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Der Buhmann?

Noch immer scheuen viele Eltern Zahnarztbesuche mit Kleinkind. Für Ärzte und Kinder entsteht so ein Problem.

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Von Jenny Thümmler

Das Thema polarisiert. „Frag lieber nicht“, sagen die einen Eltern seufzend, manche mit schlechtem Gewissen. „Zweimal im Jahr“, sagen die anderen zufrieden, „seit ein paar erste Zähne da sind.“ Zahnarztbesuche mit Kleinkindern sind ein schwieriges Thema. Ab wann sollte man gehen? Wie oft? Und ist es überhaupt nötig, da die Milchzähne ohnehin ausfallen? „Das ist überholtes Denken“, sagt Zahnarzt Dr. Reinhard Domsgen zu Letzterem. „Die Milchzähne sind sehr wichtig als Platzhalter.“ Wenn sie geschädigt sind, lassen sie sich nur schwer sanieren. Wurzelbehandlungen funktionieren nahezu gar nicht, so Domsgen, wodurch stark kariöse Milchzähne gezogen werden müssten. Die dann entstehende Lücke ist wichtig für das bleibende Gebiss.

Karies im Kleinkindalter ist gerade wieder aktuell, nachdem die Landeszahnärztekammer Sachsen zum Schulbeginn eine Mitteilung zur Zahngesundheit im Grundschulalter veröffentlichte. „Nicht nur Süßes in die Zuckertüte“, heißt es da. Die halbjährlichen Kontrolltermine beim Arzt seien wichtig, damit Fragen zur Mundgesundheit direkt beantwortet werden könnten. Und: Spätestens jetzt sollten Kinder beginnen, ihre Zähne selbst zu putzen. „Eltern können anfangs noch nachputzen.“ Sollten sie sogar, ergänzt die Görlitzer Zahnärztin Dr. Silke Naumann. „Die Motorik der Kinder ist erst fein genug, wenn sie mit der Hand auch ordentlich schreiben können.“ Die Kleinen sollten ruhig viel eher anfangen zu üben, von den Eltern aber immer kontrolliert werden.

Im Landkreis Görlitz sind zwölf Prozent der Dreijährigen von Karies betroffen. Alarmierend, sagt Dr. Sylvia Ettrich vom Jugendzahnärztlichen Dienst des Gesundheitsamtes. „Weil das Milchgebiss erst zwischen dem zweiten und dritten Lebensjahr vollständig ausgebildet ist.“ Dabei handele es sich um die frühkindliche Form von Karies, sogenannte Nuckelflaschenkaries. Sie entsteht durch das ständige Trinken von gesüßten – wozu auch der beliebte Krümeltee gehört – und säurehaltigen Getränken. Wegen der Gefahr sollten Nuckelflaschen Kindern nicht dauernd überlassen werden. Und sobald das Baby sicher sitzen kann, sollte es das Trinken aus einer Tasse lernen. Eine aktuelle Studie der Bundeszahnärztekammer zog hingegen kürzlich eine positive Bilanz: 82 Prozent der Kinder gehen demnach regelmäßig zum Zahnarzt. Und acht von zehn Kindern sind nach diesen Erhebungen sogar kariesfrei – doppelt so viele wie noch 1997.

Und wie ernst nehmen Eltern die regelmäßigen Besuche beim Arzt? Zahnärztin Juliane Matthias von der Görlitzer Praxis für Zahnmedizin hat viele Kinder unter ihren Patienten und sieht zwei klar getrennte Lager: die Eltern, die fast schon überbesorgt sind und ab dem ersten Zahn regelmäßig mit ihrem Kind kommen. Und die anderen, die ihr Kind erst bringen, wenn es schon Schmerzen hat. Bei denen „der ganze Mund eine Katastrophe“ ist, wie sie sagt. „Dann müssen wir behandeln und sind natürlich der Buhmann.“

Silke Naumann geht noch weiter und warnt vor einem Trauma, das so entstehen kann und nur schwer wieder in den Griff zu bekommen ist. „Das macht den Kindern das ganze Leben schwer.“ Den Mittelfall, dass bei einem Kind nur ein, zwei Zähne kariös sind, gibt es kaum, sagt die Ärztin und sucht eine etwas ältere Statistik der Stadt Dresden heraus: Gut neun Prozent der Ein- bis Fünfjährigen haben drei Viertel aller zerstörten, gefüllten oder fehlenden Zähne.

Beide Ärztinnen plädieren klar dafür, schon sehr zeitig mit dem Kind in die Praxis zu kommen, damit es sich an die Situation gewöhnen kann. Im Alter von einem halben, bis ein Jahr kann, es ruhig losgehen. Bei den ersten Besuchen ohne nötige Behandlung ist Zeit, die Instrumente zu zeigen und bei der Untersuchung der Eltern zuschauen zu lassen. „Da ist es nicht schlimm, wenn das Kind den Mund nicht aufmachen möchte“, sagt Juliane Matthias. „Dann lernen wir uns eben erst kennen und verschieben alles Weitere.“ Ein Vertrauensverhältnis ist wichtig. Und: Ängstliche Eltern übertragen ihre Gefühle auf die Kinder, was es denen schwermacht.

Doch auch Kinder, deren Eltern den Praxisbesuch scheuen, werden kontrolliert. Einmal im Jahr kommt der Jugendzahnärztliche Dienst in alle Kitas, zu Tagesmüttern und in Schulen bis Klasse 7, in Förderschulen bis Klasse 10. Außer wenn die Eltern es ablehnen. Im Landkreis Görlitz gab es bei den Reihenuntersuchungen der vergangenen Jahre insgesamt einen positiven Trend. Bei den Sechsjährigen haben etwa 58 Prozent naturgesunde Zähne, so Sylvia Ettrich. Die Untersuchung in der Gruppe erweise sich als günstig, weil die Kleinen bei den Großen sehen, dass keiner Angst zu haben brauche.

Den Besuch in der Zahnarztpraxis sollte das Ganze aber nicht ersetzen. Schon allein wegen der Gewöhnung an den Zahnarztstuhl, den es in den Schulen nicht mehr gebe, sagt Silke Naumann. Er mache die Untersuchung leichter und damit gründlicher. Sie hat früher selbst in Schulen gearbeitet und dort auch behandelt. „Da haben wir binnen eines Monats eine ganze Klasse durchsaniert und dann die nächste.“ Heute werde das so nicht mehr gemacht.

An den jährlichen Kontrollen wird trotzdem festgehalten. Denn Zahnpflege lohnt sich, sagt Sylvia Ettrich: „Es ist erwiesen: Kinder mit gesunden Milchzähnen können zu 90 Prozent zahngesund fürs ganze Leben bleiben.“