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Der Dietrich ist verschwunden

Die Stadt hat viele Friedhöfe. Viele Gräber auch, nach denen keiner mehr schaut. Wer kümmert sich um die? Und wo ist Dietrich?

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Von Efeu komplett überwachsen liegt ganz rechts das Grab des sächsischen Reformers, Romantikers und Militärs Dietrich von Miltitz auf dem Martinsfriedhof.
Von Efeu komplett überwachsen liegt ganz rechts das Grab des sächsischen Reformers, Romantikers und Militärs Dietrich von Miltitz auf dem Martinsfriedhof. © Claudia Hübschmann

Von Anne Buhrfeind

Meißen. Oben auf dem Martini-Friedhof ist der Blick auf die Elbe und die Altstadt großartig, die Abendsonne fällt auf die kleine Kapelle und legt sich freundlich auch auf die Gräber der Familie Miltitz. Es sind nur drei Steine, und sie wirken so, als hätte schon lange keiner mehr nachdenklich davor gestanden. 

Hans-Joachim Pirwitz war jetzt auch schon länger nicht dort. Aber er weiß: „Vielleicht waren es auch mal mehr Grabstellen. In den 50ern gab es wohl noch eine Bestattung, das war die letzte. Und niemand von der Familie hat sich je bei uns gemeldet.“ Pirwitz war bis vor anderthalb Jahren Friedhofsverwalter der St. Afra-Gemeinde, zu der der kleine Friedhof gehört. 

„Mitte der Neunziger haben wir die Grabstelle saniert, mithilfe von ABM-Kräften. Die Grabwand ab- und wieder aufgebaut, ein neues Tor machen lassen, das Gitter erneuert. Aber dann?“ Die Kirchgemeinde hat viel zu tun. Sieben Friedhöfe gibt es in Meißen, alle werden von den Kirchgemeinden verwaltet. In Großenhain genügt einer, in Pirna auch.

Die anderen toten Miltitze liegen im Park von Siebeneichen, die katholischen nämlich. Nur die evangelischen wurden auf dem Martinsfriedhof beigesetzt. Auch der berühmteste, Dietrich von Miltitz (1769-1853), der mit 23 versucht hat, im französischen Revolutionsheer General zu werden, später in die preußische Armee ging, zwischendurch eine bürgerliche Engländerin geheiratet hat und die Romantiker nach Siebeneichen und Scharfenberg holte. Wo steht sein Grabmal? „Da“, sagt Kreisdenkmalpfleger Andreas Christl und deutet auf einen hohen, dunkelgrünen Busch. „Total zugewachsen. Efeu.“

Grab mit Kissenstein des ehemaligen Oberbürgermeisters Karl Richard Hirschstein auf dem Nikolaifriedhof.
Grab mit Kissenstein des ehemaligen Oberbürgermeisters Karl Richard Hirschstein auf dem Nikolaifriedhof. © Claudia Hübschmann

„Der Efeu schützt den Stein immerhin“, sagt Hans-Joachim Pirwitz. Das Grabmal müsste abgebaut werden. Und dann müsste der Steinmetz kommen. Der will auch bezahlt werden. Soll das die Kirche tun? Seltsam ist es schon, wenn einer der bekanntesten Meißner auf diese Weise verschwindet. Aber auch irgendwie – romantisch.

Man könnte ihn ja unter Denkmalschutz stellen. Aber das müsste jemand anregen. Der Bürgermeister, sagt Andreas Christl, der könnte das tun.

Er könnte sich auch für den einen oder anderen seiner Vorgänger Denkmalschutz wünschen. Zum Beispiel Karl Richard Hirschberg (1826-1886). Der liegt unter einem „Kissenstein“ auf dem Nikolaifriedhof am Lerchaweg. „Das Grab wurde soweit in Ordnung gehalten“, erinnert sich der frühere Friedhofsverwalter.

Hirschberg war ein richtiger Verwaltungsmann, konservativ, von 1859 bis zu seinem Tod Bürgermeister in Meißen. Er hat wichtige Entscheidungen für die Industrialisierung getroffen, das Triebischtal erschlossen und für den Bahnanschluss gesorgt. Ein weiterer bekannter Bürgermeister und Ehrenbürger liegt in einem bescheidenen Grab auf dem Stadtfriedhof: Albin Max Ay (1862-1941), Bürgermeisteramt von 1896 bis 1926.

Und es gibt andere Meißner, unbeachtet, ungeachtet auf den Friedhöfen. Porzellanfabrikanten, Porzellanmaler, örtliche Politiker, Künstler. „Aber die prominenten Leichen, die liegen alle in Dresden“, weiß Pirwitz. Die Prominenten sind zu Lebzeiten weggegangen. Genauso wie bis vor kurzem viele junge Meißner ihre Kleinstadt Richtung Dresden, Berlin und weiter nach Westen verlassen haben. Und manche schauen nicht mehr zurück, nicht mehr nach den Gräbern ihrer Alten.

Die werden gepflegt, so gut es geht, und dann auch der Natur überlassen. Ist die Nutzungszeit von Gräbern abgelaufen, normalerweise nach 25 Jahren, könnte die Friedhofsverwaltung sie einebnen. Das würde sie wohl tun, wenn es nötig wäre. Aber Platzprobleme gibt es nicht auf Meißens Friedhöfen.