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Der Mörder, der seine Hinrichtung überlebt haben soll

Klaus Schuricht aus Folbern wurde vor 50 Jahren zum Tode verurteilt. Doch Zeugen sagen, er starb erst 1988.

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© Archiv/Eulitz

Von Kathrin Krüger-Mlaouhia

Großenhain. Ein Großenhainer wurde lange Zeit für das letzte zivile Hinrichtungsopfer der DDR gehalten. Doch das stimmt nicht, wie sich jetzt herausstellte. Obwohl die Todesstrafe im sozialistischen Staat erst 1987 aufgehoben wurde, ist sechs Jahre früher das letzte militärische Todesurteil vollstreckt worden. Der letzte zivile Hingerichtete war 1972 der Kindermörder Erwin Hagedorn in Frankfurt/Oder. Damals bemühte sich die DDR um die Aufnahme in die Uno und nahm sich deshalb der Menschenrechte an.

Jener Klaus Schuricht aus dem Ortsteil Folbern, der es als Doppelmörder von Radeburg seinerzeit sogar in den westdeutschen „Spiegel“ schaffte, ist dennoch genauerer Betrachtung wert. Er soll offiziell am 14. Dezember 1965, also just vor 50 Jahren, in Leipzig hingerichtet worden sein. Zeugen glauben aber, dass der damals 25-Jährige weiterlebte.

„Mindestens drei Personen bezeugen, dass sie mit Schuricht noch Anfang der 80er Jahre im Zuchthaus Brandenburg-Görden gesprochen haben“, sagt Klaus Kroemke aus Radeburg. Er nennt den namhaften Arzt Dr. Götz-Michael Richter, ein ehemaliger Radeburger, der Schuricht persönlich kannte. Wegen Republikflucht saß Richter im Brandenburger Gefängnis und behauptete, der Mörder Schuricht sei dort 1988 eines natürlichen Todes gestorben. Gleiches berichtete Rolf Persich aus Ebersbach, ebenfalls wegen versuchter illegaler Ausreise nach Westdeutschland inhaftiert und später freigekauft. Siegfried Atlas aus Reinersdorf arbeitete in der LPG-Pflanzenproduktion Ebersbach mit einem sogenannten Berlin-verwiesenen zusammen. Der war auch als politischer Häftling in Brandenburg-Görden und will dort auf Klaus Schuricht getroffen sein.

Sterbeurkunde nicht ausgehändigt

Bei der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten kennt man die Geschichte des Brandenburger Zuchthauses. Doch die Tatsache, dass angeblich Hingerichtete hier inoffiziell weiter im Stahlwerk als billige Arbeitskräfte schuften mussten, ist bislang nicht erforscht.

Das Zuchthaus Brandenburg galt zwar als eine der gefürchtetsten Haftanstalten in der DDR. 1600 Häftlinge soll es hier gegeben haben. Doch ob der Fall Schuricht wahr ist oder nicht, ob er ein Einzelfall gewesen sein könnte oder gar mehrere Straftäter betroffen hat, kann Direktor Prof. Dr. Günter Morsch nicht bestätigen. Der Staat wollte in jedem Fall durchsetzen, dass verurteilte Mörder ihren Anspruch auf Leben verwirkt haben. Schon in Schurichts Prozess hatte man von einer lebenslänglichen Haftstrafe, wie vom Staatsanwalt gefordert, Abstand genommen. Wie der Schriftsteller Henner Kotte aus Leipzig recherchierte, belegt seine Akte Schurichts Hinrichtung. Die ebenfalls verurteilte und haftentlassene, mittlerweile geschiedene Ehefrau Ursula Schuricht benötigte für den Antrag auf staatliche Fürsorge den Beweis des Todes ihres Ex-Mannes, schreibt Kotte im Buch „Mordsarbeit“. Der Staatsanwalt soll aber folgende Aktennotiz hinterlegt haben: „Eine Sterbeurkunde zu dieser Strafsache habe ich dem Rat des Kreises Großenhain ausschließlich zu behördlichem Gebrauch übersandt.“

Dr. Tobias Wunschik vom Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR (BStU) sagt: „Da bewegen wir uns meines Erachtens im Bereich der Legenden ...“ Behauptet wird jedoch noch heute, dass Schurichts Bruder Werner, der bis vor fünf Jahren noch in Folbern lebte, keine Todesanzeige bekam. Ein Grab soll es auch nicht geben. Schurichts Ex-Frau stammte aus Würschnitz und soll dorthin mit den beiden Söhnen zurückgegangen sein. Sie haben einen neuen Namen angenommen.

Spektakulär und tragisch wie die angeblich überlebte Hinrichtung des Doppelmörders war bereits die Kindheit Klaus Schurichts. Sie zeichnet den Weg des später Kriminellen vor. Schuricht stammt aus einer Arbeiterfamilie und wurde als drittes Kind am 2. Juli 1941 geboren. Seinen Eltern gehörte die Fleischerei mit Ausschank, der spätere Folberner Gasthof, wo sich der Folberner Carnevals Verein gründete. Nach dem Krieg verkehrten hier auch die sowjetischen Soldaten vom nahen Großenhainer Flugplatz. Vermutlich aus Denunziation wurden Erna und Max Schuricht, die Eltern von Klaus, 1950 wegen Spionage verhaftet. Der gerade neun Jahre alte Sohn kam zu den Großeltern nach Großenhain. Seine beiden Brüder waren älter als er.

Mutter Erna, das hat die IG Mahnmal Marienkirche Großenhain in ihren Unterlagen gefunden, wurde 1951 zu zehn Jahren Haft verurteilt. Sie saß in Hohnstein, Waldheim und Bautzen. Das muss ihrem Sohn Klaus stark zugesetzt haben. 1954 wird sie wieder entlassen und ist heute als politisches Opfer rehabilitiert. Von Klaus Schurichts Vater aber fehlen die Hinweise.

Mit 20 wird er kriminell

Der Verlust der Eltern hat das Kind aus der Bahn geworfen. Weil er die Grundschule wechseln musste, wurden seine schulischen Leistungen schlecht. Er musste das fünfte Schuljahr wiederholen. Mit durchschnittlichen Noten wurde Schuricht aus der siebenten Klasse entlassen. Obwohl er das Geschäft der Eltern übernehmen wollte, arbeitet er in der Landwirtschaft erst der Großeltern, dann des Bruders in Folbern.

Er wird Tiefbauarbeiter, Bohrer im Stahlwerk, Heizungsmonteurhelfer. Er heiratet zeitig seine Ursula, 1960 und 1962 kommen seine Kinder zur Welt. Ab 1963 geht Klaus Schuricht in die Gastronomie. Doch schon ab 1960 beginnt er zu stehlen, zuerst drei Sack Zement beim VEB-Ausbau Großenhain. Dann wirtschaftet er das „Weiße Rössel“ in Radeburg ins Minus.

Am 3. November 1964 kommt es zum folgenschweren Doppelmord an Else und Paul Thomschke von der Hammerschenke, dem heutigen Gasthof „Zum Hirsch“ am Radeburger Marktplatz. Das damalige Rödertalecho, Beilage der Sächsischen Zeitung, berichtet umfassend. Klaus Schuricht wird wegen Mord aus Habgier und besonderer Brutalität verurteilt. Man sieht ihn lediglich als arbeitsscheuen, zum Diebstahl neigenden Asozialen an. Das politische Schicksal seiner Eltern wird nur ganz kurz erwähnt und nicht weiter untersucht.

Fragt man in Folbern heute nach Klaus Schuricht, will keiner so richtig ran an die Sache. Eine Halbschwester soll noch leben, ist zu erfahren. Dass der Doppelmörder nicht hingerichtet wurde, glaubt Helmut Jurisch, der langjährige Ortsvorsteher, nicht. Eine Dorfchronik gäbe es leider nicht mehr. Der, der sie einst führte, habe sie verbrannt, als er von Folbern wegzog.