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Was für ein seltsamer Beruf

Dass Jannis Elfenbeinschnitzer wurde, liegt an einem dummen Missgeschick und einem glücklichen Zufall.

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Jannis Donke schnitzt in seiner kleinen Werkstatt in Leipzig.
Jannis Donke schnitzt in seiner kleinen Werkstatt in Leipzig. © Ronald Bonß

Von Sven Heitkamp

Jannis Donke ist erst 24, aber mit seiner Berufswahl gehört der junge Mann schon jetzt zu einer aussterbenden Spezies: Donke ist ausgebildeter Elfenbeinschnitzer, ein Dinosaurier unter den Handwerksberufen. In seiner kleinen Werkstatt im historischen Tapetenwerk in Leipzig-Lindenau hängt sogar ein Meisterbrief, eine Prüfung, die er voriges Jahr eigens absolviert hat, um das Kunsthandwerk am Leben zu erhalten. Im neuen Jahr will er sich nun in seinem Metier selbstständig machen, seine eigenen Ideen und Auftragsarbeiten geschnitzte Wirklichkeit werden lassen. Damit zählt Jannis Donke zu nur noch einem Dutzend Kollegen in Deutschland, und er dürfte der einzige seiner Art in Ostdeutschland sein.

Das Leipziger Tapetenwerk ist ein behutsam sanierter Fabrikkomplex aus den 1880er-Jahren. Hinter den weitläufigen ockerfarbenen Ziegelfassaden der einstmals zweitgrößten Tapetenfabrik Deutschlands haben sich viele Kreative ihren Rückzugsraum geschaffen. Zweimal im Jahr aber, zum Tapetenwerksfest, verwandeln sich die Höfe in einen Jahrmarkt der Ausstellungen, der offenen Ateliers und dicht belagerten Galerien. Seit vorigem Herbst schlendern die Besucher nun auch durch die etwas versteckt liegende Erdgeschoss-Werkstatt, in der Jannis Donke seine Figuren aufstellt. An einer Holzsäule lehnt eine junge Frau, sie trägt ein kurzes Kleid und schulterlanges Haar und schaut selbstbewusst in die Ferne. Die Dame in Weiß ist seine liebevoll ausgefeilte Meisterarbeit. Mit ihren gerade mal 18 Zentimetern Größe illustriert sie, welche Feinarbeit man aus Elfenbein gestalten kann.

10 000 Jahre altes Elfenbein

Der Meister-Schnitzer muss allerdings immer wieder einen Satz dazusagen: Das Elfenbein stammt nicht von Elefanten. Deren Stoßzähne habe er in seinem Leben noch nie verarbeitet – um der Tiere willen, aber auch, weil es streng verboten ist. In den 1980er-Jahren war der Weltbestand an Elefanten von Wilderern um mehr als die Hälfte dezimiert worden, weil sich Königshäuser und Kirchen mit dem „weißen Gold“ schmücken wollten.

1989 untersagten die Vereinten Nationen im Washingtoner Artenschutzabkommen deshalb jedweden grenzüberschreitenden Handel mit Elfenbein. Unter dem Tabu brachen die Märkte in Europa und den USA zusammen, viele Betriebe mussten schließen. Heute erhalten die verbliebenen Elfenbeinschnitzer ihren einzigartigen Werkstoff aus dem Permafrostboden in Sibirien: An den Ufern der russischen Arktis sollen noch Hunderttausende Mammut-Stoßzähne liegen, die von der Dauerkälte bestens konserviert werden. „Wenn in den Sommermonaten die Meereskanten antauen, brechen Geröllbrocken ab und geben die Stoßzähne frei“, erzählt Donke. Die Männer wie etwa aus dem Hafenort Tiksi in Jakutien legen weite Strecken zu Fuß zurück, um die mehr als 10 000 Jahre alten, oft meterlangen Schätze zu finden. Wenn sie Funde freilegen, verkaufen sie sie zu hohen Preisen in die Welt. Der Kilopreis schwankt je nach Güte des Materials zwischen 150 und 1 000 Euro. Über Großhändler und einen alten Meister gelangen sie schließlich auch zu Donke.

Dass er diesen seltsamen Beruf ergriffen hat, liegt an einem dummen Missgeschick und einem glücklichen Umstand. Für seinen eigentlichen Berufswunsch Holzbildhauer hatte der damals 18-Jährige die Frist verpasst. Doch auch sein Vater ist Meister für Holzbildhauerei an der einzig verbliebenen Berufsfachschule Europas, die auch Elfenbeinschnitzer ausbildet. Sie liegt in Michelstadt im Odenwald zwischen Darmstadt und Heidelberg. Also meldete sich Donke dort für die dreijährige schulische Ausbildung an. Von den nur fünf Plätzen pro Schuljahr ist oft noch wenigstens einer frei. In der familiären Gemeinschaft lernte er von namhaften Altmeistern das Schnitzen und Schaben, Gipsen, Drechseln und Zeichnen. „Ich habe schnell festgestellt, dass mir das detaillierte Arbeiten sehr liegt“, sagt er. „Das feinlinige, kompakte Material ist vielseitiger als Holz.“ In seiner Werkstatt stehen neben einer Bandsäge und einer Tellerschleifmaschine vor allem Holzblöcke voller Dentalfräsen, die er von Zahnarzt-Ausstattern bezieht. Mit den winzigen Hartmetallwerkzeugen kann er seinen filigranen Meisterwerken den gewünschten Ausdruck verleihen.

Seit Oktober studiert Jannis Donke nun in Leipzig Kunstgeschichte. Neben dem Studium aber will er sich seine Karriere als Elfenbeinschnitzer weiter aufbauen. Seine Figuren und Skulpturen, sagt er, könne er am ehesten auf Kunsthandwerker-Märkten und Messen, über das Internet oder Galerien verkaufen und dazu Reparaturarbeiten für alte Kunstschätze aus Elfenbein annehmen. Dass man für diesen Weg einen langen Atem braucht, ist dem jungen Meister bewusst: „Bis ich wirklich davon leben kann – das dauert.“