Merken

Der große Kahlschlag

Friederike und andere Stürme haben die Wälder im Landkreis Bautzen verwüstet. Eine Folge des Klimawandels, sagen Experten.

Teilen
Folgen
NEU!
© Thorsten Eckert

Von Sebastian Kositz

Bautzen. Um zu zählen, was stehengeblieben ist, genügen die beiden Hände. Der Begriff der Trauerfichte bekommt hier, am Fuße des Keulenbergs, eine sehr sinnbildliche Bedeutung. Nur vereinzelt ragen noch ein paar magere, gerupfte Stämme in den grauen Winterhimmel. Ringsherum ist der Wald wie weggemäht. Eine Fläche, etwa so groß wie acht Fußballfelder – komplett abgeräumt durch die rohen Kräfte der Natur.

Sturmtief Friederike hat viele Fichten gleich samt Wurzel umgerissen. Weil die sich in feuchten Böden nicht sehr tief ausbilden, fehlt den Bäumen oft die Standfestigkeit.
Sturmtief Friederike hat viele Fichten gleich samt Wurzel umgerissen. Weil die sich in feuchten Böden nicht sehr tief ausbilden, fehlt den Bäumen oft die Standfestigkeit. © Thorsten Eckert

Das Fleckchen Erde, das sich besser als Mondlandschaft beschreiben lässt, liegt in fußläufiger Entfernung am südlichen Ende der Ortschaft Gräfenhain. Sturmtief Friederike hatte hier vor zwei Wochen mehr als nur eine Schneise der Verwüstung hinterlassen. Die allermeisten Bäume waren mitsamt ihren Wurzeln aus dem Boden gerissen worden. Zwar hat der Sturm überall im Landkreis enorme Schäden in den Wäldern angerichtet. Eine Zerstörung in dieser Größenordnung ist dann jedoch auch für die Fachleute ein eher ungewohntes Bild.

Rainer Böhme ist bereits seit 33 Jahren in der Region unterwegs, steht jetzt als Leiter des Forstreviers Kamenz kurz vor seiner Pensionierung. Was sich in den vergangenen Monaten in der Region abgespielt hat, das sei in dieser Abfolge so noch nicht vorkommen, sagt der erfahrene Revierleiter. Er meint damit keineswegs nur die Folgen von Sturmtief Friederike. Denn auch ihre beiden „Brüder“ Xavier und Herwart hatten im vergangenen Herbst den Wäldern im Landkreis und speziell am Keulenberg zugesetzt – und für einen fast beispiellosen Kahlschlag gesorgt.

Mehr Extremwetterereignisse
Wer sich abseits der zerstörten Waldflächen ein Bild von der Zerstörung machen will, benötigt eine sehr gute Vorstellungskraft. Auf 150 000 bis zu 200 000 Festmeter Holz werden die Schäden im Landkreis allein durch Friederike geschätzt. Oder anders gesagt: Alle umgeworfenen oder abgeknickten Bäume zusammengepresst, würden einen massiven Holzblock mit dem Abmaß eines Fußballfelds mit einer Höhe von bis zu 20 Meter ergeben. Allein in den Wäldern um den Keulenberg fielen Friederike bis zu 10 000 Festmeter Holz zum Opfer, erklärt Christian Starke, der Leiter des Amtes für Wald, Natur und Abfallwirtschaft beim Landkreis. Und auch bei den vorangegangenen Sturmtiefs im Herbst seien bereits in ganz ähnlichem Umfang Schäden um die 413 Meter hohe Erhebung entstanden.

Tatsächlich, so erklärt Christian Starke, haben in den vergangenen Jahren – vor allem aber in den zurückliegenden sechs Monaten – außergewöhnlich viele Stürme und andere extreme Wetterereignisse Schäden in den Wäldern angerichtet. Der Fachmann verweist auf die Forschung zu den Klimafolgen, die für die Region eine Zunahme extremer Wetterereignisse prophezeien. „Gefühlt ist das mehr“, sagt Christian Starke.

Ein Gefühl, dass inzwischen auch Studien bestätigen. Eine Untersuchung des Sächsischen Landesamts für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie hatte beispielsweise herausgefunden, dass die Starkregenereignisse im Sommer im Landkreis Bautzen zugenommen haben. Die großen Schäden in den Wäldern waren gerade auch durch die dichte Abfolge der schweren Stürme seit dem Sommer begünstigt worden. „Die Gewitterstürme Ende Juni und im Oktober hatten vielerorts Lücken gerissen, die neue Angriffsflächen für die darauf folgenden Stürme bieten“, erklärt Christian Starke.

Chance für neue Baumarten
Für den großen Kahlschlag sehen Christian Starke und Rainer Böhme jedoch auch noch andere Ursachen. Rainer Böhme hält eine alte Karte parat. Darin sind die Wälder um den Keulenberg erfasst – farblich schattiert nach Baumarten und Alter. Das beinah sechs Hektar große Areal, das die schweren Stürme umgefegt haben, ist mit verzeichnet. Das Gelände gehört heute zum Kamenzer Stadtwald. Schon in den 1970er-Jahren gab es dort schwere Unwetterschäden. Damals wurde der Bereich mit Fichten aufgeforstet. Ein Vorgehen, nicht nur am Keulenberg, das sich heute bitter rächt.

„Die Baumschulen damals haben wenig geliefert“, sagt Rainer Böhme. Laubbäume waren rar, stattdessen wurden Fichten gepflanzt. „Die sind nicht für jeden Standort geeignet“, sagt Christian Starke und zeigt auf einen umgeworfenen Baum, den es mit seiner Wurzel aus dem Boden gerissen hat. Fichten, so sagt der Amtsleiter, bilden auf feuchten Böden einem Teller ähnlich lediglich sehr flache Wurzeln aus. Wenn Stürme an den Bäumen ziehen, geben die schneller nach als Eichen oder Kiefern, die viel tiefer und fester verwurzelt sind. Bei Friederike waren die Böden zudem wegen des vorherigen Niederschlags durchgeweicht. Deshalb hatten Fichten noch weniger Halt.

Um dem Problem mit den Monokulturen, aber auch um den veränderten Klimabedingungen Rechnung zu tragen, setzen die Forstbehörden im Freistaat seit Jahren auf einen Umbau des Waldes. „Die beste Vorsorge sind mischbaumartenreiche, stabile Bestände“, sagt Christian Starke. Eine Herkulesaufgabe – bei 88 000 Hektar Wald um Bautzen. Viele Wälder befinden sich zudem in privater Hand, im Landkreis gibt es insgesamt 14 000 Waldbesitzer. Die werden von Sachsenforst, aber auch bei Waldbesitzervereinigungen dabei unterstützt.

Auch jetzt, nach den Stürmen, stehen die Ämter mit Rat und Tat zur Seite. Überall im Kreis laufen die Aufräumarbeiten. Am Keulenberg, wo die Wälder wegen der Gefahren seit Tief Herwart gesperrt sind, ist reichlich schweres Gerät im Einsatz. Gewissermaßen sind die Folgen der Stürme aber auch eine Chance für den Waldumbau. Vorrangig setzen Forst und Waldbesitzer dabei auf die Naturverjüngung und die Pflanzung standortgemäßer Baumarten.

Bei dem großen Kahlschlag am Keulenberg läuft es möglicherweise auf ein gezieltes Aufforsten hinaus. Dabei könnten dann auch Nadelhölzer eine Chance erhalten, die bisher kaum im Landkreis vertreten sind. „Die Douglasie ist deutlich besser geeignet als die Fichte, kommt besser mit dem Klima und seinen Folgen zurecht“, erklärt Christian Starke. Doch Baumart hin oder her – bis die sichtbaren Sturmschäden am Keulenberg ausgewachsen sind, wird es in jedem Fall Jahre dauern.