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Der leise Abgang des Sensibelchens

Schwimmerin Britta Steffen hört auf. Die Doppel-Olympiasiegerin kann sich nicht mehr für den Kampf um Gold motivieren. Es ist auch ein Aufbruch.

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Von Michaela Widder

Als Britta Steffen vergangene Woche zum Abendessen bei ihrem langjährigen Trainer in Berlin eingeladen war, steht die Entscheidung schon fest. „Ja, ich wusste es – nach dem Prinzip, ich weiß alles. Wir haben noch immer sehr engen Kontakt“, sagt Norbert Warnatzsch. In all den Jahren ist wohl kaum einer gedanklich so nah an Britta Steffen herangekommen wie er. Sie feierten gemeinsam großartige Erfolge, sie lagen sich auch in den Armen bei bitteren Niederlagen. Warnatzsch hat aus seinem „Kind“, wie er Britta liebevoll nennt, eine außergewöhnliche Sportlerin geformt, die nun ihre Karriere mit einer unspektakulären E-Mail am Freitag beendet.

Der größte Moment: Bei den Spielen in Peking 2008 gewinnt Steffen zweimal Olympiagold.Foto: dpa/Gero Breloer
Der größte Moment: Bei den Spielen in Peking 2008 gewinnt Steffen zweimal Olympiagold.Foto: dpa/Gero Breloer © dpa
Das private Glück: Britta Steffen und Schwimmer Paul Biedermann sind seit 2011 ein Paar.Foto: dpa/Hannibal Hanschke
Das private Glück: Britta Steffen und Schwimmer Paul Biedermann sind seit 2011 ein Paar.Foto: dpa/Hannibal Hanschke © dpa
Britta Steffen steigt für immer aus dem Wasser. Ihr langjähriger Trainer Norbert Warnatzsch, der sie bis 2012 betreute, sagt: „Sie hat ihren Zenit erreicht.“Foto: dpa/Friso Gentsch/
Britta Steffen steigt für immer aus dem Wasser. Ihr langjähriger Trainer Norbert Warnatzsch, der sie bis 2012 betreute, sagt: „Sie hat ihren Zenit erreicht.“Foto: dpa/Friso Gentsch/ © dpa

In einer Pressemitteilung ließ sich die Doppel-Olympiasiegerin mit den Worten zitieren: „Ich beende meine Karriere in dem Bewusstsein, zu den Besten der Welt zu gehören.“ Ja, sie zählt mit ihrem vierten Platz bei den Olympischen Spielen in London und dem Sechsten bei der WM im Juli in Barcelona noch immer zu den Weltbesten, aber nicht mehr zu den Allerbesten. „Britta hat ihren Zenit erreicht“, sagt Warnatzsch im Gespräch mit der SZ: „Es hat am Ende nur noch, was heißt nur noch, für vierte Plätze gereicht. Da kannst du dir als Trainer sonst was einfallen lassen“

Für eine, die den Olympiasieg, den Weltmeistertitel, den Weltrekord, die alles in doppelter Ausführung hat, die alles erreicht hat, ist eine Heim-EM kein Anreiz mehr. „Ich habe“, teilte Steffen mit, „in den letzten Wochen gezweifelt, ob ich die nötige Motivation und Energie für ein oder sogar drei weitere Jahre im Kampf um Goldmedaillen und Meistertitel aufbringen kann.“ Sie will es jedenfalls nicht mehr.

Für Norbert Warnatzsch, der Steffen bis vor einem Jahr coachte, ist der Schritt nachvollziehbar: „Ich verstehe sie voll und ganz. Sie hat alles erreicht.“ Dass der Zeitpunkt falsch gewählt sein könnte, was manch einer denken mag, glaubt der 66-Jährige nicht. „Die Konkurrenz schläft nicht. Wer weiß, was nächstes Jahr bei der EM herausgekommen wäre.“ Lieber vernünftig mit Platz sechs über 100 Meter Freistil aufhören – die hatte sie immerhin in der drittschnellsten Zeit seit ihrem Weltrekord geschwommen –, als einen Untergang zu Hause in Berlin zu riskieren.

Steffens Zeiten haben in London und im Sommer in Barcelona nicht mehr ganz für internationale Medaillen gereicht. Tiefgründige Analysen, was, warum, wie nicht hundertprozentig aufging, erspart sich Warnatzsch: „Britta ist sehr alt.“ Das mag für eine Frau, die kurz vor ihrem 30. Geburtstag steht, platt klingen, doch für eine Schwimmerin gehört sie zu den „Muttis“. Das sagt Steffen selbst über sich. „Britta ist sehr früh schon erfolgreich gewesen. Das spielt auch eine Rolle“, sagt Warnatzsch. Als die im brandenburgischen Schwedt geborene Schwimmerin 1998 erste Medaillen bei Jugend-Europameisterschaften holte, kam manche ihrer jetzigen Konkurrentin gerade erst auf die Welt. „Britta hat noch mal alles versucht. Wir haben neue Reize gesetzt mit dem Krafttraining, aber sie war austrainiert“, erklärt Warnatzsch. Nach den Spielen in London zog Steffen im vergangenen Herbst zu ihrem Freund, dem Schwimmer Paul Biedermann, nach Halle/Saale. Doch auch Frank Embacher als neuer Coach war kein Zauberer.

Britta Steffen erlebte ihre Sternstunden fünf Jahre zuvor bei den Olympischen Spielen in Peking. Auf die Mitfavoritin war der Druck immens. Sie schottete sich von der Außenwelt ab. Der extreme Tunnelblick, den sie sich mit ihrer Psychologin Friederike Janofske antrainierte, führte aber zum rauschenden Erfolg: Doppel-Gold über 50 und 100 m Freistil. Erfolge, die ihrer früheren Trainingskollegin Franziska van Almsick nicht gelingen wollten. Es waren die ersten und blieben die einzigen Olympiasiege im Schwimmen seit Barcelona 1992.

Durch ihre großen Siege vom Druck befreit, schwamm sie auch bei der WM 2009 zum zweifachen Triumph. „Sie hat ein außergewöhnliches Talent, einen unbändigen Willen, ist hochintelligent und sehr sozial“, beschreibt der Erfolgscoach die beste deutsche Schwimmerin seit der Wiedervereinigung. Die beiden waren immer auf einer Welle. Manchmal aber, im Umgang mit den Medien, war die Berlinerin nicht die pflegeleichteste. Von verletzlich bis selbstsicher, von freundlich-locker bis zugeknöpft – Britta Steffen hat in ihren Jahren als Leistungssportlerin viele Gesichter gezeigt. Das „Sensibelchen“ (Steffen über Steffen), die sich früher nur über das Schwimmen definiert hatte, schien von ihrem Management nicht immer bestens beraten zu sein. Bei der WM 2011 in Shanghai, als sie im Vorlauf ausschied, sagte sie alle weiteren Starts ab und verschwand in einer Nacht-und-Nebel-Aktion aus China. Steffen gab hin und wieder Rätsel auf.

Das ändert aber nichts an ihren großen Erfolgen, an die momentan keine Schwimmerin hierzulande anknüpfen kann. Steffens Rücktritt bedeutet für den Deutschen Schwimm-Verband einen herben Rückschlag; für sie bedeutet er einen Aufbruch zu neuen Ufern. Steffen studiert ab nächsten Monat in Halle Ressource Management. Sie ist bereits Wirtschaftsingenieurin für Umwelt und Nachhaltigkeit.

Ob und wie sie dem Schwimmsport erhalten bleibt, ist noch offen. „Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie versucht, Sport und Wirtschaft miteinander zu verknüpfen, vielleicht auch in Vorträgen“, sagt Warnatzsch. „Auf jeden Fall sollte man auf ihre Erfahrung nicht verzichten.“ Wie man sich motiviert, aus Krisen herauskommt, wie Erfolg nachhaltig bleibt, weiß Britta Steffen genau. (mit sid)