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Der Junge und Microsoft

Tom Lambert hat gerade Abitur gemacht, doch bei den Software-Genies in den USA ist der Meißner längst kein Unbekannter mehr.

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© Claudia Hübschmann

Von Dominique Bielmeier

Meißen. Seine Mitschüler, erzählt Tom Lambert auf einer kleinen Mauer im sonnigen Schulhof des BSZ Meißen sitzend, hätten längst aufgegeben verstehen zu wollen, wie er funktioniere. „Es ist immer wieder erstaunlich, wie sehr ich andere verwirren kann und ich selbst weiß nicht, wie ich noch einfacher ausdrücken kann, was ich mir gedacht habe“, sagt der 20-Jährige und muss lachen. Er erzählt das nicht mit Bedauern oder Traurigkeit in der Stimme, sondern in dem Wissen, dass es schon ganz gut so ist, dass er nicht funktioniert wie andere – sondern in manchen Bereichen viel besser.

Wenn andere nur örtlich und zeitlich denken, erklärt Tom, verknüpfe er die Ereignisse noch einmal auf anderen Ebenen miteinander. „Das hilft beim Programmieren unglaublich dolle.“ Und Programmieren ist das, was er am besten kann.

Gerade hat er eine Smartphone-Anwendung für die Schülerzeitung des BSZ entwickelt. Doch die „Spicker“-App fiel im SZ-Test vor ein paar Wochen durch. Warum? Tom zuckt verlegen mit den Schultern. „In den Entwickler-Portalen ist es immer so: Ein Häkchen falsch gesetzt und schon ist die App doch schon verfügbar.“ Denn eigentlich war sie noch gar nicht fertig. Die Anwendung, erzählt der 20-Jährige stolz, sei bald sein „erstes richtiges Programm, das man auch runterladen und sinnvoll nutzen kann“.

Das klingt bescheiden, dabei kann der Abiturient schon einige Erfolge vorweisen: Gerade erst hat er den zweiten Platz im sächsischen Informatik-Wettbewerb belegt – bereits zum zweiten Mal. Er hat die Webseite seiner Schule neu gestaltet und Erweiterungen für Microsoft-Programme programmiert, so dass jetzt zum Beispiel jeder Nutzer des Präsentationsprogramms Power-Point ganz leicht Karten in seinen Vortrag einfügen kann.

Der wahrscheinlich größte Erfolg in seinem jungen Leben ist aber: Sein Programmiertalent ist den ganz Großen im Business nicht verborgen geblieben. Der Software-Gigant Microsoft hat den Schüler sogar schon zweimal nach Redmond im US-Bundesstaat Washington eingeladen.

Tom erzählt, wie es dazu kam: „Beim Programmieren ergeben sich zwangsläufig Fragen, die man selbst nicht beantworten kann. Dafür gibt es ein Onlineforum, in dem ich dann Antworten bekommen habe.“ Doch bald war es immer öfter Tom, der anderen Nutzern helfen konnte. Microsoft zeichnet solches Engagement mit dem MVP-Award aus, im Jahr 2015 haben weltweit rund 4800 Menschen einen solchen Preis bekommen. Einer davon war Tom Lambert aus Meißen. „In diesen Preis eingeschlossen sind eine Menge teurer Lizenzen, die man kostenlos bekommt, und auch jedes Jahr eine Einladung nach Redmond.“

Den Flug müsse man zwar selbst bezahlen, dafür könne man aber die berühmten Entwicklerteams kennenlernen. Und für Tom hat sich die Reise schon allein deshalb gelohnt, weil er dort auch den Chef des Dresdner Unternehmens getroffen hat, für das er nun bis zum Studienbeginn arbeiten wird. Für Heinrich & Reuter Solutions, einen Software-Hersteller in Blasewitz, schreibt Tom an einem Server-Back-End mit, „also das, was am Ende Daten für eine App liefert“.

Ab Oktober will der Abiturient dann in Berlin studieren – nicht etwa Informatik, wie man erwarten könnte, sondern Mathematik. „Das interessiert mich noch mehr als Informatik“, sagt Tom. „Das Problem ist nur, dass man Mathe privat nur sehr schwer anwenden kann.“ Um alleine zu forschen, fehle ihm noch das Wissen. „Und deshalb will ich Mathe studieren.“ Ein Master soll es nach dem Bachelor auf jeden Fall werden, vielleicht auch eine Promotion.

Trotzdem: Sein Traumjob bleibt Entwickler. Es muss nicht unbedingt Microsoft sein, aber in den USA zu arbeiten, kann er sich sehr gut vorstellen. Schon Anfang November will er wieder nach Amerika fliegen und vielleicht schon nächsten April „endlich einmal“ die Build-Konferenz in San Francisco besuchen. „Das ist DIE Entwicklerkonferenz bei Microsoft, da redet das komplette Entwicklerpersonal tagelang über alles, was ihnen einfällt“, schwärmt Tom.

Sind eigentlich alle in seiner Familie so computerverrückt? Zumindest das mathematische Talent hätten seine Eltern ihm mitgegeben, erzählt Tom. Sein Vater, der vor drei Jahren verstorben ist, hat als Junge auch gerne an Elektronik rumgebastelt – so wie es auch bei Tom anfing. Seine Mutter, die in einem Blumenladen in der Stadt arbeitet, ist ebenfalls mathematisch begabt, erzählt Tom.

Der kleine Bruder, vor Kurzem elf geworden, sticht da fast etwas heraus. „Wir sind eigentlich das Gegenteil voneinander“, sagt Tom. „Die Probleme, die ich mit Sprachen habe, hat er gar nicht. Dafür ist sein mathematisches Verständnis nicht so ausgeprägt wie bei mir.“

Die Schwierigkeiten mit den Fremdsprachen haben dem Computer-Ass schließlich sogar den Platz am Meißner Elitegymnasium Franziskaneum gekostet. Dort musste Tom Englisch und Französisch lernen. „Für jemanden wie meinen kleinen Bruder ist das gut, für mich wäre im Nachhinein eher etwas naturwissenschaftlich Ausgerichtetes besser gewesen.“ Zwei Fremdsprachen? Die Hölle für Tom.

Nach dem Franziskaneum wechselte er daher erst einmal für anderthalb Jahre an die Triebischtal-Mittelschule, bevor er am BSZ sein Abitur machte. Auch hier kam das verhasste Französisch wieder, aber durch die Unterbrechung an der Mittelschule durfte Tom einen Anfängerkurs besuchen. Und das mit dem Englischen klappt inzwischen auch – natürlich dank Microsoft.

Aber: „Nach sechs Stunden Computer am Tag muss ich nicht unbedingt noch mehr programmieren, da will ich auch mal etwas anderes machen“, sagt Tom. Und nennt dann als Hobby trotzdem: Mathe, Programmieren, an Elektronik basteln. Selbst das Fotografieren, mit dem er sich beschäftigt, ist irgendwo ja noch eine Technik. Und wenn er mit Freunden redet, geht es meist auch um das Thema Computer. „Ohne das Interesse daran geht es nicht, sich länger mit mir zu unterhalten. Ich rutsche immer wieder auf das Thema ab.“

An seinem linken Handgelenk trägt Tom ein Microsoft Band 2. Das unscheinbare, schwarze Armband hat 13 Sensoren und misst zum Beispiel den Puls, wie viele Schritte man geht und wann man schläft. Im Internet gibt es Portale mit Auswertungen zu den Ergebnissen, ob man zum Beispiel mehr schlafen sollte.

Das „no“, Englisch für „nein“, auf Toms T-Shirt ist ein Witz für Eingeweihte, die Symbole davor und danach machen daraus „no comment“, also „kein Kommentar“. Und wer nach dem Lesen der Vorderseite noch Zweifel daran hatte, findet auf dem Rücken das Wort „Geek“. Der Begriff steht für Außenseiter oder Freak, im Computerzeitalter wurde daraus aber eine liebevolle Bezeichnung für Computer- und Technik-Narren – Menschen also, die vielleicht ein wenig anders funktioniere als andere, aber schon ganz gut so sind, wie sie sind.