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Der Mann, der Mielke das Fürchten lehrte

Dynamo-Legende Klaus Sammer gab beim Schönfelder Fußball-Podium Einblicke in Verquickung von Sport und Politik in der DDR.

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© Klaus-Dieter Brühl

Von Manfred Müller

Schönfeld. Der BFC Dynamo galt in den 1970er und 1980er Jahren als Stasi-Fußballclub. Geheimdienstchef Erich Mielke wies persönlich an, wie die anderen Oberligamannschaften zu spielen hatten, damit sein Team die Meisterschaft oder den FDGB-Pokal gewann. Die DDR-Sportfunktionäre gehorchten und gaben den Befehl an die Trainer weiter. Eine der wenigen Mannschaften, die sich den Anweisungen gelegentlich widersetzte, war Dynamo Dresden. Die SG unterstand dem Innenminister, und es gab da wohl eine gewisse Rivalität. Manchmal sorgte aber auch ein widerborstiger Trainer für Verstimmungen, und in den Spielzeiten 1983/84 und 1984/85 hieß dieser Mann Klaus Sammer. Er holte mit Dynamo im Berliner Stadion der Weltjugend – der Höhle des Löwen – den Pokal und vermasselte dem BFC damit das nationale Double. „Auf den Empfängen nach den Spielen drehte Mielke ab, sobald ich in sein Blickfeld kam“, erzählt Sammer in Schönfeld und schickt eine kleine Frotzelei hinterher: „Ich glaube, ich war der einzige DDR-Bürger, vor dem er Angst hatte.“

Mit Klaus Sammer stellte sich am Donnerstagabend im Schönfelder Schloss bereits die vierte Dynamo-Legende den Fragen der Fußballfans. Zuvor hatten bereits Hans-Jürgen Kreische, Peter Kotte und Hans-Jürgen Dörner aus dem Kicker-Nähkästchen geplaudert. Nimmt man das Fußball-Forum zur 800-Jahrfeier im vergangenen Sommer hinzu, waren sogar noch mehr Dynamo-Promis in Schönfeld zu Gast. Damals saßen Ralf Minge, der inzwischen verstorbene Reinhard Häfner und Siegmar Wätzlich auf dem Podium. Die Dresdner haben in der 2000-Einwohner-Gemeinde an der Autobahn eine begeisterte und treue ländliche Fangemeinde. Das zeigte sich auch am Publikumszuspruch beim Fußballforum – mit 70 Gästen gab es einen neuen Rekord.

Nun also Klaus Sammer. Der „Lange“ begann seine Laufbahn bei der TSG Stahl Gröditz, wechselte erst zu Einheit Dresden und ab Mai 1965 zu Dynamo. Dort spielte der 1,91 große Kicker wechselweise als Verteidiger oder Mittelfeldspieler und wurde mit der Mannschaft zweimal Meister und einmal Pokalsieger. 1976 beendete er seine aktive Laufbahn und trainierte von 1983 bis 1986 seinen Heimatverein.

Die schmerzlichste Niederlage seiner Trainerlaufbahn ist in die Fußballgeschichte eingegangen – als das „Wunder von der Grotenburg“. Dynamo hatte in der Saison 1985/86 das Europapokal-Hinspiel gegen Bayer 05 Uerdingen mit 2:0 gewonnen. Beim Rückspiel im Krefelder Stadion führten die Dresdner zur Halbzeit bereits mit 3:1 – Uerdingen hätte noch fünf Tore schießen müssen, um weiterzukommen. Am Ende schenkten die West-Kicker Dynamo innerhalb von einer halben Stunde sogar sechs Treffer ein.

Wie das passieren konnte? Klaus Sammer hielt sich nicht mit komplizierten Erklärungen auf. Als Stammtorhüter Bernd Jakubowski in der 38. Minute verletzt ausscheiden musste, habe sein Team einfach eine Heiden-Angst bekommen. Zu Recht, denn allen sei klar gewesen, dass Ersatzkeeper Jens Ramme der Aufgabe nicht gewachsen war. Außerdem sei den ungarischen Schiedsrichtern das Spiel in der zweiten Hälfte völlig entglitten. Zu allem Überfluss setzte sich nach dem Match auch noch Stürmer Frank Lippmann in den Westen ab. Sammer hatte Lippmann eigentlich gar nicht in die Bundesrepublik mitnehmen wollen, weil der zuvor mit Alkohol am Steuer erwischt worden war. Aber er wurde von den Fußballfunktionären praktisch dazu gezwungen. „Deshalb war ich der Einzige, der nach unserer Rückkehr nicht mit zum Verhör musste“, lächelt er.

Mit der Karriere als Oberliga-Trainer war es dann allerdings vorbei. Es sei nur noch auf ihn eingeprügelt worden, erzählt Sammer. Die historische Niederlage, die Lippmann-Affäre, außerdem habe er nie in gewünschtem Maße sozialistische Phrasen gedroschen. „Da hätte mich die Mannschaft auch ausgelacht“, sagt Sammer. Der Dresdner hatte bereits zu DDR-Zeiten im Nachwuchsbereich gearbeitet, und wurde später vom DFB für ähnliche Aufgaben engagiert. Sein Sohn Matthias absolvierte in den Jahren nach der Wende eine außerordentlich erfolgreiche Spieler-, Trainer- und Funktionärslaufbahn.

Beim Schönfelder Fußballforum stellte „Der Lange“ nicht nur einen Publikums-, sondern auch einen Zeitrekord auf. Mit seinem hochinteressanten sympathischen Auftritt zog er die Fans zweieinhalb Stunden lang in seinen Bann. Am 27. April kommt der nächste DDR-Fußballpromi nach Schönfeld: das Jenaer Stürmerwunder Peter Ducke.