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Der Dreck muss weg

Hundekot und Plakatfetzen stören die Görlitzer schon seit langem. Doch nun fordert auch ein Neugörlitzer mehr Sauberkeit.

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© Stiller

Von Sebastian Beutler

Der Winter kam zu schnell. In der Silvesternacht begrüßten die Görlitzer mit Raketen und Feuerwerksbatterien das neue Jahr, schliefen Neujahr bis in die Puppen – und ehe sie sich versahen, fiel der Schnee am zweiten Tag des Jahres und deckte die Hinterlassenschaften des Jahreswechsels gnädig zu. Bis in diesen Tagen die weiße Pracht dahinschmolz und den Dreck der Silvesternacht wieder ans Tageslicht brachte. Nun liegt er auf Straßen und Gehwegen und erinnert weniger an rauschende Nächte als vielmehr an unterlassene Stadtreinigung. Und das ärgert viele.

Herabhängende Fetzen von den Plakatwänden in der Stadt.
Herabhängende Fetzen von den Plakatwänden in der Stadt. © SZ
Dreckecken in diesen Tagen in der Innenstadt.
Dreckecken in diesen Tagen in der Innenstadt. © Stiller
Dieser Fernseher liegt auf dem Gehweg Emmerichstraße.
Dieser Fernseher liegt auf dem Gehweg Emmerichstraße. © Stiller

Auch Veit Stiller. Der Rentner lebte schon in vielen deutschen Städten, München und Freiburg im Breisgau beispielsweise, zuletzt in Magdeburg, ehe er im im Frühjahr vergangenen Jahres in die Stadt zog. Aus privaten Gründen. Aber nirgendwo, so schreibt er in einem offenen Brief, sei es so schlimm gewesen. „Unter mehreren von mir bewohnten Städten in Ost und West ist Görlitz hinsichtlich Sauberkeit mit Abstand Schlusslicht“.

Der Sohn eines Försters ist viel unterwegs. In der Stadt, in der Natur. Und obwohl die schönen Denkmalfassaden der Stadt bei Spaziergängen erfrischend auf ihn wirken, schreckt ihn die fehlende Ordnung und Sauberkeit zunehmend ab. Silvesterdreck mag nur am Anfang eines Jahres liegen, doch anderes hat übers ganze Jahr Hochkonjunktur. „Hundekot in allen Größen, lose oder abgepackt in Plastetüten, massenhaft Zigarettenkippen, Papier, Plaste, Flaschen – ganz oder zerbrochen – alles liegt auf den Gehwegen oder am Straßenrand zerstreut herum“, sagt er. Und damit nicht genug. Auf der Jauernicker Straße beispielsweise wird eine Aussparung des Gehweges als Müllhalde benutzt, die Rückwand eines Trafos als öffentliches Klo, und seit Monaten verrottet ein Sessel so langsam aber sicher vor sich hin. Veit Stiller, der selbst in Rauschwalde wohnt, beobachtet solche und andere Hinterlassenschaften in vielen Straßen der Innenstadt Ost und West, nennt die Emmerichstraße beispielhaft.

Dass dort auch die Anwohner unzufrieden mit der Ordnung und Sauberkeit sind, das hatte eine Einwohnerin schon bei der Gründung des Bürgerrates Innenstadt Ost erklärt. Und ein Jahr nach dessen Gründung hatte der Bürgerrat in einer Zwischenbilanz erklärt, dass das Thema Hundekot die Nummer eins unter den angesagten Themen im Stadtviertel sei.

Das führte damals zu einer kleinen Auseinandersetzung mit dem Chef des Ordnungsamtes, Hans-Jürgen Zschau. Dessen Einschätzung lautete: Görlitz ist keine besonders dreckige Stadt. Nun ist er seit Jahresbeginn im Ruhestand. Von seiner Nachfolgerin, die Anfang April ihren Dienst antritt, erhoffen sich viele im Stadtrat, aber auch außerhalb des Rathauses einen Neubeginn. Tatsächlich gab Zschau seinerzeit nur die gängige Einschätzung des Rathauses über die Lage wieder. Dabei spielen Fragen der Ordnung und Sauberkeit bei der Görlitzern eine herausgehobene Rolle. Als die SZ bei der letzten OB-Wahl nach den wichtigsten Themen fragte, da machten viele auch bei Ordnung ihr Kreuzchen. Das Rathaus aber hat eine ganz andere Wahrnehmung. Ordnung und Sauberkeit gelten dort als freiwillige Aufgabe. Selbst wenn das rechtlich so wäre, dann widmet sich das Rathaus anderen freiwilligen Aufgaben mit viel größerem Engagement. Kaum einer kann sich daran erinnern, dass der Stadtrat je eine Debatte über Ordnung und Sauberkeit geführt hätte. Das Thema kommt nur vor, wenn sich Stadtrat Günter Friedrich über die herabfallenden Plakate beschwert. Oder der Rauschwalder Einwohner Raphael Schmidt wieder mal eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen genau demselben Problem einreicht. Oder andere sich über die Hundehaufen beklagen. Dann wird süffisant gelacht im Rathaus: Haben die keine anderen Probleme?

Veit Stiller kann das wie viele Görlitzer Bürger nicht verstehen. „Es entsteht der Eindruck, dass die Stadt Görlitz den Touristen und potenziellen Neugörlitzern eine saubere Altstadt präsentieren wollen, das Drumherum aber nicht kümmert.“ Eine Stadtreinigung habe er den Winter über vermisst. Auf die Frage, ob eine Straßenreinigung im Winter sinnvoll ist, geht der Pressesprecher der Stadt nicht ein, verweist lediglich darauf, dass sie seit 20. Februar wieder im Einsatz ist.

Natürlich ist die Stadtverwaltung auch nicht schuld an der Lage, sie schmeißt den Unrat ja nicht auf die Straßen. Deswegen appelliert sie unentwegt an die Einwohner, mehr auf Sauberkeit zu achten. Doch selbst wenn die Bürger vor dem Haus kehren, dann kann sich eine große Dreckecke unmittelbar im Nachbarhaus entwickeln – weil es leer steht, die Eigentümer sonst wo leben und sich mit der Zeit eben der Dreck ansammelt. Das freilich wirkt wiederum zurück auf die Motivation derer, die wirklich den Besen in die Hand nehmen.

Andererseits handelt das Ordnungsamt im Kampf gegen Hundehaufen halbherzig. Im Zweifel ist das Knöllchen hinter dem Auto-Scheibenwischer wichtiger – das Auto kann ja auch nicht wehtun. Wenn der Chef des Ordnungsausschusses des Stadtrates mehr Sauberkeit anmahnt, dann höhnt die Linke, der CDU-Politiker könne das doch kraft seines Amtes und in der Großen Koalition mal durchsetzen anstatt nur Taten anzukündigen. Doch ist der Ordnungsausschuss ein Tiger ohne Zähne – er darf nichts beschließen.

Veit Stiller hat jedenfalls andernorts mehr Engagement der Rathäuser für Ordnung und Sauberkeit gesehen. In Magdeburg seien die Wagen der Straßenreinigung regelmäßig gefahren, und wenn die nicht bis zu den Dreckecken vorgedrungen sind, dann nahmen die Mitarbeiter der Straßenreinigung eben den Besen in die Hand. Warum das alles nicht in Görlitz geschehen könne? Veit Stiller will nicht als Meckerer dastehen, als zugezogener Neunmalkluger. Görlitz würde an Attraktivität gewinnen, wenn es sauberer wäre. Davon ist er überzeugt. Daher hat er als früherer Probewohner seine Eindrücke an den städtischen Großvermieter und die Wissenschaftler vom Probewohnen-Projekt geschickt. „Görlitz möchte zu den schönsten Städten Deutschlands zählen und wirbt damit“, sagt er. Dafür muss von der Stadt und Teilen der Bewohner mehr getan werden. „Beschönigen macht die Stadt nicht schöner.“