Abendsonne strahlt. Friebel winkt. 2019 jährt sich die Hochzeit, das „Fest der Planeten“ zum 300. Mal, das wäre doch ein Anlass, um zu zeigen, „dass die Dresdner nicht nur Randale machen, sondern auch ihre barocke Geschichte beleben können“, sagt er. Dann rudert er zurück zum Ufer. Im September endet seine Saison, die in diesem Jahr kaum begonnen hat. Im Herbst und im Winter wird er basteln. Ab Mai steht Sachsens letzter Gondoliere wieder am Ufer. Dann vielleicht sogar endlich am richtigen.