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Der Frankenstein der Zukunft

Im neuen Film „Alita: Battle Angel“ spielt Christoph Waltz einen Tüftler, der Cyborgs baut und Gelenke herstellt.

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Der Tüftler Dr. Dyson Ido baut sich Alita, eine Cyborg-Tochter. Doch zu seinem Entsetzen lässt sich das Geschöpf in seinem Rachezug gegen das Böse nicht aufhalten. Christoph Waltz spielt in „Alita: Battle Angel“ den Tüftler Ido.
Der Tüftler Dr. Dyson Ido baut sich Alita, eine Cyborg-Tochter. Doch zu seinem Entsetzen lässt sich das Geschöpf in seinem Rachezug gegen das Böse nicht aufhalten. Christoph Waltz spielt in „Alita: Battle Angel“ den Tüftler Ido. © © 2019 Twentieth Century Fox/dpa

Christoph Waltz wurde weltweit bekannt durch seine Rollen als SS-Standartenführer Hans Landa im Film „Inglourious Basterds“ und als Kopfgeldjäger Dr. King Schultz in „Django Unchained“. In beiden Filmen führte Quentin Tarantino Regie. Waltz, zweifacher Oscar-Preisträger, besitzt die deutsche und die österreichische Staatsbürgerschaft. Die SZ sprach mit ihm über das Heimwerken, über Siri und Alexa, über Präzision beim Spielen und die Gefühlswelt von Robotern.

Basteln, reparieren und schrauben Sie auch gern im wahren Leben, Herr Waltz?

Nein, das wäre schön, der Bilderbuchgroßvater zu sein, der alles reparieren kann in der Scheune. Ich bin schon interessiert daran, wie Dinge funktionieren, aber das Elektronische, beziehungsweise Digitale erschließt sich mir nicht so einfach. Das verstehe ich nicht und kann es nicht nachvollziehen. Es ist auch nicht dazu gemacht, dass es nachvollziehbar ist. Sondern es ist dazu gemacht, dass es eben genau das verhindert und sich dann schnellstmöglich als verkaufbare Erneuerung wieder in unser Leben einnistet.

Wie stehen Sie denn zu Bastlern?

Also, ich bin begeistert von solchen Experten. Es gibt in Berlin einen Feinmechanik-Laden – allein der Terminus Feinmechanik ist schon fein. Dieser Laden wird betrieben von zwei älteren Herren, weißhaarig, sehr gepflegt, gut angezogen, Sie waren früher einmal Ingenieure. Und ich habe einen Schrank aus dem frühen 19. Jahrhundert, da war ein Schloss kaputt. Also habe ich das Schloss ausgebaut und es zu den beiden Herren, den Feinmechanikern, getragen. Ihre Augen haben geleuchtet, denn die wussten sofort: Da ist was gebrochen. Und genau so war es. Es funktioniert immer noch nicht, aber es war schön.

Legen Sie auch als Schauspieler Wert auf die feinen Details, die Genauigkeit, die Präzision?

Ja, natürlich. Ich habe mir das noch nicht durch den Kopf gehen lassen, aber es ist möglicherweise eine ganz gute Analogie: Das Digitale erschließt sich dem Miterleben nicht. Das Mechanische dagegen durchaus. Bei dem, was ich mache, handelt es sich ja um Miterlebbar-Machen. Also, wenn ich plötzlich auf digital umschalte, dann kriegen Sie nur ein Ergebnis präsentiert. Das ist die Definition von Langeweile.

Ihre Filmfigur Ido ersetzt Gliedmaßen. Wo würden Sie im wahren Leben die Grenze setzen, was künstliche Ersatzstücke bei Menschen betrifft?

Das dürfen Sie mich nicht fragen. Sie müssen jemanden fragen, der das große Unglück erleben musste, auf eine Tellermine getreten zu sein. Den fragen Sie, ob er es sinnvoll findet, ein künstliches Bein zu bekommen. Er wird Ihnen sicher eine klare Antwort geben können.

Welche Parallelen sehen Sie zwischen Alitas Welt und den Problemen und Gefühlen aus unserer heutigen Welt?

Das ist natürlich eine Geschichte über uns heute, über unsere Welt. Dafür eignet sich Science-Fiction so gut. Was wollen wir über die Zukunft erzählen? Wir wollen etwas darüber erzählen und erfahren, was wir in dieser Welt erleben. Und da macht dieser Film überhaupt keine Ausnahme. Er tut so, als sei es Zukunft. Irgendwie finde ich, Zukunft eignet sich sehr dazu, unsere Befürchtungen fassbar zu machen. Vielleicht sogar auf hoffnungsvolle Weise, weil alles so weit in der Zukunft liegt. Das heißt, wir könnten noch was dagegen tun. Historische Stoffe haben eine völlig andere Faszination, weil die Perspektive eine rückbezügliche ist.

Aber erlebt man das, was Ihre Figur als Vaterfigur des Cyborg-Mädchens Alita empfindet, also eine emotionale Verbundenheit, heute womöglich auch schon mit Robotern?

Ich habe einen wunderbaren Menschen, der meine Computer und meine Digitalwelt managt. Der redet mit Computern wie mit Menschen. Der sagt auch „er“, also, der hat dem Computer sogar ein Geschlecht zugeordnet im Englischen: „Now he’s doing this, now he’s doing that.“ Der nimmt den Computer auch als Gegner wahr, nehme ich an, den es zu besiegen oder zu überlisten gilt und hat ihn anthropomorphisiert. Das machen wir alle, in erschreckendem Grade.

Gibt es Analogien zwischen Alita, Pinocchio oder Frankenstein?

Frankenstein benutzt tote Materie, um mit Leben zu experimentieren. Er will sehen, ob es ihm gelingt, aus toter Materie etwas Lebendiges zu schaffen. Bei Pinocchio verwandelt sich die hölzerne Puppe in so etwas wie einen echten Jungen. Doch meine Figur Ido findet einen Geist und gibt ihm einen Körper. Das Leben ist bereits vorhanden. Er aktiviert das Leben nur, und das ist ein Riesenunterschied.

In Interviews und Talkshows erlebt man Sie als einen wortgewandten Menschen, auf Deutsch und auf Englisch. Wie wichtig ist Ihnen Sprache?

Sprache konstruiert unsere Realität. Jetzt ist ja Film quasi auch eine Konstruktion von Realität. Das ist ja kein Abbild, sondern tatsächlich ein realer Vorgang, der als projiziertes Licht auf einer Projektionsfläche stattfindet. Denn Sie glauben ja nicht, dass das Flugzeug, um den Regisseur Peter Kubelka zu zitieren, das Sie auf der Leinwand sehen, ein echtes Flugzeug ist. Das heißt, es findet ein Moment statt, wo eine Realität entsteht, der Sie ein Wiedererkennen zuordnen. Sprache ist dasselbe auf einer anderen Ebene. Das heißt, Tonfilm ist eigentlich wirklich eine Errungenschaft. Nicht deswegen, weil wir die Figuren auf der Leinwand mehr oder weniger geistreichen Blödsinn sagen hören. Sondern weil er auf sprachlicher Ebene an dieser Konstruktion einer Realität teilnimmt. Und in welcher Sprache das jetzt vor sich geht, ist für den primären Vorgang im Kino sekundär.

Für die Figur der Alita wurde das Verfahren „Performance Capture“ angewandt, bei der die Schauspielerin Rosa Salazar mit Markern ausgestattet und später am Computer digitalisiert wird. Ist das eine neue filmische Dimension?

Das weiß ich nicht. Sie müssen ja zuerst die Performance haben, um etwas „capturen“, also einfangen zu können. Das heißt, wenn Sie das Capturen schon mitspielen, dann bleibt von der Performance nicht mehr viel übrig. Performance Capture ist ja deswegen so, wie sie ist, damit man das, was man einfängt, nachher sehr ausführlich manipulieren kann. Das hat aber mit dem, was ich als analoge Kreatur mache, nichts zu tun. Wenn ein Maler ein Porträt malt, kann er von dem Modell nicht verlangen, dass es kubistisch sitzt.

War es für Sie unheimlich, Alita auf der Leinwand zu sehen, halb Mensch, halb Maschine?

Beim Drehen steht sie ja als normaler Mensch vor mir. Das macht sie sehr gut und spielt das Digitale nicht mit. Im Ergebnis sieht sie anders aus, weil ihr Körper aus einem mysteriösen Material gefasst ist, das sich selbst reparieren kann. Ihr Blut ist nicht roter Saft, sondern blaues Gel und so weiter. Das kann man analog nicht. Wenn ich mit Ihnen im Kino sitze, finde ich es auch unheimlich.

Wenn Sie Ihre eigenen Filme schauen, wie schauen Sie dann auf Ihr eigenes Spiel?

Ich schaue nicht so oft meine eigenen Filme, weil ich die ziemlich gut kenne. Ich schaue mir gerne Dinge an, die ich nicht so gut kenne. Die Beurteilung selber ist wirklich nicht so ergiebig.

Sprechen Sie zu Hause mit den elektronischen Assistenten Siri und Alexa?

Weder noch. Siri mache ich manchmal an, aber nur zum Fluchen. Dann tut Siri so, als würde sie die von mir gebrauchten Wörter nicht kennen oder findet meinen Ausbruch unangemessen. Dadurch lasse ich mich natürlich zu noch viel wilderen Ausbrüchen hinreißen. Und irgendwann drehe ich ihr einfach die Luft ab. Aber Sie sehen, wir geben Siri auch schon ein Geschlecht und setzen sie damit in Bewegung, so als wäre sie eine Existenz.

Fluchen Sie denn auch am Filmset?

Nie.

Das Interview führte Kira Taszman