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Der Leichtsinn lebt

Die Kriminalitätsstatistik zeigt, dass viele Fälle aus günstigen Gelegenheiten heraus entstehen.

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© Jürgen Lösel/ Frank Melzer

Von Birgit Ulbricht

Großenhain. Die Großenhainer Polizei würde nur zu gern mal eine Kaffeefahrt mitmachen. Voraussetzung: Sie bekommt vorher einen Flyer in die Hand. Vielleicht würde sich dann auch mal der Nachweis führen lassen, wie da so auf diversen Veranstaltungen vorgegangen wird, sinniert Großenhains Revierleiter Dieter Greß.

Einmal hat die Polizei einen heimlichen Wink bekommen – allerdings die Veranstalter auch und die Fahrt ins Blaue wurde flugs abgesagt. Fünf Anzeigen wegen Betruges bei eben solchen Kaffeefahrten haben die Großenhainer Polizisten im letzten Jahr entgegengenommen. Die Dunkelziffer solcher Delikte dürfte aber erheblich darüber liegen. „Aber wer um viel Geld geprellt wurde, geht in den seltensten Fällen zur Polizei. Er spricht nicht mal mit Familienangehörigen darüber, weil er sich schämt“, erzählt Greß über seine Erfahrungen in solchen Fällen.

Nicht auf Einkaufsfahrt gehen

Betrügereien aller Art haben die Polizei auch im letzten Jahr im Altkreis Großenhain durchweg beschäftigt. Für Kaffeefahrten-Opfer kann sie dabei meistens nichts im Nachgang tun. Zwar ist bekannt, dass die Senioren in irgendeine Gaststätte gebracht werden, alle wissen auch, dass sich irgendwann die Saaltür schließt und die Leute „in die Mangel genommen werden“ – nur niemand muss ja ein Kirschkernkissen für 400 Euro kaufen. Das ist das Problem.

Dass die Täter dabei psychologisch geschult vorgehen, Leute einschüchtern, ihnen Unterschriften für mehrere Produkte abjubeln oder mal fix mit ihnen zum Bankautomaten fahren, ist alles bekannt. Juristisch ist den Veranstaltern, die immer Strohmänner benutzen, kaum beizukommen. Alles Schriftliche wird immer im Bus gleich eingesammelt, forschere Charaktere, die Ärger machen könnten, sortieren die Veranstalter sogar vorher geschickt aus. Und der Gastwirt, bei dem die Abzocke stattfindet, macht sich bestenfalls moralisch schuldig. Strafrechtlich belangt werden kann er nicht, denn der Veranstalter mietet ja schließlich nur den Saal an.

Dieter Greß ärgert diese Abzockermasche deshalb besonders und er rät jedem, Gutscheine für gewonnene Fahrten mit Essen und Gratis-Werbegeschenk grundsätzlich in den Papierkorb zu werfen. Sie verheißen nie Gutes. Gleiches gilt eigentlich auch für Anrufe der vermeintlich Verwandten, die dringend und plötzlich Geld brauchen. Das Telefon aufzulegen wäre die beste Entscheidung. Leider tun das viele Senioren in ihrer Panik, dass etwas passiert ist, nicht. Auch wenn Jüngeren vielleicht nur den Kopf schütteln, der Enkeltrick funktioniert weiterhin, auch im Großenhainer Land. Jüngst in Kalkreuth. Nur einer aufmerksamen Bankangestellten gelang es im letzten Moment, die Rentner davon abzubringen, 6000 Euro an eine türkische Bank zu überweisen. Einen Gewinn in Höhe von 78 000 Euro hatte man der 71-Jährigen über ein Gewinnspielabo versprochen, wenn sie die 6000 Euro überweist. Die alte Dame hatte sich davon beeindrucken lassen, als angeblich der Mitarbeiter der Verbraucherzentrale bei ihr anrief. Wer jetzt schmunzelt, dem sei gesagt, jüngere Großenhainer sind auch auf die Masche „Autokauf in England“ hereingefallen. Auch da muss der Betreffende eine Anzahlung auf ein ausländisches Konto leisten. Das Prinzip ist dasselbe. Die Polizei rät in allen Fällen: Ruhe bewahren, Familienangehörige und Freuden fragen! Wenn eine Überweisung sofort erfolgen muss, ist sie ganz sicher nicht rechtens.

Handtasche bleibt der Mitnehmer

Ob Tankbetrug mit geklauten Nummernschildern oder Interneteinkauf auf falschen Namen – die Palette der der Betrugsfälle ist weiterhin groß. Internet-Fälle nehmen weiter zu. Die Ermittlung der Polizei ist hier besonders schwierig. Ohne Staatsanwalt und Banken geht hier gar nichts – und technisch erfordert die Recherche entsprechende Zugänge zu Daten.

Doch auch der klassische Diebstahl ist 2015 nicht außer Mode gekommen. Die meisten Diebstähle waren schlicht eine günstige Gelegenheit. Offene Terrassen- und Wohnungstüren, während der Bewohner im Garten ist, oder die Handtasche, die am Einkaufswagen hängt, während Muttern im Regal um die Ecke etwas sucht. Letzteres veranlasst Dieter Greß regelmäßig zum Kopfschütteln, so dass es schon mal vorkommen kann, dass der Revierleiter im Einkaufsmarkt jemanden anspricht, der so leichtsinnig ist. „Denken Sie nicht, dass die Leute immer dankbar sind für so einen Hinweis“, umschreibt er diplomatisch sein letztes Erlebnis. Die Betreffende hatte zurückgeblafft, statt den Hinweis ernst zu nehmen. Das letzte Kriminalitätsjahr verlief erneut ruhiger als das Vorjahr – absolut ist die Fallzahl von 1331 auf 1286 gesunken. Brände und Sachbeschädigungen ragen leicht aus der Statistik heraus – darunter aber keine einzige politisch motivierte Tat. Stattdessen gab es neben den ungeklärten Bränden wie in der Panzerwerkstatt zuhauf technische Defekte, der einer Seniorin sogar das Leben kostete.