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Der Dino unter den Geschützen

Eine Kanone aus dem 15. Jahrhundert steht im Militärhistorischen Museum. Ihre Geschichte ist wechselvoll.

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© Anja Schneider

Von Lars Kühl

Die faule Magd ist keine dicke Berta. Sie ist viel älter, und anders als bei dem bekannten deutschen Geschütz aus dem Ersten Weltkrieg waren ihre Einschläge noch mit bloßem Auge zu sehen. Gerade einmal bis 300 Meter konnte die Kanone die von vorn geladenen Steinkugeln schießen – kein Vergleich zum Mörser aus dem Rüstungskonzern Krupp, der je nach Granatenschwere eine Reichweite zwischen 9 300 und 12 250 Metern schaffte. Und dennoch jagte die „Faule Magd“ ihren Gegnern einen ordentlichen Schrecken ein.

Genau das war auch ihre Hauptaufgabe, erzählt Peter Haug. Der Oberstleutnant der Bundeswehr arbeitet seit 2008 im Militärhistorischen Museum. Die „Faule Magd“ kennen viele Besucher, und auch für den 47-Jährigen ist sie das Lieblingsexponat. Als „Hingucker“ steht es in der Chronologiehalle für die Zeit von 1300 bis 1914 im Westflügel des Erdgeschosses. Die Kanone hat eine bewegte Geschichte vorzuweisen. Vor allem ist sie hochbetagt. Um 1430 wurde das schwere Geschützrohr gefertigt. Das haben Unterlagen im Staatsarchiv ergeben, erzählt der Bereichsleiter für das Sammlungswesen. Das Teil ist nicht im Ganzen gegossen, sondern aus einzelnen Bronzeringen zusammengeschlagen. Seinen Namen hat es wohl vom langen Ladeprozess. Haug betreut deutschlandweit für die Bundeswehr über 100 Ausstellungen.

Doch nicht nur aufgrund seines Alters und der optischen Erscheinung mag der Oberpfälzer den Vorderlader, sondern „weil er einen regionalen Bezug zu Sachsen und Dresden hat“. Die 600 Jahre haben viele Spuren an der „Faulen Magd“ hinterlassen. Ab circa der Mitte des 15. Jahrhunderts kam sie bei militärischen Auseinandersetzungen zum Einsatz. Die Soldaten befestigten das Unikat zunächst auf Balken oder einfach auf dem Boden. Ungefähr ab dem 16. Jahrhundert bekam die Kanone einen fahrbaren Untersatz – eine Lafette aus Eichenholz. Damit konnte sie später auch im Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648 eingesetzt werden.

Bis etwa 1800 wurde das Stabringgeschütz vom sächsischen Militär verwendet. Erst dann war es so veraltet, dass es im Hauptzeughaus an der Brühlschen Terrasse eingelagert wurde, erzählt Haug. Dort blieb die Waffe die nächsten Jahrzehnte.

Als dann 1877 in der neu gegründeten Albertstadt eine der größten deutschen Kasernenanlagen eingeweiht wurde, zog auch die „Faule Magd“ wieder um. Fortan stand sie vorm Eingang des Arsenalgebäudes, aus dem später das Armeemuseum wurde und welches heute das Militärhistorische Museum ist. Doch das Kanonenrohr aus dem 15. Jahrhundert mit seinem Gewicht von 1 383 Kilogramm bei einer Länge von 2,33 Metern musste noch mehrfach den Standort wechseln, zusammen mit der über eine Tonne schweren Lafette. 1943 wurden sie auf Schloss Seußlitz hinter Meißen verlegt. Zehn Jahre später erfolgte die Rückführung nach Dresden ins Johanneum, in dem gerade das Verkehrsmuseum eingerichtet worden war.

1955 ging die Reise der „Faulen Magd“ weiter auf die Festung Königstein. Dort wurde in den 1980ern die Lafette restauriert. 1989 kehrte die Kanone zurück nach Dresden und steht seitdem wieder in der Albertstadt. „Wenn man so will, hat sie schon 20 Generationen von Menschen miterlebt“, sagt Haug. Viele ihrer Art gibt es heute nicht mehr in Europa.